Neuere Filme
Hou Hsiao-hsien: Café
Lumière (Japan 2004)
Von Ekkehard Knörer
Das erste Bild: ein Bahndamm, eine Bahn. Kein Ozufilm ohne Bahn und sei es
als Rattern im Hintergrund. Hier ist die Bahn ein Zitat, das Hou zur running
hommage erweitert, indem er eine Figur einführt, die es sich zum
Hobby gemacht hat, Bahngeräusche aufzunehmen, eine Figur, die vor allem
dieser Idee geschuldet scheint, die haben zu sollen Hou aus Hommagegründen
glaubt.
Genjirou
Arato: Akame 48 Waterfalls (Japan 2003)
Rezension von Ekkehard Knörer
In langen, den schönsten Minuten des Films, folgt die Kamera Ikushima
und Aya auf dem Pfad entlang der Wasserfälle. In einer Nische des Raums,
der Zeit, der Realität sind zum Picknick noch einmal alle Protagonisten
versammelt, Aya aber und Ikushima klettern, laufen durch das Rauschen und
Zischen, begleitet von einer gerade in der Steigerung der Naturgeräusche
denaturalisierten Tonspur, hinauf zu den Wasserfällen, deren Bild schon
zu Beginn, dann noch einmal als Poster im Schließfachraum des Bahnhofs
zu sehen war.
Sabu: Hard Luck Hero (Japan
2003)
Rezension von Ekkehard Knörer
"Hard Luck Hero" ist ein leerer Film, bloße Struktur. Der Ring, die
Fahrt, das Zusammentreffen. Es geht um die Gerade, das Zusammentreffen (des
Beginns) und den Kreis, in dem alle sechs in ihren drei Autos fahren. Die
Gleichung, die den Film regiert, ist so schlicht wie, bei Lichte betrachtet,
genial: Bewegung ist Narration. Punktum.
Shinya Tsukamoto: A Snake of June
(2002)
Rezension von Ekkehard Knörer
Nichts wäre brutaler im Griff nach diesem Film als zu sagen: eine
Dreiecksbeziehung. Das hieße den Plot an den Haaren herbeizuziehen,
der in den Bildern wenig zu suchen hat. Und doch ist das die große
Schwäche des Films. Dass am Ende der Bilder eine Entwicklung sichtbar
, eine Auflösung des Dreiecks möglich geworden sein wird, ein
Arrangement der Beziehungen, eine Ordnung, in die zurückfällt,
was zuvor aufgelöst schien ins Malerische der einzelnen Einstellungen,
das ist eine Enttäuschung.
Samurai in der Dämmerung
(Tasogare Seibei; Yoji Yamada, 2002)
Rezension von Ekkehard Knörer
Ein bisschen Liebeswerben, kleine Scherze, eine schnurrige Geschichte. Die
Kamera beobachtet meist aus der typisch japanischen Tiefebene, aber einfach
so, ohne formalen Ehrgeiz. Die Bilder sind illustrativ und stets geschieht,
was man lange schon erwartet hat. Je länger der Film dauert, desto
stärker wird der Wunsch, dem Helden und dem Film Beine zu machen: beide
beharren - mit Ausnahme einer langen, langen Kampfszene - auf ihrer
Behäbigkeit.
The Blessing Bell (
Koufuku No Kane; Sabu,
2002)
Rezension von Ekkehard Knörer
Ein ganzes Leben rollt hier ab, all in a day. Und es rollt wieder
zurück, rekapitulierend, am Ende rennt der Mann noch mal den ganzen
Weg, Station für Station kommen die Geschehnisse wieder ins Bild. Wohin
er rennt? Zur Auflösung des Ganzen, einer Schlusswendung, die die Erlebnisse
nicht erklärt, aber doch - wenn auch auf einigermaßen
verblüffende Weise - situiert.
Bokunchi - Mein Haus (Shunji Sakamoto,
2002)
Rezension von Ekkehard Knörer
Das alles bleibt bloße Behauptung, weil der Film selbst
beziehungsunfähig ist. Er giert nach Pointen und verschenkt an sie seine
Figuren. Alle Gefühle sind so aus zweiter Hand, abgepresst der
abgedroschenen filmsprachlichen Grammatik, dem abgeschmacktesten Zueinander
von Bild und Ton. Sakamoto strebt, scheint es, nach dem Bittersüßen
der Filme Kaurismäkis, ohne im mindesten zu verstehen, dass die Poesie
und die Pointen sich aus der Liebe und der Genauigkeit ergeben, mit denen
Kaurismäki die Menschen beobachtet und ihre Welt.
