Interview mit Phillip Noyce

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Interview mit Phillip Noyce zu Long Walk Home

 

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Vom Sandkasten in die Wüste - Phillip Noyce
von Ulrike Mattern

[Image]   

Was brachte Sie vom Mainstream-Kino in Hollywood zurück zum politischen Film?

Es gab einige politische Filme während meiner Hollywood-Jahre. Zum Beispiel beschäftigt sich „Das Kartell“ mit ähnlichen Themen wie der Roman („Der Stille Amerikaner“) von Graham Greene. Aber wissen Sie, ich wachte einfach eines Morgens auf und beschloss, dass ich genug davon hatte, in Hollywood zu arbeiten. Nicht, dass ich mich dort nicht amüsiert hätte. Es war eher wie bei einem Kind im Süßwarenladen, das zu viel von den guten Sachen bekommen hatte. In diesem Fall war es zu viel vom Star-System, zu viel von der Hollywood-Maschine, der Politik, die damit verbunden ist, zu viel von den immer wieder vorgekauten Geschichten, von der Vorhersehbarkeit, die daraus resultiert, das man aus Bestsellern Filme macht. Bei dem großen Budget ist es nicht mehr von Bedeutung, ob der Film gut oder schlecht ist, sondern, ob er sich an jeden verkaufen lässt. Es war einfach all das, was Filmemachen zum Teil eines Fabrikprozesses machte.

Nach Australien zurückzukehren und an „Long Walk Home“ zu arbeiten, schien das Gegenmittel zu all dem zu sein. Aber es war hauptsächlich die Geschichte von „Long Walk Home“ selbst. Das ist eine Story, für die man einigen überbezahlten Autoren in Hollywood Millionen von Dollar bezahlen würden, wenn sie ihnen einfiele. Da gibt es diese drei kleinen hilflosen Kinder, völlig unwiderstehlich. Drei Charaktere, die sich einer wahrscheinlich nicht zu bewältigenden Aufgabe gegenübersehen. Sie sind so weit von zu Hause weg gebracht worden, fast bis zum Mars, dass man denkt, sie hätten überhaupt keine Chance. Dann folgen sie diesem mystischen Zaun, der ihnen ihre Väter brachte und sie nach Hause zurückführt. Letztlich endet es mit einem bittersüßen Triumph. Das ist eine von diesen Erzählungen, bei denen man denkt, es wäre toll, sie erfunden zu haben. Aber sie ist wahr. Die Kraft dieser Geschichte war für mich unwiderstehlich. Sie packte mich, so dass ich von Hollywood fliehen konnte.

Haben Sie das Angebot für „Long Walk Home“ bekommen, als Sie noch in Hollywood waren?

Oh ja, ich bekam das Angebot, als ich an „Der Anschlag“ arbeitete, an einem weiteren 100-Millionen-Dollar-Film. Das Telefon klingelte mitten in der Nacht und am Apparat war diese merkwürdige Frau, die sagte: Ich habe den perfekten Film für Sie und Sie wären der perfekte Regisseur für diesen Film. Es war Christine Olsen, eine Dokumentarfilm-Regisseurin, die noch nie ein Drehbuch geschrieben hatte. Aber sie hatte die Rechte an der Geschichte gekauft und ihr erstes Drehbuch verfasst. Sie rief aus Australien an und hatte sich mit dem Zeitunterschied vertan. Es war drei Uhr morgens. Ich dachte nur, dass ich sie schnell und endgültig loswerden muss. Ich riet ihr, am nächsten Morgen in meinem Büro anzurufen. Dort hinterließ ich die Nachricht, dass man sie abwimmeln sollte. Aber diese Botschaft kam nicht an. Christine rief am nächsten Tag in meinem Büro an und schickte dann das Skript. Mein Assistent las es, gab es an jemand anderen weiter, der gab es dem Nächsten und so weiter. Dann kamen alle zu mir und sagten, dass ich die Geschichte lesen müsse. Ich lehnte es ab. Ich wollte diesen großen Film machen. Sagte ihnen: Verschwendet nicht meine Zeit. Zufällig las ich das Skript und dachte: Oh mein Gott, das ist eine unglaubliche Geschichte. Und so ist es passiert.

Würden Sie sagen, dass das ein Wendepunkt in ihrer Karriere war?

