Was brachte Sie vom Mainstream-Kino in Hollywood zurück zum
politischen Film?
Es gab einige politische Filme während meiner Hollywood-Jahre. Zum Beispiel
beschäftigt sich Das Kartell mit ähnlichen Themen wie
der Roman (Der Stille Amerikaner) von Graham Greene. Aber wissen
Sie, ich wachte einfach eines Morgens auf und beschloss, dass ich genug davon
hatte, in Hollywood zu arbeiten. Nicht, dass ich mich dort nicht amüsiert
hätte. Es war eher wie bei einem Kind im Süßwarenladen, das
zu viel von den guten Sachen bekommen hatte. In diesem Fall war es zu viel
vom Star-System, zu viel von der Hollywood-Maschine, der Politik, die damit
verbunden ist, zu viel von den immer wieder vorgekauten Geschichten, von
der Vorhersehbarkeit, die daraus resultiert, das man aus Bestsellern Filme
macht. Bei dem großen Budget ist es nicht mehr von Bedeutung, ob der
Film gut oder schlecht ist, sondern, ob er sich an jeden verkaufen lässt.
Es war einfach all das, was Filmemachen zum Teil eines Fabrikprozesses machte.
Nach Australien zurückzukehren und an Long Walk Home zu
arbeiten, schien das Gegenmittel zu all dem zu sein. Aber es war
hauptsächlich die Geschichte von Long Walk Home selbst.
Das ist eine Story, für die man einigen überbezahlten Autoren in
Hollywood Millionen von Dollar bezahlen würden, wenn sie ihnen einfiele.
Da gibt es diese drei kleinen hilflosen Kinder, völlig unwiderstehlich.
Drei Charaktere, die sich einer wahrscheinlich nicht zu bewältigenden
Aufgabe gegenübersehen. Sie sind so weit von zu Hause weg gebracht worden,
fast bis zum Mars, dass man denkt, sie hätten überhaupt keine Chance.
Dann folgen sie diesem mystischen Zaun, der ihnen ihre Väter brachte
und sie nach Hause zurückführt. Letztlich endet es mit einem
bittersüßen Triumph. Das ist eine von diesen Erzählungen,
bei denen man denkt, es wäre toll, sie erfunden zu haben. Aber sie ist
wahr. Die Kraft dieser Geschichte war für mich unwiderstehlich. Sie
packte mich, so dass ich von Hollywood fliehen konnte.
Haben Sie das Angebot für Long Walk Home bekommen, als
Sie noch in Hollywood waren?
Oh ja, ich bekam das Angebot, als ich an Der Anschlag arbeitete,
an einem weiteren 100-Millionen-Dollar-Film. Das Telefon klingelte mitten
in der Nacht und am Apparat war diese merkwürdige Frau, die sagte: Ich
habe den perfekten Film für Sie und Sie wären der perfekte Regisseur
für diesen Film. Es war Christine Olsen, eine Dokumentarfilm-Regisseurin,
die noch nie ein Drehbuch geschrieben hatte. Aber sie hatte die Rechte an
der Geschichte gekauft und ihr erstes Drehbuch verfasst. Sie rief aus Australien
an und hatte sich mit dem Zeitunterschied vertan. Es war drei Uhr morgens.
Ich dachte nur, dass ich sie schnell und endgültig loswerden muss. Ich
riet ihr, am nächsten Morgen in meinem Büro anzurufen. Dort
hinterließ ich die Nachricht, dass man sie abwimmeln sollte. Aber diese
Botschaft kam nicht an. Christine rief am nächsten Tag in meinem Büro
an und schickte dann das Skript. Mein Assistent las es, gab es an jemand
anderen weiter, der gab es dem Nächsten und so weiter. Dann kamen alle
zu mir und sagten, dass ich die Geschichte lesen müsse. Ich lehnte es
ab. Ich wollte diesen großen Film machen. Sagte ihnen: Verschwendet
nicht meine Zeit. Zufällig las ich das Skript und dachte: Oh mein Gott,
das ist eine unglaubliche Geschichte. Und so ist es passiert.
Würden Sie sagen, dass das ein Wendepunkt in ihrer Karriere war?
Ich weiß es nicht. Aber ich glaube schon. Die Geschichte war einfach
unwiderstehlich. Ich saß in Hollywood mit wichtigen Drehbuchautoren
über dem Skript von Sum of all Fears (Der Anschlag). Ich
glaube, wir bezahlten einem Autor anderthalb Millionen Dollar und trotzdem
funktionierte die Geschichte nicht. Und dieser einfache, kleine Film, der
keine Millionen und keine Stars benötigte, schien wirklich das perfekte
Gegenmittel zu der Erfahrung in Hollywood zu sein. So viel Spaß ich
dort auch hatte, wie bereits gesagt, ähnlich dem Kind im
Bonbongeschäft.