Shoujyo - An Adolescent (Eiji Okuda,
2002)
Rezension von Thomas Reuthebuch
Shoujyo ist ein langer Film, der sich zäh über die volle Distanz
quält. Halten einen zu Beginn noch die skurrilen Figuren bei der Stange,
ergeht sich Erstlingsregisseur Okuda mit zunehmender Zeit in langatmigen
Plansequenzen. Die Kamera, meist aus der Hand, filmt minutenlang dialoglastige
Zweier- oder Dreierkonstellationen ab. Auf eine Auflösung wird häufig
verzichtet, ab und an kommt eine bedächtige Kamerafahrt zum Einsatz;
alles wirkt beliebig, manchmal geradezu hilflos.
KT (Shunji Sakamoto, 2002)
Rezension von Ekkehard Knörer
Während keiner einzigen der 135 quälenden Minuten hat man den Eindruck,
dass Sakamoto seinen Stoff in den Griff bekommen hat. Weder für den
Thriller, zu dem man die Vorgänge offensichtlich hätte verarbeiten
können, noch fürs zugespitzte Politdrama hat er sich entschieden:
und wie so oft bringt auch hier der Mittelweg den Tod.
Mamoru Oshii: Avalon (Japan 2001)
Von Ekkehard Knörer
"Avalon" erzählt von einer Queste, gibt sich den Rahmen gängiger
Virtualitätsszenarien und sucht doch die Stille eher als die Aktion,
die Leere eher als die Fülle, das Bild eher als seine Erläuterung,
die Meditation eher als den Diskurs. Transformationen, Metamorphosen,
Verwandlungen, auf den Nullpunkt zu.
Pulse/Kairo (Kiyoshi
Kurosawa, 2001)
Kritik von Ekkehard Knörer
Es fehlt, muss man sagen, dem Regisseur nicht am Können: er kann viel,
er ist ein Meister seines Handwerks. Hätte ihm nur irgendeiner, das
Drehbuch zum Beispiel, gesagt, was er womöglich wollen
könnte, dann hätte das alles, über eine brillante Szene
hinaus, vielleicht sogar Sinn. Ohne Sinn aber bleibt nur der Schrecken, der
sich vom Sinn aber darin unterscheidet, dass er weg ist, kaum war er da.
Yokohama Mike ( Hama Maiku
/ namae no nai mori; Shinji Aoyama, 2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Shinji Aoyama, der dem deutschen Publikum dank einer einzigen derzeit durch
die Republik wandernden Kopie seines vorletzten Films
Eureka wenigstens nicht völlig
unbekannt ist, nimmt sich mit seinem jüngsten, im Forum der Berlinale
als Weltpremiere gezeigten Werk Yokohama Mike - A Forest With No Name
das Hardboiled-Genre vor - und zwar als Auftakt einer Film-Reihe mit demselben
Titelhelden, die unter anderem von Kiyoshi Kurosawa und Sogo Ishii fortgesetzt
werden soll.
Spirited Away (Hayao Miyazaki,
Japan 2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Die
Welt von Spirited Away ist dabei jedoch nur auf den ersten Blick die
Ausgeburt reiner Fantasie. In seiner sehr bewussten Verbindung von uralten
animistischen Vorstellungen, dem Themenpark aus der Edo-Zeit, in der Japan
sich gänzlich vom Westen abgeschottet hatte, westlichen Elementen wie
der Hexe Yubaaba oder der Anspielung auf die seit nun zehn Jahren anhaltende
ökonomische Misere ist der Kosmos von Spirited Away immer auch
die Allegorie des heutigen Japan.
Metropolis (Rintaro, 2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Ungeheure Sorgfalt hat man in die Produktion der Hintergründe gesteckt,
die Animation ist atemberaubend, auch einfallsreich, man kann sich im optischen
Stadt-Universum, das hier geschaffen wurde, immer wieder lustvoll verlieren.
Mit dem ausgefeilten Hintergrund aber kontrastieren die traditionell
kulleräugigen, extrem schematischen Anime-Gesichter in diesem Fall einfach
zu stark. Aufs Darstellungsherkommen lässt sich hier nicht gut hinausreden,
denn es prallen unvermittelt zwei Illusionswelten aufeinander, ohne miteinander
zu verschmelzen, ja, sogar so, dass man über den ständigen Aufprall
nie recht hinwegkommt.
