In der europäischen und amerikanischen Filmgeschichte setzten
sich viele Filme mit der Nachkriegszeit auseinander. Welche psychischen Narben
hat der, nur wenige Jahre, zurück liegende Krieg in den Menschen
hinterlassen? Wie findet die Gesellschaft einen Neuanfang? Diese Fragen stellten
sich auch zahlreiche japanische Filmemacher, deren Land, zur gleichen Zeit
wie die Länder Europas, eine Periode der tiefgreifenden Veränderungen
durchlief. Und dennoch mit einem gravierenden Unterschied: mit den Erfahrungen
der Atombombe.
Wie bereits zuvor Kaneto Shindo und Kozaburo Yoshimura, in dem 1952
entstandenen Film Die Kinder von Hiroshima, griff auch Akira Kurosawa das
Thema der atomaren Massenvernichtung auf, das die Japaner zu Beginn der 50iger
Jahre sehr berührte. Als Akira Kurosawa den Film Bericht über ein
menschliches Wesen (Ikimono no Kiroku) 1955 drehte, war er bereits ein
international bekannter Regisseur, genauso wie sein Hauptdarsteller Toshirô
Mifune, mit dem er 1948 zum ersten Mal zusammenarbeitete. Sicherlich war
es der Bekanntheit des Duos zu verdanken, dass dieser politisch brisante
Film, überhaupt entstehen konnte. Denn die Dreharbeiten fielen in die
Blütezeit des Kalten Krieges. Die reformorientierte Haltung der ehemaligen
Besatzungsmacht Amerika Japan gegenüber, die 1953 offiziell ihre Okkupation
für beendet erklärte, war einem, mit politischen Hintergedanken,
genährtem Ziel gewichen. Nippon sollte zum Bollwerk gegen den Kommunismus
ausgebaut werden und dementsprechend konnten die Amerikaner keine kritischen
Äußerungen gegen sich und ihre Politik dulden.
Die Hauptfigur in Bericht über ein menschliches Wesen ist der
ergraute Patriarch und Besitzer einer Kohlenfabrik Nakajimi, den der damals
30jährige Mifune, dank hervorragendem Make-up, äußert glaubhaft
(und fast nicht zu erkennen) darstellt. Nakajimi hat den Abwurf der Atombomben
miterlebt und ist seither in ständiger Angst vor einer erneuten radioaktiven
Verseuchung. Zur Rettung seiner großen Familie beabsichtigt er, eine
Farm in Brasilien zu kaufen, auf der sie alle in Sicherheit leben können.
Er hat bereits eine erhebliche Summe in sein Projekt gesteckt, so dass die
Familie dadurch in finanzielle Bedrängnis geraten ist. Doch trotz Bitten
seiner Kinder, lässt sich der Patriarch nicht von seinem Vorhaben abbringen.
Als letzten Ausweg sieht die Familie nur noch die Möglichkeit, ihren
Vater entmündigen zu lassen. Doch das gerichtliche Anhörungsverfahren
zieht sich hin und die Spannungen innerhalb der Familie nehmen zu. In der
Verzweifelung, seine Familie nicht von der ständig vorhandenen atomaren
Bedrohung überzeugen zu können, begeht Nakajimi, an seiner eigenen
Firma, Brandstiftung und zerstört damit die Existenz seiner Familie
und die seiner Angestellten. Daraufhin wird der geistig Verwirrte in die
Psychiatrie eingewiesen; sieht er von seinem Zimmerfenster die Sonne, glaubt
er die brennende Erde zu erkennen.
Der geradlinig erzählte Film, ist einer der am leichtesten
zugänglichen Filme Kurosawas, da er sich nicht, wie zwei Jahre zuvor
in Die sieben Samurai, von allegorischen Motiven oder Parabeln leiten
läßt. Auch fehlt die zelebrierte Gewalt mit ihren kathartischen
Effekten. Das Gegenteil ist der Fall. Sehr deutlich zeigt Kurosawa, wie die
Angst, mag sie begründet sein oder nicht, den Menschen in seinem
Handlungsdrang eher einschränkt als ihn beflügelt. Nakajimi, umgeben
von seinen, zum Teil nur auf den eigene Vorteil bedachten Verwandten, ist
nicht in der Lage, seine Gefühle zu kontrollieren und seine Besorgnis
seinen Nächsten verständlich zu machen. Besonders deutlich zeigt
sich seine Paranoia, als er bei einem Gewitterblitz verzweifelt versucht,
seinen kleinen Enkel mit dem eigenen Körper vor den Blitzen zu
schützen, dabei das Baby aber derart erschreckt, dass es panisch
anfängt zu weinen. Kurosawa nutzt die Anhörung vor Gericht, um
die Standpunkte beider Parteien sichtbar zu machen. Der greise Patriarch
steht dabei stellvertretend für eine vom Krieg erschütterte Generation,
deren Selbstvertrauen begraben ist unter Trümmern. Dagegen sind sich
die nachrückenden jungen Leute ihrer eigenen Ungewissheit sehr wohl
bewusst. Ihre Einstellung den Dingen gegenüber ist, wenn auch nicht
fatalistisch, so doch von einer erstaunlichen Rationalität geprägt.
Der ökonomische Druck, die Firma erfolgreich zu führen und damit
am wirtschaftlichen Aufschwung Japans zu partizipieren, ist größer,
als vergangene Dinge zu überdenken. Hilflos steht die Familie den
moralischen Bedenken des Alten gegenüber. Als genauso hilflos erweist
sich Nakajimi, der letztendlich seine Firma opfert, um die Seriosität
seiner Absichten zu beweisen. Damit steht die Hauptfigur in einer Linie mit
anderen Helden des Kurosawaschen Universums.
Dass Kurosawa eine durchaus kritische Haltung zu den Geschehnissen
einnimmt, zeigt die Eröffnungssequenz. Mit Jazzmusik unterlegt, gibt
sie den Blick frei auf menschenüberfüllte Straßen, in denen
sich die Passanten aneinander drängeln und schieben; Kreuzungen sind
mit Autos, Motorrädern und Straßenbahnen verstopft - Tokio als
moderner Moloch, ähnlich wie New York, Paris und London. Dabei ist eine
Einstellung besonders bemerkenswert, in der wir alle Männer in weißen
Hemden und dunklen Anzughosen sehen und Frauen in Petticoats oder anderen
Kleidern. Die Menschen erscheinen als Schafherde, die, uniformiert, einer
Armee des Konformismus gleicht.
Großer Respekt gebührt dem Hauptdarsteller Toshirô
Mifune, dem Alter Ego des Regisseurs, der hier eine schauspielerische
Glanzleistung vollbringt. Indem er die innere Zerrissenheit des Patriarchen
sichtbar macht, lässt der den Zuschauer erahnen, welche Gratwanderung
sich in dem Land der aufgehenden Sonne, seit den 50iger Jahren vollzieht.
Ein kleines, vergessenes Meisterwerk.
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