Rot lodert das Feuer des Stahlofens. Funken sprühen. Stahl wird
in Form gebracht. Metallisch klingt der Arbeitsvorgang. "Play Visconti. La
caduta degli dei" nennt sich die Installation von Thomas Heise, die im Filmmuseum
Berlin im Focus einer bis zum 16. November laufenden Ausstellung steht.
"Götterdämmerung. Luchino Viscontis deutsche Trilogie" - so der
übergeordnete Titel - konzentriert sich auf drei Werke des 1976 verstorbenen
italienischen Regisseurs. 1969 entstand der erste Film, auf Deutsch "Die
Verdammten", der in einer modernen Version von "Macbeth" den Untergang einer
Großindustriellenfamilie schildert, deren Mitglieder sich gegenseitig
auslöschen und die mit den Nazis paktierte. Ähnlichkeiten mit der
Essener Stahldynastie Krupp in der "Villa Hügel" waren beabsichtigt.
Durch einen roten Gang betritt man den ganz in Schwarz gehaltenen zentralen
Ausstellungsraum mit der Installation von Thomas Heise. An den Wänden
finden sich Filmfotos und zwei Leinwände, auf denen Episoden aus den
anderen Teilen der Trilogie zu sehen sind. Gustav von Aschenbach sitzt in
einem Sonnenstuhl am Lido von Venedig. Schweiß läuft über
sein wächsernes, weiß geschminktes Gesicht. Der "Tod in Venedig",
1971 nach dem Roman von Thomas Mann verfilmt, erzählt von der Zuneigung
des Komponisten zu einem Jungen. Die Welt steht kurz vor dem Ausbruch eines
Krieges, und der alternde Mann sieht dem eigenen Verfall im morbiden Ambiente
der Lagunenstadt zu.
Auf der entgegengesetzten Seite Fotos aus dem Film "Ludwig" von 1973. Kein
Schweißtropfen verunziert das königliche Anlitz des Bauherren
der Märchenschlösser. An seiner Seite Sisi, die Kaiserin von
Österreich. Die Bewegung der Leinwände, auf denen Aschenbach schwitzt,
kontrastiert mit der Hermetik der Filmstills. Ihr Scheitern verbindet die
beiden Männer. Visconti habe die Wendepunkte, "folgenschwere Brüche
in der deutschen Geschichte" in seiner Trilogie verarbeitet - vom Faschismus
über den ersten Weltkrieg bis zur Reichsgründung, entnimmt man
dem mit Texten von Zeitzeugen, Filmkritiken und Interviews (zum Beispiel
mit Visconti und dem Kostümbildner Piero Tosi) ausgestattetem Begleitbuch.*
Das eigentliche Zentrum des durch die Filmsequenzen illuminierten und durch
die Text- und Musikpassagen aus "Die Verdammten" erfüllten Raums ist
ein breiter, schwarzer Konferenztisch mit zwölf schwarzen Stühlen.
Auf ihm sind sechs Laptops verteilt. Vor ihnen befinden sich weiße
Tischkarten mit den Namen und der gesellschaftlichen Stellung von
Familienangehörigen, für die sie stellvertretend stehen. Sechs
weitere Porträtfotos sind in der Tischplatte eingelassen.
Wie in dem Kinofilm spielt sich das Familienleben rund um den Tisch ab. Am
Anfang wird der Geburtstag des Patriarchen an einer festlichen Tafel gefeiert.
Am nächsten Morgen, nach dem Reichstagsbrand in Berlin, liegt er ermordet
in seinem Bett. Auf dem Laptop, der in der Ausstellung seinen Platz einnimmt,
erscheint während der Tat die Fassade der Villa. Dann erlischt das Bild,
geht in schwarzweißes Rauschen über.
So ergeht es nach und nach fast jedem aus der Familie - und den übrigen
fünf Computern. An den beiden Kopfseiten des breiten Tisches zeigen
die Leinwände zum Schluss den in schwarzer SS-Uniform gekleideten
Industriellensohn mit zum Hitlergruß erhobenem Arm. Die Gestalt
verschwimmt, macht den rot glühenden Funken aus dem Hochofen Platz.
Ohne den Film in ganzer Länge gesehen zu haben, versteht man durch die
gelungene Verdichtung in der Installation seine These. Aus dem Privaten wird
vom Ende der Zivilgesellschaft berichtet. "Für den Regisseur war die
Familie der Raum, Geschichte als Energiefeld erfahrbar zu machen." Eine
"Götterdämmerung" - in Anlehnung an Wagner -, die Visconti noch
Ende der 60er-Jahre, als er mit seiner Arbeit an der Trilogie begann,
voranschreiten sah.
Wer tiefer in das Thema einsteigen möchte, liest sich im ersten
Ausstellungsraum fest, in dem analog zum breiten Konferenz- ein Arbeitstisch
mit Zeitungsausschnitten aus dem Archiv Viscontis, Drehbuchvorlagen,
Kamerapositionen und Briefen aufgebaut wurde.
Bis 16. November im Filmmuseum am Potsdamer Platz. Di-So 10-18 Uhr, Do 10-20
Uhr; Eintritt frei
* Begleitbuch zur Ausstellung "Götterdämmerung - Luchino Viscontis
deutsche Trilogie" im Filmmuseum Berlin. Jovis-Verlag
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