Go (Isao Yukisada, Japan 2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Je länger der Film dauert, desto mehr beruhigt sich das Tempo, desto
konventioneller wird die Erzählstruktur. Der Verdacht stellt sich ein,
dass der virtuose Wirbel des Beginns auch eine Strategie ist, ein
problemfilmunwilliges Publikum einzufangen und dann, am geschluckten Angelhaken,
genau dahin zu führen, wo Regisseur Isao Yukisada es haben will: zu
der brutalen Erfahrung rassistischer Vorurteile, die Sugahari machen muss
- und zwar genau da, wo es den Zuschauer am meisten schmerzt, mitten in der
romantischsten Liebesgeschichte.
Ichi der
Killer (2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Man kann bei
Miike selten umhin zu fragen: Hat der Film Spaß an der Gewalt, verleitet
er den Betracher selbst zur Lust daran? Die Antwort lautet hier: eher nein.
Natürlich ist die Darstellung der extremen Gewalt, der angerichteten
Blutbäder mitunter komisch, aber dies vor allem in den Momenten, in
denen sich aller Realismus verflüchtigt, das Comic-Moment überwiegt.
Die Figuren aber, die hier töten und Gewalt ausüben, taugen gar
nicht zur Identifikation, beides, das Töten wie die Gewalt, ist mit
widerwärtigen Motivationen kurzgeschlossen, ist dem Betrachter, der
zusehen muss, wie Zungen abgeschnitten, Körper mit grausamen Prozeduren
bearbeitet werden, eine Qual
Blue Spring (Toshiyaki Toyoda,
2001)
Über längere Weilen betrachtet der Film das Geschehen mit einiger
Nonchalance, dann aber beschleunigt er, untermalt von einem aufstörenden
Metal-Soundtrack. Obwohl Toyoda auf effektbewusste Stilisierungen weitgehend
verzichtet, ist "Blue Spring" von aller dokumentarischen Anmutung weit entfernt.
Er besitzt eine Geschlossenheit, die ihn seltsam bezwingend macht, die auch
alles Abgleiten der Gewaltdarstellung ins Spekulative verhindert.
The Princess Blade
(2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Princess Blade ist im Grunde eine ins Leere spekulierte Angelegenheit,
nur fällt das unter der Oberfläche, die mit teuren Produktionswerten
und vage eindrucksvoll arrangierten Einstellungen wenigstens von Zeit zu
Zeit glänzt, nicht gleich auf. Die Spannung verliert sich, weil der
Film Tiefe will. Zu der aber findet er nicht, den vorgeführten
Versatzstücken der Traumatisierung zum Trotz. Eine richtige
Enttäuschung.
Kasei no kanon (The Mars Canon;
Regie: Kazama Shiori)
Rezension von Ekkehard Knörer
Nichts ist symbolschwer an den klaren Einstellungen des Films,
nichts wirkt gesucht - und doch gelingen Shiori ein ums andere Mal höchst
prägnante Bilder von unaufdringlicher Genauigkeit. Selten nur benötigt
sie dafür Close-Ups (einmal etwa auf die Hände der Liebenden),
arrangiert die Figuren halbnah in den liebevoll ausgestatteten Innenräumen.
All about Lily Chou-Chou
(Regie: Shunji Iwai:, 2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Eine
der großen Stärken des Films ist es, dass ihm nicht auf die Stirn
geschrieben steht, was er eigentlich will. Ein Porträt japanischer
Jugendlicher von heute ist er genauso wie eine zwischen Mystizismus und Schocks
pendelnde Meditation über Musik und Sehnsüchte; manchmal ein
Bildergedicht; manchmal selbstgefällig, manchmal atemberaubend. Wer
die Geduld aufbringt, sich auf All About Lily Chou-Chou einzulassen
(der Film macht es einem nicht immer leicht), darf sich auf ein faszinierendes
Film-Erlebnis gefasst machen.
Dark Water (Honogurai Mizu no Soko,
Regie: Hideo Nakata, 2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Geschickt gewählt ist, immerhin, der Schauplatz, eine
gesichtslos-hässliche Beton-Mietskaserne, deren lange Gänge schummrig
und von real existierenden Bewohnern unbevölkert bleiben. Angenehm
fällt die Sorgfalt auf, mit der Nakata Atmosphäre zu erzeugen versucht,
die Ruhe, mit der er Situation und Schauplätze etabliert. Sichtbar zielt
er nach der Innovation, die The Ring war, hier auf Klassizität.