Normalerweise hat das australische Publikum Schwierigkeiten mit black
stories. Long Walk Home war ein enormer Erfolg in ihrer
Heimat. Können Sie sich das erklären?
Der Film hat einen guten Profit erwirtschaftet. Jeder ist daran beteiligt
- die drei Kinder eingeschlossen. Wir hatten uns entschieden, ein breites
Publikum zu erreichen, und zu diesem Zweck wurde als Erstes ein Marketing-Team
eingestellt. Sie waren schon Monate vor dem Film mit der Planung
beschäftigt, wie man ihn am besten verkaufen könnte. Der Film war
ein Erfolg, weil das Publikum die Geschichte entgegennehmen, weil es sie
feiern wollte. Historisch betrachtet, gibt es einen Widerstand gegen black
stories, gegen die Wahrheit in unserer Geschichte. Aber man konnte
dieses unglaubliche Bedürfnis spüren - und bevor man einen Film
dreht, versucht man, das auszumachen -, diese Geschichte zu zelebrieren,
mit der Vergangenheit zurechtzukommen. Man musste den Zuschauern nur
einen Anstoß geben, die Hemmschwellen beseitigen. Dann würden
sie in die Kinos kommen. Daher arbeiteten wir intensiv daran, diese Kinder
zu den Kindern von allen zu machen und den Film zu verkaufen. Wir tourten
mit ihnen und ihren Familien für Monate in einem Bus von Stadt zu Stadt,
nicht nur in die großen, sondern auch in die kleinen Städte, von
Kino zu Kino. Die Kinobesitzer, speziell die der unabhängigen Kinos,
unterstützten uns und wir arbeiteten eng mit ihnen zusammen. Einer nach
dem anderen kam dazu. Es wurde zu einer Bewegung.
War es Ihnen ein persönliches Bedürfnis - als Australier - für
den Film auf diese engagierte Weise zu werben?
Nein, es war eine persönliche Angelegenheit zu beweisen, dass das Publikum
so weit war, diese Geschichte anzunehmen. Alles deutete darauf hin, dass
sie es nicht könnten. Die Vergangenheit bestätigte das. Jeder Film
zum Thema der Ureinwohner war seit den 50er-Jahren gescheitert. Das einzige
Mal, dass ein solcher Film, und zwar auch mit Thema gestohlener Kinder, Erfolg
beim Publikum hatte, war in den 50er-Jahren mit Jedda.
Das klingt nach einem Marketing a la Hollywood...
Völlig richtig. Als ich nach Hollywood ging, begriff ich schnell, dass
die ersten, die sich melden, nicht von der Produktion, sondern aus der Werbung
und dem Verkauf sind. Denn Hollywood weiß, dass Filmemachen im Wesentlichen
eine Marketing-Angelegenheit ist. Das Produkt ist nur die Entschuldigung
für die Marketing-Geschichte. Das ist die ganze Kolonialisierung, die
sie ausgearbeitet haben. Deshalb schlagen sie uns auf der ganzen Welt. Wir
denken, es geht um Kunst. Sie wissen, dass nur der Titel bzw. die Bilder
genutzt werden müssen. Man fragte mich, wie ich diese Geschichte bloß
verkaufen wolle: drei Kinder, dann auch noch schwarze Kinder, die weißen
Typen sind die Bösen
Das klang unmöglich. Aus der Perspektive
Hollywoods war das völlig egal, weil man alles verkaufen kann, auch
zwei Fliegen an der Wand, solange man sie im richtigen Winkel erwischt.
Wie wichtig ist politisches Filmemachen für Sie?
Ich weiß, dass es zwecklos ist, einen Film zu drehen, den keiner sieht.
Politisches Filmemachen geht darauf zurück, wie wir in Australien anfingen.
