But I think that Nigeria may still, surprisingly, be the hope
of African cinema. I think that the country is full of surprises. I think
after our New York experience, you will be surprised. We may as well redefine
the concept of African cinema.
- Tunde Kelani
Die International Movie Database führt nur zwei Filme
mit Tunde Kelani, einmal ist er als Darsteller, einmal als Produzent genannt.
Das Werk des bedeutendsten nigerianischen Filmemachers existiert nicht, in
den Augen der Welt. Nun ist Filmemacher schon nicht ganz richtig, denn wie
alle der (jährlich derzeit einen Ausstoß von fast 1000 Filmen
produzierenden) Regisseure aus Nigeria dreht er auf Video, mit billiger
Ausrüstung, in billigen Dekors (genauer gesagt: auf der Straße,
in Wohnungen) und wäre man geneigt, filmhistorische Zuordnungen zu
versuchen, könnte man das ganze einen der Not und der Lust am Drauflosfilmen
abgewonnenen Neorealismus nennen. Mit jeder Menge Geisterglauben allerdings,
denn der gehört dazu zum nigerianischen Blick auf die
Gesellschaft.
Jedenfalls liest man das - und in den zwei nigerianischen Videofilmen,
die ich gesehen habe, finde ich es bestätigt. Der erste trägt schon
den Titel "Beyond Belief", eine Geschichte im engeren Sinne hat er nicht,
Waffen allerdings, Prostitution, Familienprobleme werden, vorsichtig gesagt:
thematisiert. Vor die Kamera gebracht. Die Kamera hält drauf auf Darsteller,
die ihre eigenen Ideen davon haben, was man tut als Darsteller. Von hölzern
bis exaltiert entfaltet sich eine wilde Schauspielstilmischung, die wohl
nicht der Wirklichkeit und der Idee wirklichkeitsgetreuer Darstellung abgerungen
ist, sondern der ungeschulten Vorstellung davon, was es heißen kann,
vor einer Kamera zu stehen und eine fiktive Geschichte illusionistisch zu
spielen. Natürlich fehlt mir jeglicher Referenzrahmen. Ich kenne nicht
die Codes der Gesten, die Codes des Alltags in Nigeria. Ich bin zu wilden
Mutmaßungen und Extrapolationen gezwungen, will ich irgendetwas sagen
über das, was ich sehe. Das Outrierte im Spiel des Vaters findet sein
Maß nur am vergleichsweise gezügelten Spiel manch anderen Darstellers.
Ich lese, dass sich die Nigerianer in starkem Maße mit den Geschehnissen
der Fiktion identifizieren. Ich denke an Gute Zeiten, Schlechte Zeiten.
Die Darsteller sprechen englisch, aber in einer mir kaum verständlichen
afrikanischen (nigerianischen?) Variante. Das Maß der Ferne und
Begreifbarkeit des Gesehenen wird dadurch zusätzlich verwirrt. Manchmal
scheine ich zu verstehen, insgesamt finde ich es beinahe
unerträglich.
Tunde Kelanis "Agogo Eewo" ist in Yoruba, einer der Landessprachen
Nigerias gedreht. Der Untertitel wegen ist das viel verständlicher.
Der Videofilm wird auf die große Leinwand projiziert, im Walter Reade
Theater der New Yorker Film Society, die eines der großen Zentren der
globalen Filmkultur ist, neben der Cinemathèque, dem Berliner Arsenal.
Im Rahmen des afrikanischen Filmfestivals gibt es eine mid career
retrospective Kelanis. Sein Werk existiert in den Augen der Welt. Im
Publikum, am Nachmittag, fast nur Schwarzafrikaner. Die Musik, die leitmotivisch
eingesetzt wird, dem Film zugleich einen Rhythmus gibt, ist simpel melodisch
und mit Synthesizer simpel instrumentiert, aber beinahe ein Ohrwurm. Unterbrochen
wird das Spielgeschehen immer wieder von Musikeinlagen, sehr perkussiv, sie
scheinen halb der Diegese zuordenbar, halb auch nicht. Es ist vielleicht
nicht ganz verkehrt, an Bollywood zu denken (das in Afrika viel präsenter
ist als in unseren Breitengraden), aber ohne allen Exzess. Und vielleicht
ist es doch ganz verkehrt an Bollywood zu denken, vielleicht hat es nur mit
Nigeria, mit Afrika zu tun: Probleme werden gesangsförmig gemacht als
eine Art, ihnen eine Form, eine Darstellung zu geben. Vorgestellt, im ersten
Gesang, wird Jogbo, der Staat, der einen neuen Herrscher sucht, Jogbo, ein
Staat mit großen Problemen.
Damit sind wir schon in der Handlung, die allegorisch ist. Eine Allegorie,
die sich der bricolage bedient und aus dem, was da ist, Sinn schafft.
Aus einer Armut an Mitteln gewinnt der Film durchaus einen Reichtum an Bedeutung.
Es bleibt freilich, wenn man es so paradox formulieren kann, ein simpler
Reichtum. Something is rotten in the state of Jogbo. Die Berater,
die sich einen jungen König ausgesucht haben im Glauben, er sei leicht
zu beherrschen, sehen sich bald einer aufrechten Beraterschar gegenüber
und einem König, der zögert, sich aber zuletzt für das Richtige
entscheidet. Die Frau des Königs spielt ihre in Richtung Lady Macbeth
schillernde, zuletzt aber weniger dämonische Rolle. Aufgelöst wird
die Lage durch einen "deus ex machina", einen Schwur, der dem Film den Titel
gibt. Dieser Schwur, den alle Politiker zu leisten haben, hat die Kraft,
den zu töten, der gegen die darin gegebenen Versprechen
verstößt. Das ist dann der Höhepunkt des Films: die korrupten
Berater kippen tot von der Bank. Wie sehr die Kraft des Schwurs bare Münze
ist, wie sehr Metapher: ich kann es nicht entscheiden.
Angesiedelt ist alles im nigerianischen Alltag - falls ich das richtig
identifiziere. "Agogo Eewo" ist das Sequel zu "Saworoide", einer anderen
politischen Allegorie Kelanis - die allerdings die Diktatur gewidmet war
so wie der Nachfolger nun der Hoffnung auf demokratischere Zustände.
Der nigerianische Videofilm hat eine starke Tendenz zum Sequel (das es ja
beispielsweise in Bollywood überhaupt nicht gibt), die nicht zuletzt
daher rührt, scheint mir, dass die Rezeptionsform sehr fernsehähnlich
ist. Die Filme werden in erster Linie nicht in Kinos gezeigt, sondern zu
Hause in den Videoplayer geschoben und auf dem Fernseher gesehen. Bei einem
Erfolg lässt sich die Fortsetzung innerhalb kürzester Zeit drehen,
eine Woche vielleicht, schnell zusammenschneiden, günstige Bedingungen
für einen Markt und rasche Reaktionen auf Bedürfnisse.
Allerdings gilt das für Kelanis Filme noch am wenigsten, hinter
der Professionalität - zum Beispiel der Kamera, aber auch der Darsteller
- steckt offenkundig eine Menge Arbeit. Kelani, der ein Kamera-Diplom der
London International Film School besitzt, hat, so ist in einem Interview
zu erfahren, gerade fünfzehn Monate lang gar keinen Film gedreht. Er
plant grenzüberschreitende Projekte. Die in "Agogo Eewo" verwendete
recht hoch auflösende Videokamera ist das Geschenk eines nigerianischen
Mäzens. Kelani träumt von 35 mm.
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