Auf originelle Wendungen und sonstige Überraschungen hätte er
dafür freilich nicht verzichten sollen.
Sogo Ishii:
Electric Dragon 80.000 Volt (Japan 2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Ishiis Electric Dragon 80.000 Volt versucht, Strom, Reptilienhirn
und X-Men-artige Gigantomachie zusammenzudenken. Aber was heißt hier
denken: kurzgeschlossen wird all das unter Blitz und Donner in einem
Bildergewitter, das den Betrachter beim Kragen packen und durchrütteln
will. Eine Weile ist man auch beeindruckt vom lichtdurchzuckten
schwarz-weiß der Bilder, von der Rasanz, mit der Ishii erzählt.
Aber in den Flauten zwischen den Effektstürmen stellt sich dann doch
mehr und mehr Ratlosigkeit ein: was zum Teufel soll das Ganze?
City of Lost Souls (Takashi
Miike, 2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Das Erstaunliche ist, dass sich City of Lost Souls nicht im kunterbunten
Durcheinander verliert, dass der Film seinen Figuren, trotz der mehrfachen
Auflösung des Plots in reine Action oder reine Farce, einen gewissen
Ernst bewahrt, ein Interesse, das einen an ihnen dranbleiben lässt.
Einer der Gründe dafür ist, dass der Film, allen Updates und absurden
Genre-Variationen zum Trotz, im Herzen das bleibt, was zu sein er ganz am
Anfang verkündet: ein Western, von der Sorte, bei der einer in die von
korrupten Banditen beherrschte Stadt kommt und gründlich aufräumt.
Battle Royale (Kinji Fukasaku,
2000)
Rezension von Ekkehard Knörer
Genau darum geht es: wie sich, wenn jeder ein Mörder nicht nur sein
darf, sondern sogar sein soll, in der Beinahe-Ununterscheidbarkeit von
spieltheoretisch ausgetüftelten Schein-Solidaritäten und dem schlicht
menschlich Guten, das die Verrohung verweigert, so etwas zeigt, wie das nicht
auseinanderdividierbare Zugleich von Instinkt und Sozialem in Ur- und Reinform.
Eureka (Regie: Shinji Aoyama,
2000)
Rezension von Ekkehard Knörer
Eureka
ist ein wortkarger Film, der Stille, der Geduld, der unerklärten Ereignisse,
Verschiebungen, Bezie- hungen. Die Tonspur ist fast wichtiger als das, was
an Worten fällt, bedrohliche, mehr und weniger verstärkte
Geräusche: etwa, einmal, das Schwingen eines Golfschlägers, das
an das Trauma rührt. Aoyama zeigt das, führt es vor in der bloßen
Kombination von Bildern und Tonspur. Auf lange, fast ereignislose Szenen,
die trotz der sorgfältigen Komposition des Einzelbilds in vergleichsweise
flüssiger Decoupage aufgelöst werden, folgen unerklärte Schnitte,
Sprünge, die die zeitliche, wenigstens zunächst auch die
räumliche Orientierung schwer machen.
Gohatto (Regie: Nagisa Oshima,
2000)
Rezension von Elisabeth Wolf
Oshima widmet sich wieder einmal seinem Lieblingsthema, der Macht der
Sexualität, den zerstörerischen Kräften irrationaler
Leidenschaften, welche Menschen steuern und sie dazu bewegen, die für
das Zusammenleben im Konsens aufgestellten gesellschaftlichen Spielregeln
zu brechen und moralische Verhaltensnormen zu überschreiten.
Sexualität und Tod verbinden sich bei Oshima.
Uzumaki (Regie: Higushinsky,
2000)
Rezension von Ekkehard Knörer
Dass weniger mehr sein kann, und über die längere Strecke eines
Spielfilms fast immer auch ist, gehört zu den Lektionen, die die ehemaligen
Videoclip-Filmer des Kinos vielleicht nie lernen werden. Dass aber zuviel
gelegentlich gar nicht so wenig ist, im richtigen Genre und im bewussten
Verzicht auf das, was ein Weniger an Effekten, Kamera-Albernheiten und grotesken
Pointen an Subtilitätsgewinn bedeutete, das belegt Higushinskys
überdrehte Horrorfarce Uzumaki.
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