Mike Figgis: Time Code. USA 1998

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Time Code

Regie: Mike Figgis
Darsteller: Holly Hunter, Kyle MacLachlan, Stellan Skaarsgaard, Saffron Burrows


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'Time Code': Ein erfolgreiches Experiment

Es ist nicht schwer zu verstehen, warum man eher keine Lust haben könnte, Time Code zu sehen. Nicht nur handelt es sich um den offensichtlich experimentellen Umgang mit narrativem Filmemachen - digitale Kameras! vier Stück! keine Schnitte -, noch dazu bezieht sich der Titel nicht auf den Plot oder die Charaktere, sondern auf die digitale Technologie des Films. Das erfreut vielleicht die Videoschnitt-Fans, aber den Rest der ins Kino gehenden Öffentlichkeit wird es mehr als kalt lassen; die sehen es lieber, wenn im Filmtitel Wörter wie „Impact“, „Instinct“ oder „II“ vorkommen. Falls die Verleiher Glück haben, werden unaufmerksame Zuschauer sich verlesen und Tickets kaufen in der Annahme, es handele sich um die Wiederaufführung von Timecop, im Directors Cut.

Stattdessen sieht sich der Betrachter bei Time Code mit einer Leinwand konfrontiert, die in vier Quadranten aufgeteilt ist. Jeder Quadrant zeigt das Bild einer einzigen Kamera, die einigen Leuten aus L.A. durch einige typische L.A.-Lokalitäten folgt - Limousinen, Kinosäle, Therapeutenzimmer - und auch durch einige untypische. Wer hätte gedacht, dass es in L.A. Buchhandlungen gibt, und dann auch noch Bereiche jenseits von „L.Ron Hubbard“ und „Syd Field“. Die Charaktere kreuzen gegenseitig ihre Wege und bevor man sich's versieht, hat man vier verschiedene Bestandteile ein und derselben Geschichte vor sich. Im ersten Moment geht einem das verwendete Kunstmittel ein wenig auf die Nerven. WEnn sich die Viertel der Leinwand am Anfang mit Bildern füllen, bekommt man einen leichten Panikanfall: Wo soll ich hinsehen? Werde ich einen wichtigen Teil der Handlung verpassen? Wird Kyle MacLachlan genause lächerlich sein wie in The Doors?

Aber keine Angst: Figgis kann man sich hier anvertrauen. Wenn es nötig ist, macht er einen sanft, aber bestimmt auf den richtigen Teil der Leinwand aufmerksam, und zwar durch die so elegante wie wirkungsvolle Tonspur. Es kann natürlich immer noch passieren, dass alles nichts hilft und man ständig auf den Ausschnitt mit Salma Hayek starrt, ganz unabhängig von der Tonspur. Aber das ist vielleicht nur mein Problem. Dennoch, die lose verbundene und notwendigerweise einfache Geschichte ist klar. Hayek ist eine ehrgeizige Schauspielerin, deren Freundin (Jeanne Triplehorn) sie der Untreue verdächtigt, deshalb eine Wanze in ihrem Geldbeutel versteckt und den Nachmittag damit verbringt, sie aus der Ferne zu belauschen. So also sieht ein Date mit Lind Tripp aus. Hayek hat tatsächlich eine Affäre; sie trifft sich mit einem Filmproduzenten (Stellan Skaarsgard), der Alkoholprobleme hat, und sich gerne mit seiner Frau (Saffron Burrows) versöhnen würde. Sie begegnen einer ganzen Menagerie von Bewohnern von Los Angeles. Darunter MacLachlan als locker-flockiger Filmproduzent, Holly Hunter als superenergische Filmproduzentin und Golden Brooks als demografisch korrekte schwarze Filmproduzentin.

Julian Sands stielt allen fast die Show als selbstbewusst ahnungsloser Masseur. Und auch der Kerl aus "Wings" ist nicht schlecht. Dies sind die Charaktere, die Time Code zu einem lustigen Film machen - und er ist lustiger, als ein weitgehend improvisierter, von seinem technischen Können besoffener Film eigentlich sein dürfte. Time Code hatte kein vollständiges Skript, Figgis hatte die Umrisse der Geschichte vorgegeben - und die Aussicht, Filmschauspieler improvisieren zu sehen, sollte die Zuschauer schon alleine in Scharen davontreiben. Beim Blair Witch Project und in Lethal Weapon 4 haben wir gesehen, wohin das führt - zu albernem Gefrotzel, zu Beleidigungen, Flüchen und Joe Pesci. Und es gibt ein paar Momente in Time Code, in denen die Darsteller wirklich auf leere Phrasen wie "Was ist dein Problem" verfallen, was übersetzt heißt "Gebt mir ein Drehbuch, und zwar sofort, sonst verschwinde ich in meinen Wohnwagen und mache Yoga".

Aber Time Code, im Verbund mit den Realzeit-Drehbedingungen, hat mit solchen Unternehmungen weniger zu tun als mit Improvisationstheater - und wie ein Theaterregisseur hat Figgis das Szenario gemeinsam mit den Darstellern so genau ausgearbeitet, dass Orte und synchronisierte Armbanduhren genaus wichtig werden wie Dialog und Sprache. Und so kommt es zu hübschen witzigen Sätzen wie dem der schwarzen Produzentin, die ihre Vorliebe für "schwarzen Film Noir" äußert und einem prätentiösen, pseudo-revolutionären Musiker (Alessandro Nivola) mit einer Casio, der lauthals "Trotsky in the house!" singt. Am allerbesten ist die selbstgefällige Regisseurin, die Figgis einführt, und die die ästhetischen und politischen Vorzüge digitaler Videofilme in Echtzeit mit so gnadenlos lustiger Selbstüberschätzung preist, dass man fast vergisst, dass sie die Schöpfung eines Regisseurs ist, der die ästhetischen und politischen Vorzüge digitaler Videofilme in Echtzeit preist.

Aber das Herz des Films ist die Beziehung zwischen Burrows und Skaarsgard, die beide die Aufmerksamkeit der Kamera minutenlang mit bloßem stummen Ausdruck von Melancholie auf sich ziehen können, reizend bei ihr, gereizt bei ihm. Ihre Verbindung verleiht Time Code eine emotionale Daseinsberechtigung jenseits des technischen Schnickschnacks. Indem der Film simultan beider Reaktionen auf die Trennung verfolgt - Heulen auf einer Buchhandlungs-Toilette, Sex hinter einer Filmleinwand - zeichnet er ein bewegendes Porträt geteilten Bedauerns. Die Geschichte ist noch nicht einmal zu Ende, wenn die Angeberei auf der Leinwand beginnt, mit der Angabe, dass der Film um drei Uhr nachmittags am 19. November in vier jeweils ununterbrochenen Takes gedreht wurde. Das ist aus mehreren Gründen unklug. Zunächst als Präzedenzfall - wer will einen Film sehen, der vor den Credits versichert "Dieser Film wurde in zwei Wochen mit nur 29 Autoren und 101 Drehbuchentwürfen gedreht" oder "Dieser Film war nach 19 Tagen abgedreht und Charlie Sheen wurde dabei kein einziges Mal verhaftet."? Wichtiger: dieses selbstzufriedene Ende impliziert, dass die Leistung von Time Code in erster Linie eine technische ist. Zum Glück stimmt das nicht.

c) der Übersetzung Ekkehard Knörer

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