Ich weiß es nicht. Aber ich glaube schon. Die Geschichte war einfach unwiderstehlich. Ich saß in Hollywood mit wichtigen Drehbuchautoren über dem Skript von „Sum of all Fears“ (Der Anschlag). Ich glaube, wir bezahlten einem Autor anderthalb Millionen Dollar und trotzdem funktionierte die Geschichte nicht. Und dieser einfache, kleine Film, der keine Millionen und keine Stars benötigte, schien wirklich das perfekte Gegenmittel zu der Erfahrung in Hollywood zu sein. So viel Spaß ich dort auch hatte, wie bereits gesagt, ähnlich dem Kind im Bonbongeschäft.

Normalerweise hat das australische Publikum Schwierigkeiten mit „black stories“. „Long Walk Home“ war ein enormer Erfolg in ihrer Heimat. Können Sie sich das erklären?

Der Film hat einen guten Profit erwirtschaftet. Jeder ist daran beteiligt - die drei Kinder eingeschlossen. Wir hatten uns entschieden, ein breites Publikum zu erreichen, und zu diesem Zweck wurde als Erstes ein Marketing-Team eingestellt. Sie waren schon Monate vor dem Film mit der Planung beschäftigt, wie man ihn am besten verkaufen könnte. Der Film war ein Erfolg, weil das Publikum die Geschichte entgegennehmen, weil es sie feiern wollte. Historisch betrachtet, gibt es einen Widerstand gegen „black stories“, gegen die Wahrheit in unserer Geschichte. Aber man konnte dieses unglaubliche Bedürfnis spüren - und bevor man einen Film dreht, versucht man, das auszumachen -, diese Geschichte zu zelebrieren, mit der Vergangenheit zurechtzu­kommen. Man musste den Zuschauern nur einen Anstoß geben, die Hemmschwellen beseitigen. Dann würden sie in die Kinos kommen. Daher arbeiteten wir intensiv daran, diese Kinder zu den Kindern von allen zu machen und den Film zu verkaufen. Wir tourten mit ihnen und ihren Familien für Monate in einem Bus von Stadt zu Stadt, nicht nur in die großen, sondern auch in die kleinen Städte, von Kino zu Kino. Die Kinobesitzer, speziell die der unabhängigen Kinos, unterstützten uns und wir arbeiteten eng mit ihnen zusammen. Einer nach dem anderen kam dazu. Es wurde zu einer Bewegung.

War es Ihnen ein persönliches Bedürfnis - als Australier - für den Film auf diese engagierte Weise zu werben?

Nein, es war eine persönliche Angelegenheit zu beweisen, dass das Publikum so weit war, diese Geschichte anzunehmen. Alles deutete darauf hin, dass sie es nicht könnten. Die Vergangenheit bestätigte das. Jeder Film zum Thema der Ureinwohner war seit den 50er-Jahren gescheitert. Das einzige Mal, dass ein solcher Film, und zwar auch mit Thema gestohlener Kinder, Erfolg beim Publikum hatte, war in den 50er-Jahren mit „Jedda“.

Das klingt nach einem Marketing a la Hollywood...

Völlig richtig. Als ich nach Hollywood ging, begriff ich schnell, dass die ersten, die sich melden, nicht von der Produktion, sondern aus der Werbung und dem Verkauf sind. Denn Hollywood weiß, dass Filmemachen im Wesentlichen eine Marketing-Angelegenheit ist. Das Produkt ist nur die Entschuldigung für die Marketing-Geschichte. Das ist die ganze Kolonialisierung, die sie ausgearbeitet haben. Deshalb schlagen sie uns auf der ganzen Welt. Wir denken, es geht um Kunst. Sie wissen, dass nur der Titel bzw. die Bilder genutzt werden müssen. Man fragte mich, wie ich diese Geschichte bloß verkaufen wolle: drei Kinder, dann auch noch schwarze Kinder, die weißen Typen sind die Bösen … Das klang unmöglich. Aus der Perspektive Hollywoods war das völlig egal, weil man alles verkaufen kann, auch zwei Fliegen an der Wand, solange man sie im richtigen Winkel erwischt.

Wie wichtig ist politisches Filmemachen für Sie?

