Die Rückkehr des Cool wurde vor einigen Monaten durch
Oceans Eleven
eingeläutet, einer Neuverfilmung der 1963 entstandenen Gangster-Posse
mit dem deutschen Titel Frankie und seine Spießgesellen. Einer dieser
Gesellen war Dean Martin, der, gemeinsam mit Frank Sinatra, wie kein anderer,
das Phänomen der unbeschwerten Leichtigkeit des amerikanischen Seins
frönte. An diesen beiden scheiden sich bis heute die Geister. Entweder
man liebt sie abgöttisch oder man bezeichnet sie verächtlich als
Schnulzensänger. Zeit heilt bekanntlich alle Wunden, und so finden sich
zahlreiche wiederveröffentlichte Aufnahmen des Crooners, mit seinen
teilweise legendären Auftritten, wieder in den Abteilungen der großen
Musikkaufhäuser. Mag man den Gesängen des, als Dino Crocetti geborenen,
späteren Mitglieds des Rat-Packs noch verfallen, so entzaubert der
amerikanische Musikjournalist und Autor Nick Tosches seinen Mythos
gründlich.
Das vorliegende Buch, das 1992, unter dem bezeichnenden Titel DINO
- Living High In The Dirty Business Of Dreams, in den USA erschien, sorgte
für Furore. Denn nicht alleine der Mensch Dean Martin, sein Talent und
sein Erfolg stand im Vordergrund des Buches, auch nicht der Klatsch des
Showbusiness, sondern vielmehr das gesellschaftliche Terrain und das politische
Establishment jener Jahre, in der John F. Kennedy das Land regierte und
nachhaltig prägte. Tosches blickt weit in die Geschichte des Home
Of The Brave zurück. Er zeichnet die Wege der Einwanderer nach,
die, vertrauensselig und voller Hoffnungen, im Hafen von New York ankommen.
Unter ihnen auch die armen Großeltern Dean Martins, die aus den Abruzzen
kommend, bei Verwandten in Steubenville, einem kleinen Nest in der Nähe
von New York, Unterkunft finden. In diesen Melting Pot, mit seinen verschiedenen
Ethnien, Sprachen und Religionen, wird der kleine Dino 1913 hineingeboren.
Bis zu seinem fünften Lebensjahr spricht er nur italienisch. Da stand
es, auf dem Regal in Guy Crocettis Barbierladen, zusammen mit den anderen
Scheich-Ölen: Auerbachs Milion Dollar Hair Tonic. Es belebte die
Kopfhaut und verlieh den Möchtegern-Valentinos den sinnlichen, irisierenden
Schimmer vornehmer Eleganz. Wenn man dann noch eine Zigarette mit einstudierter
Lässigkeit im Mundwinkel baumeln ließ und eine Augenbraue leicht
anhob, war der Effekt vollkommen. So schildert Tosches den Jugendlichen,
der einige Jahre später, dank seiner schmachtenden Stimme und seines
sanften Timbres, zu nationaler Berühmtheit gelangen sollte.
Die Streitigkeiten mit Jerry Lewis, seine vielen Ehen, seine Launen
- alles Legende. Erst als der Journalist Frank Sinatra mit ins Spiel bringt,
der ebenfalls einer italienischen Einwandererfamilie entstammt, zeigt sich
Dean Martins ambivalentes Verhältnis zu Geld, Ruhm und Publicity. Wo
Sinatra grenzenlos extrovertiert ist und sich nicht genug im Scheinwerferlicht
sonnen kann, scheint Martin den Gegenpart zu übernehmen.
Öffentlichkeit ist für ihn ein Fluch. Man genießt Privilegien,
zahlt jedoch einen hohen Preis: seine Unabhängigkeit. Und darauf war
der Sänger stets bedacht. Der Rex Cigar Store, das Jungle Inn, der 500
Club, das Riviera: die atemberaubende, in den nächtlichen Himmel ragende
Neonkathedrale des Flamingo war die Erweiterung und Vervollkommnung all dieser
Etablisements. Hier paarte sich Unterwelt und Amerikanischer Traum,
vermählt von Gott und dem Staat, gesalbt mit dem Blut Bugsy Siegels,
angetrieben von blinder Gier. Das Flamingo war der Vergnügungsdom dieses
aus Fertigteilen zusammengesetzten, neuen gelobten Landes: eines Landes aus
Chrom, nicht aus Gold, aus Armstrong-Linoleum, nicht aus Carrara-Marmor,
aus modischem Tagesjargon, nicht aus Epos und Prophezeiung. Traditionelle
Werte bedeutendem leidenschaftlichen Familienvater sehr viel und Integrität
ist einer davon. Ehre ist für ihn kein bloßer Begriff, wie für
viele andere korrumpierte Vertreter seiner Zukunft und Herkunft, wie z. B.
Frank Sinatra. Am deutlichsten tritt dies bei der Unterstützung Kennedys
zu Tage. Der nonchalante Sänger interessiert sich nicht sonderlich für
Politik. Von seinen Eltern hat er gelernt, dass die da Oben selten
etwas für die kleinen Leute tun und man sich vor ihnen und
ihrer Macht in Acht nehmen soll. In seinem akribisch recherchierten Buch
fällt Tosches dementsprechend ein vernichtendes Urteil über die
Beziehung zwischen dem Sänger und dem Präsidenten. Der Typ (Kennedy,
Anmerkung d. A.) hatte von seinem Vater ein Land als Spielzeug bekommen,
so wie andere Söhne von ihren Vätern eine elektrische Eisenbahn
bekamen. In den Augen des Vaters hatte die schmutzige Gier auf irdische
Besitztümer geglimmt - in denen des Sohnes gab es nur Frauen, Ehrgeiz
und die Sorte Idealismus, die aus einer behüteten, sorgenfreien Kindheit
herrührt. Er war nichts weiter als eine Little-Lord-Fauntleroy-Version.
Schonungslos lässt der Journalist die Seifenblase des American
Dream platzen und setzt Dean Martin und Frank Sinatra synonym für die
darin enthaltenen Hoffnungen und Erwartungen. In ihnen spiegeln sich die
Abgründe der amerikanischen Gesellschaft wider. Die Korruption der Politik
durch die Mafia, die ihre Fangarme wie eine Krake überall hin ausstreckt;
das Trauma des Vietnamkrieges, dem der Sänger skeptisch und ablehnend
gegenüberstand; das uneingelöste Versprechen des multikulturellen
Miteinander in einem Land gleicher unter Gleichen.
Nick Tosches ist ein kluges, weitsichtiges Buch gelungen, dass das
Leben eines, als trivial empfundenen Zeitgenossen zum Anlaß nimmt,
um eine ganze Epoche zu durchleuchten. Er betrachtet die Verquickung von
Politik, Medien und Showgeschäft und deckt die Mechanismen auf, die
eine derartige Vorgehensweise ermöglichen. Nicht zuletzt dank seines
flüssigen Schreibstils, bietet dieses Buch eine äußerst
kurzweilige Unterhaltung.
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