Die neue Welle in den späten 60er und frühen 70ern
war eine politische Bewegung in Australien. Man konnte keinen australischen
Film sehen, weil die Kinos in amerikanischer Hand waren. Selbst wenn wir
einen Film herausbrachten, konnten wir ihn nicht zeigen. Wir führten
einen heftigen Kampf, um die Leinwände zurückzuerobern und auf
ihnen unsere eigenen Geschichten zu erzählen. Und egal, ob wir leichte
Unterhaltung oder historische Filme drehten, wir waren alle in dieser
nationalistischen Bewegung vereint, um unsere Identität auszudrücken
und sie auf der Leinwand zu definieren. Wichtig war, dass man Teil einer
Diskussion war. Wir definierten unsere Geschichte. Ich kann mich noch daran
erinnern, wie die Australier lachten, als sie ihre eigenen Stimmen auf der
Leinwand hörten. Wie ein Baby, das in den Spiegel schaut und über
sein eigenes Gesicht lacht. Wir hatten vorher nie unsere eigenen Bilder oder
unsere Erfahrungen auf der Leinwand gesehen. Am Anfang war das wirklich
verrückt für uns. Aber es war wichtig, das zu tun. So waren diese
beiden Filme eine Rückkehr nach dem Aufenthalt in Hollywood. Es ist
großartig, in diesem riesigen Sandkasten mit all dem teuren Spielzeug
zu spielen, aber es ist nicht dasselbe, wie ein Teil dieser unglaublichen
Diskussion zu sein. Als Long Walk Home in deren Mittelpunkt
rückte, war das wie meine Wiedergeburt als Filmemacher. Es war eine
Rückkehr zu den Anfängen.
Wie reagierten die Aborigines auf den Film?
Ich bin kein Aborigine, also kann ich die echte Reaktion nicht beschreiben.
Ich erwartete, als fetter Kater aus Hollywood und Weißer attackiert
zu werden. Vielleicht nicht für das Stehlen von Kindern, aber für
den Diebstahl einer Geschichte. Ich war überrascht, als das nicht passierte.
Das sagt mehr über diese Geschichte und unsere Vergangenheit aus als
alles andere. Als wir mit unserem Film durchs Land tourten, stießen
wir an vielen Orten auf Menschenansammlungen, die uns anstatt mit
Demonstrationsplakaten gegen unseren Film mit Geschenken begrüßten
- Bilder, Speere, Schilder, Skulpturen, jede Art von Geschenken. Die Leute
bedankten sich dafür, dass ihnen erlaubt wurde zu sagen, dass es wirklich
passiert war. Gerade weil ich Teil des Mainstream, weil ich Teil des
Establishment, weil ich weiß war und weil dieser Film nun in
den Mainstream-Kinos und nicht im Ghetto, im Arthouse, und nicht den bereits
von diesem Thema Überzeugten, sondern den Zweiflern gezeigt wurde. Die
Aborigines waren froh darüber, dass dieser Film ein Teil der Populär-
und nicht der marginalisierten Kultur wurde. Nicht als Außenseiter-,
sondern Insidergeschichte, als Teil einer Geschichte für alle. Es hatte
jahrelang Versuche gegeben, die Existenz der Stolen Generations
zu leugnen, zu behaupten, dass sie auf falschen Aussagen beruht, dass es
sich um Leute handele, die nicht akzeptieren konnten, dass ihre Eltern sie
nicht liebten oder dass diese unfähig waren, sich um sie zu kümmern.
Dass sie also zu ihrem eigenen Vorteil getrennt wurden. Dass sie davor gerettet
wurden, umgebracht zu werden. Die Mainstream-Kultur Australiens hatte die
Erfahrung dieser Menschen abgelehnt. Und nun können sie sagen: Siehst
du, es ist passiert. Weil es im Film zu sehen ist. Und dann auch noch von
einem weißen Mann aus Hollywood gedreht. Es muss wahr sein.
Wie wichtig ist es für Sie mit großen Stars zu arbeiten - wie
mit Michael Caine in Der Stille Amerikaner oder Kenneth Branagh
in Long Walk Home?
Es ist immer nützlich. Sie helfen einem, ein Publikum zu finden.
Insbesondere helfen sie, das Geld für den Film zusammenzubekommen. Das
ganze Filmfinanzierungssystem basiert auf den Stars. So wie sie das
Geschäft heutzutage kontrollieren, haben ihre Entscheidungen Einfluss
auf die Realisierung eines Films. Kenneth Branagh ist kein großer Filmstar,
aber er half uns, Long Walk Home in der ganzen Welt zu verkaufen.
Es kann ganz schön schwierig sein, einen Film mit drei unbekannten
Laiendarstellern in den Hauptrollen zu verkaufen.
Was planen Sie als Nächstes?
Ein amerikanisches Idyll, den Roman von Phillip Roth. Er spielt
in Amerika während der 60er-Jahre. Es gibt bislang nur das Drehbuch.
Wir suchen gerade die Schauspieler und das Geld. Es wird in Montreal und
New Jersey gedreht.
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