Eine Einführung, vom Blatt gelesen, für den WDR, Frieda Grafe
mit etwas unordentlichen längeren Haaren, plötzlich verstehe ich,
wie Josef von Sternberg sie schön finden konnte. Es ist, jetzt im Arsenal,
ihr siebzigster Geburtstag, wäre sie nicht tot, Enno Patalas liest vor
aus dem neuen Buch in der Reihe ihrer Schriften.
Dann der Film.
Am Beginn eine Zigarette ganz rechts auf den Tasten des Klaviers, wo die
Hand nicht hingreifen wird. Gleich darauf, die Kamera schwenkt ein Stück
nach links, ein Scherz mit einer Münze, die in eine Vase fällt
und die Blicke der Sänger trauern ihr hinterher. Gesang, Melodram.
Münze, Scherz. Zigarette, Vergänglichkeit und Glück, aber
das kann man jetzt natürlich noch nicht ahnen. Die Kamera fährt
eine Bar entlang, Hongkong. Die Bar ist viele Bars, russisch, französisch
und amerikanisch. Mit Liebe, sehr viel Liebe wird ein Cocktail zubereitet.
Die Erzählung assoziiert sich bis hierhin durch den Raum, zu Scherzen
aufgelegt. Der Mann, dem der Cocktail zubereitet wird, setzt an, ihn zu trinken,
wird gerempelt, der Cocktail dahin, er dreht sich um und sofort, plötzlich,
in diesem Moment ist niemand mehr zu Scherzen aufgelegt.
Wenn es Liebe auf den ersten Blick gibt, im Kino, dann ist das hier so ein
Fall. Daran gibt es keine Sekunde lang einen Zweifel. Zwar verabschiedet
man sich rasch wieder, "Auf Wiedersehen", das Glück muss nicht dauern,
Abschiede über Abschiede folgen und Wiederbegegnungen, die beiden werden
ein Glück zu erfahren, das nicht dauern kann. Jetzt also die Konstruktion,
auf die man erst mal kommen muss. Sie muss sterben, ist todkrank, wenn nicht
der erste beste Schreck, der nächste rafft sie hinweg. Er muss sterben,
und zwar am Galgen, weil er ein Mörder ist. Natürlich ist das Unfug,
William Powell, das sieht man sofort, ist der vollendete Gentleman, aber
das Drehbuch hat recht, weil der Film als Melodram es ins Recht setzt.
Der Ort der Handlung und Liebe und des Glücks und der Verzweiflung ist
das Schiff, das die reine Parabel ist, die Überfahrt von Hongkong nach
San Francisco, die fürs Leben steht und nichts anderes und der Schmerz,
den die Konstruktion auf der kurzen Strecke ihrer nicht einmal siebzig Minuten
uns einjagt, der ist, durch die Künstlichkeit hindurch, ganz echt und
sehr tief. Das Echte geht im Melodram nur im kühnen Erfinden des
Unwahrscheinlichsten. Seine Wahrheit liegt im Unmöglichen, und das muss
so sein, wenn man das Leben als eines zum Tode eine Überfahrt lang,
keine siebzig Minuten lang, vor Augen führen will.
Ein Polizist und eine Hochstaplerin, dazu ein stets betrunkener Taschendieb
sorgen für die burleske Verzierung des Dramas, unvermittelt oft, aber
die nicht weiter untermauerte Behauptung, dass Gags zu den Tränen
gehören wie die Küsse zum bevorstehenden Tod, nimmt man dem Film
glatt ab. Der Polizist, der seinen Job macht, gewinnt Statur im Verzeihen,
das ihm die Liebe eingibt. Der Taschendieb steht auf der richtigen Seite,
die keinesfalls die des Gesetzes ist, genau wie die Hochstaplerin, die aber
vor lauter Liebe den Mann auch als Polizisten akzeptiert. Wenn sie nicht
gestorben sind, leben sie noch heute auf ihrer Hühnerfarm.
Die ewige Liebe aber, so scheint es, die unendliche Liebe, die es nur im
Tod gibt, die bekommen die Todkranke und der zum Tode Verurteilte. Auf Honululu
am Strand, als Vorschein mit Zigaretten, die eine gesellt sich zur anderen
in Stellvertretung der Körper, von denen die Kamera züchtig
wegschwenkt. Die Körper schmiegen sich bekleidet, danach, die Zigaretten
haben sich verzehrt, danach, nur Flecken schwarzer Kohle bleiben zurück
im Sand, während die Sonne untergeht.
Ankunft, Ende der Passage, Abschied. Neujahr sehen wir uns wieder. Die
Gläser, die die beiden bei jeder Begegnung zerschlagen, finden sich
auf der Bar, die Liebenden sind tot, sie leben ewig. Aber nein. Fast
unmerkliche Blende, in der letzten Einstellung sind die Gläser verschwunden,
davon, die leere Bar, der Tod, das Nichts, kein Wiedersehen.
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