Werner Herzog, der Außenseiter unter den Filmregisseuren
des Neuen Deutschen Films, wird am 5. September 60 Jahre alt. Das Filmmuseum
Berlin ehrt den in L.A. lebenden Künstler mit einer Sonderausstellung.
Herzog in the Box - wie passt das Museumsformat zum Regisseur, passt der
Regisseur ins Format?
Das beste Statement zu diesem Vorhaben gab der Künstler selbst.
In einem Interview gefragt, ob er sich über die Würdigung in Form
dieser Ausstellung freue, antwortete Werner Herzog mit einem Nein. Wie sollte
man diese expressive Erscheinung, die ekstatische Bilder produziert, in einem
Museum domestizieren können (oder wollen)? Ein Widerspruch, dem sich
die Ausstellungsmacher wohlweislich ausgesetzt haben, um einen der
eigensinnigsten deutschen Filmemacher einer breiteren Öffentlichkeit
zugänglich zu machen.
Filmen als schweißtreibende Arbeit. Mit knapp 20 Jahren
debütierte der in den oberbayrischen Bergen aufgewachsene Herzog mit
dem Kurzfilm Herakles über muskelbepackte Männer. Mehr
als vierzig Spiel- und Dokumentarfilme drehte er in den letzten vier Jahrzehnten.
Darunter viele, die nie im Kino zu sehen waren. Im Gedächtnis bleiben
aus jüngster Zeit der Dokumentarfilm Mein liebster Feind
(1999) über die intensive Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Klaus
Kinski oder Invincible, ein Spielfilm über den stärksten
Mann der Welt. Für den Kaspar-Hauser-Film Jeder für sich
und Gott gegen alle erhielt Herzog 1975 den Spezialpreis der Jury in
Cannes. Dazu kommen zahlreiche Publikationen und Operninszenierungen - wie
unlängst der Fliegende Holländer in Erfurt.
Als Nächstes wird Werner Herzog in einer Gemeinschaftsproduktion
von sieben renommierten Regisseuren (u.a. Spike Lee, Wim Wenders und Aki
Kaurismäki) auf der Leinwand zu sehen bzw. zu hören sein. Am 19.12.
startet Ten Minutes Older, für den jeder der Filmemacher
zehn Minuten Filmzeit bekam, um die eigene Vorstellung von Zeit umzusetzen.
Werner Herzog reiste dazu - wen wunderts - in den Regenwald.
Vierzig Jahre Filmgeschichte dieses Ausnahmeregisseurs dokumentiert
die Ausstellung im Filmmuseum mit umfangreichem Textmaterial, Kostümen
- so z.B. das weiße Spitzenkleid von Claudia Cardinale, das sie als
Molly in Fitzcarraldo trug -, Ausschnitten aus seinen Filmen
und mit einer begleitenden Retrospektive im Kino Arsenal. Eindrucksvolle
Standbilder liefert der Schweizer Fotograf Beat Presser, der bei drei
Herzog-Filmen dabei war. Seine Aufnahmen spiegeln den Prozess der Dreharbeiten
als physischen Kraftakt wider.
Etwas seltsam mutete in der Ausstellung die Losgelöstheit der
Person Herzog von allen gesellschaftspolitischen Ereignissen in den letzten
Jahrzehnten an. Keine Querverbindung zu einem anderen Regisseur (außer
zu Murnau in Verbindung mit Nosferatu) ist zu finden. Werner
Herzog steht hier als singuläre Erscheinung, als Monolith, für
sich selbst.
Borderliner unter sich: Untrennbar verbunden ist Werner Herzog mit
dem Enfant terrible des deutschen Films, dem Schauspieler Klaus Kinski. Mit
ihm drehte der Regisseur in den 70er- und 80er-Jahren einige Meisterwerke,
darunter Aguirre, der Zorn Gottes, Nosferatu und
Fitzcarraldo. Der Arbeitsvertrag mit Klaus Kinski in einer Vitrine
dokumentiert die Auflagen zur optimalen Star-Versorgung am Set: drei Liter
Mineralwasser am Tag, frisches Obst und Gemüse, kühle Drinks. Aber
auch den Motorradführerschein der Kostümbildnerin Gisela Storch
oder einen Cartoon von Traxler, der unter dem Titel Leute von
gestern den steten Hang zum Grenzerlebnis bei Herzog aufs Korn nimmt,
findet man hier. Der Regisseur sei ein humorvoller Mensch, man wird nicht
müde, auf der Pressekonferenz diese Seite des als Egomanen verschrienen
Regisseurs hervorzuheben.
Exaltierte Außenseiter an extremen Orten, die an ihren Obsessionen
zu Grunde gehen, sind die Charaktere in Herzogs Filmen. Seinen Ruf als Egomane
zementierten seine Filmprojekte, die manchmal fast am eigenen
Größenwahn scheiterten. Sein Umgang mit Filmgattungen ist
grenzüberschreitend: Dokumentarisches findet sich in seinen Spiel-,
Erdachtes in seinen Dokumentarfilmen. Eine Absage an den Glauben ans Faktische
des Cinema Verité formulierte Herzog 99 in der
Minnesota Declaration: Truth and Fact in Documentary Cinema-
auch das liest man im Filmmuseum oder auf seiner
Homepage
nach.
Sinnlich erfahrbar wird Herzogs Arbeit durch vier große
Lichtsäulen im Ausstellungsraum, auf denen Fotos der Filme zu einer
Collage montiert wurden. Von der Sahara bis zum Regenwald, von der Eckkneipe
bis zu den Aborigines in Australien - Werner Herzogs Filmuniversum kennt
weder Gattungs- noch Schmerzgrenzen, und der Regisseur macht sich in die
entlegenen Winkel der Welt und zu absurdesten Wahrnehmungen auf.
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