Nick Tosches: Dino - Rat-Pack, die Mafia und der große Traum vom Glück

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Daten zum Buch

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Aus dem Amerikanischen v. Fritz Schneider
Kt., 703 Seiten, mit Abb.
Heyne Verlag, 2002

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Nick Tosches: Dino - Rat-Pack, die Mafia und der große Traum vom Glück
Kritik von Dagmar Hotze

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Die Rückkehr des Cool wurde vor einigen Monaten durch Ocean’s Eleven eingeläutet, einer Neuverfilmung der 1963 entstandenen Gangster-Posse mit dem deutschen Titel Frankie und seine Spießgesellen. Einer dieser Gesellen war Dean Martin, der, gemeinsam mit Frank Sinatra, wie kein anderer, das Phänomen der unbeschwerten Leichtigkeit des amerikanischen Seins frönte. An diesen beiden scheiden sich bis heute die Geister. Entweder man liebt sie abgöttisch oder man bezeichnet sie verächtlich als Schnulzensänger. Zeit heilt bekanntlich alle Wunden, und so finden sich zahlreiche wiederveröffentlichte Aufnahmen des Crooners, mit seinen teilweise legendären Auftritten, wieder in den Abteilungen der großen Musikkaufhäuser. Mag man den Gesängen des, als Dino Crocetti geborenen, späteren Mitglieds des Rat-Packs noch verfallen, so entzaubert der amerikanische Musikjournalist und Autor Nick Tosches seinen Mythos gründlich.

Das vorliegende Buch, das 1992, unter dem bezeichnenden Titel DINO - Living High In The Dirty Business Of Dreams, in den USA erschien, sorgte für Furore. Denn nicht alleine der Mensch Dean Martin, sein Talent und sein Erfolg stand im Vordergrund des Buches, auch nicht der Klatsch des Showbusiness, sondern vielmehr das gesellschaftliche Terrain und das politische Establishment jener Jahre, in der John F. Kennedy das Land regierte und nachhaltig prägte. Tosches blickt weit in die Geschichte des „Home Of The Brave“ zurück. Er zeichnet die Wege der Einwanderer nach, die, vertrauensselig und voller Hoffnungen, im Hafen von New York ankommen. Unter ihnen auch die armen Großeltern Dean Martins, die aus den Abruzzen kommend, bei Verwandten in Steubenville, einem kleinen Nest in der Nähe von New York, Unterkunft finden. In diesen Melting Pot, mit seinen verschiedenen Ethnien, Sprachen und Religionen, wird der kleine Dino 1913 hineingeboren. Bis zu seinem fünften Lebensjahr spricht er nur italienisch. Da stand es, auf dem Regal in Guy Crocettis Barbierladen, zusammen mit den anderen Scheich-Ölen: Auerbach’s Milion Dollar Hair Tonic. Es belebte die Kopfhaut und verlieh den Möchtegern-Valentinos den sinnlichen, irisierenden Schimmer vornehmer Eleganz. Wenn man dann noch eine Zigarette mit einstudierter Lässigkeit im Mundwinkel baumeln ließ und eine Augenbraue leicht anhob, war der Effekt vollkommen. So schildert Tosches den Jugendlichen, der einige Jahre später, dank seiner schmachtenden Stimme und seines sanften Timbres, zu nationaler Berühmtheit gelangen sollte.

Die Streitigkeiten mit Jerry Lewis, seine vielen Ehen, seine Launen - alles Legende. Erst als der Journalist Frank Sinatra mit ins Spiel bringt, der ebenfalls einer italienischen Einwandererfamilie entstammt, zeigt sich Dean Martins ambivalentes Verhältnis zu Geld, Ruhm und Publicity. Wo Sinatra grenzenlos extrovertiert ist und sich nicht genug im Scheinwerferlicht sonnen kann, scheint Martin den Gegenpart zu übernehmen. Öffentlichkeit ist für ihn ein Fluch. Man genießt Privilegien, zahlt jedoch einen hohen Preis: seine Unabhängigkeit. Und darauf war der Sänger stets bedacht. Der Rex Cigar Store, das Jungle Inn, der 500 Club, das Riviera: die atemberaubende, in den nächtlichen Himmel ragende Neonkathedrale des Flamingo war die Erweiterung und Vervollkommnung all dieser Etablisements. Hier paarte sich Unterwelt und Amerikanischer Traum, vermählt von Gott und dem Staat, gesalbt mit dem Blut Bugsy Siegels, angetrieben von blinder Gier. Das Flamingo war der Vergnügungsdom dieses aus Fertigteilen zusammengesetzten, neuen gelobten Landes: eines Landes aus Chrom, nicht aus Gold, aus Armstrong-Linoleum, nicht aus Carrara-Marmor, aus modischem Tagesjargon, nicht aus Epos und Prophezeiung. Traditionelle Werte bedeutendem leidenschaftlichen Familienvater sehr viel und Integrität ist einer davon. Ehre ist für ihn kein bloßer Begriff, wie für viele andere korrumpierte Vertreter seiner Zukunft und Herkunft, wie z. B. Frank Sinatra. Am deutlichsten tritt dies bei der Unterstützung Kennedys zu Tage. Der nonchalante Sänger interessiert sich nicht sonderlich für Politik. Von seinen Eltern hat er gelernt, dass die „da Oben“ selten etwas für „die kleinen Leute“ tun und man sich vor ihnen und ihrer Macht in Acht nehmen soll. In seinem akribisch recherchierten Buch fällt Tosches dementsprechend ein vernichtendes Urteil über die Beziehung zwischen dem Sänger und dem Präsidenten. Der Typ (Kennedy, Anmerkung d. A.) hatte von seinem Vater ein Land als Spielzeug bekommen, so wie andere Söhne von ihren Vätern eine elektrische Eisenbahn bekamen. In den Augen des Vaters hatte die schmutzige Gier auf irdische Besitztümer geglimmt - in denen des Sohnes gab es nur Frauen, Ehrgeiz und die Sorte Idealismus, die aus einer behüteten, sorgenfreien Kindheit herrührt. Er war nichts weiter als eine Little-Lord-Fauntleroy-Version.

Schonungslos lässt der Journalist die Seifenblase des American Dream platzen und setzt Dean Martin und Frank Sinatra synonym für die darin enthaltenen Hoffnungen und Erwartungen. In ihnen spiegeln sich die Abgründe der amerikanischen Gesellschaft wider. Die Korruption der Politik durch die Mafia, die ihre Fangarme wie eine Krake überall hin ausstreckt; das Trauma des Vietnamkrieges, dem der Sänger skeptisch und ablehnend gegenüberstand; das uneingelöste Versprechen des multikulturellen Miteinander in einem Land gleicher unter Gleichen.

Nick Tosches ist ein kluges, weitsichtiges Buch gelungen, dass das Leben eines, als trivial empfundenen Zeitgenossen zum Anlaß nimmt, um eine ganze Epoche zu durchleuchten. Er betrachtet die Verquickung von Politik, Medien und Showgeschäft und deckt die Mechanismen auf, die eine derartige Vorgehensweise ermöglichen. Nicht zuletzt dank seines flüssigen Schreibstils, bietet dieses Buch eine äußerst kurzweilige Unterhaltung.

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