Ich weiß, dass es zwecklos ist, einen Film zu drehen, den keiner sieht. Politisches Filmemachen geht darauf zurück, wie wir in Australien anfingen. Die „neue Welle“ in den späten 60er und frühen 70ern war eine politische Bewegung in Australien. Man konnte keinen australischen Film sehen, weil die Kinos in amerikanischer Hand waren. Selbst wenn wir einen Film herausbrachten, konnten wir ihn nicht zeigen. Wir führten einen heftigen Kampf, um die Leinwände zurückzuerobern und auf ihnen unsere eigenen Geschichten zu erzählen. Und egal, ob wir leichte Unterhaltung oder historische Filme drehten, wir waren alle in dieser nationalistischen Bewegung vereint, um unsere Identität auszudrücken und sie auf der Leinwand zu definieren. Wichtig war, dass man Teil einer Diskussion war. Wir definierten unsere Geschichte. Ich kann mich noch daran erinnern, wie die Australier lachten, als sie ihre eigenen Stimmen auf der Leinwand hörten. Wie ein Baby, das in den Spiegel schaut und über sein eigenes Gesicht lacht. Wir hatten vorher nie unsere eigenen Bilder oder unsere Erfahrungen auf der Leinwand gesehen. Am Anfang war das wirklich verrückt für uns. Aber es war wichtig, das zu tun. So waren diese beiden Filme eine Rückkehr nach dem Aufenthalt in Hollywood. Es ist großartig, in diesem riesigen Sandkasten mit all dem teuren Spielzeug zu spielen, aber es ist nicht dasselbe, wie ein Teil dieser unglaublichen Diskussion zu sein. Als „Long Walk Home“ in deren Mittelpunkt rückte, war das wie meine Wiedergeburt als Filmemacher. Es war eine Rückkehr zu den Anfängen.

Wie reagierten die Aborigines auf den Film?

Ich bin kein Aborigine, also kann ich die echte Reaktion nicht beschreiben. Ich erwartete, als fetter Kater aus Hollywood und Weißer attackiert zu werden. Vielleicht nicht für das Stehlen von Kindern, aber für den Diebstahl einer Geschichte. Ich war überrascht, als das nicht passierte. Das sagt mehr über diese Geschichte und unsere Vergangenheit aus als alles andere. Als wir mit unserem Film durchs Land tourten, stießen wir an vielen Orten auf Menschenansammlungen, die uns anstatt mit Demonstrationsplakaten gegen unseren Film mit Geschenken begrüßten - Bilder, Speere, Schilder, Skulpturen, jede Art von Geschenken. Die Leute bedankten sich dafür, dass ihnen erlaubt wurde zu sagen, dass es wirklich passiert war. Gerade weil ich Teil des Mainstream, weil ich Teil des Establish­ment, weil ich weiß war und weil dieser Film nun in den Mainstream-Kinos und nicht im Ghetto, im Arthouse, und nicht den bereits von diesem Thema Überzeugten, sondern den Zweiflern gezeigt wurde. Die Aborigines waren froh darüber, dass dieser Film ein Teil der Populär- und nicht der marginalisierten Kultur wurde. Nicht als Außenseiter-, sondern Insidergeschichte, als Teil einer Geschichte für alle. Es hatte jahrelang Versuche gegeben, die Existenz der „Stolen Generations“ zu leugnen, zu behaupten, dass sie auf falschen Aussagen beruht, dass es sich um Leute handele, die nicht akzeptieren konnten, dass ihre Eltern sie nicht liebten oder dass diese unfähig waren, sich um sie zu kümmern. Dass sie also zu ihrem eigenen Vorteil getrennt wurden. Dass sie davor gerettet wurden, umgebracht zu werden. Die Mainstream-Kultur Australiens hatte die Erfahrung dieser Menschen abgelehnt. Und nun können sie sagen: Siehst du, es ist passiert. Weil es im Film zu sehen ist. Und dann auch noch von einem weißen Mann aus Hollywood gedreht. Es muss wahr sein.

Wie wichtig ist es für Sie mit großen Stars zu arbeiten - wie mit Michael Caine in „Der Stille Amerikaner“ oder Kenneth Branagh in „Long Walk Home“?

Es ist immer nützlich. Sie helfen einem, ein Publikum zu finden. Insbesondere helfen sie, das Geld für den Film zusammenzubekommen. Das ganze Filmfinanzierungssystem basiert auf den Stars. So wie sie das Geschäft heutzutage kontrollieren, haben ihre Entscheidungen Einfluss auf die Realisierung eines Films. Kenneth Branagh ist kein großer Filmstar, aber er half uns, „Long Walk Home“ in der ganzen Welt zu verkaufen. Es kann ganz schön schwierig sein, einen Film mit drei unbekannten Laiendarstellern in den Hauptrollen zu verkaufen.

Was planen Sie als Nächstes?

„Ein amerikanisches Idyll“, den Roman von Phillip Roth. Er spielt in Amerika während der 60er-Jahre. Es gibt bislang nur das Drehbuch. Wir suchen gerade die Schauspieler und das Geld. Es wird in Montreal und New Jersey gedreht.

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