Ein alter Mann betritt durchs offen stehende Tor das Gelände
eines Filmstudios, die Kamera zeigt ihn zunächst von hinten. Dann, nach
ein paar Schritten und einer weiteren Einstellung von der
Seite (siehe Foto), blickt sie von oben auf den Mann, der jetzt
klein scheint im Verhältnis zur bombastischen Vogel-Statue, die sich
zwischen ihn und die Kamera gedrängt hat. Hier friert das Bild ein,
die Einstellung verfestigt sich, während die Credits durchlaufen, zur
allegorischen Bedeutung, im Gegenüber von riesigem Dekor und winziger
Person zur Vorwegnahme der Geschichte, die vom Niedergang des gefeierten
Bollywood-Regisseurs Suresh Sinha erzählt.
Es scheinen, zu Beginn der Binnengeschichte, die von Sinhas letztem
Besuch im Studio gerahmt wird, die zentralen Schauplätze voneinander
getrennt. Als Regisseur ist Sinha auf dem Zenit seines Erfolgs, dadurch auch
seiner Macht im Bollywoodsystem, auf dem Set zur Devdas-Verfilmung,
die er vorbereitet, hat er uneingeschränkt das Sagen. Als Privatmann
aber hat Sinha eine schwere Niederlage erlitten, seine Frau hat ihn verlassen,
nicht zuletzt weil sie aus einem guten Haus stammt, in dem man das Kino für
eine schmutzige Sache hält. In diesem Schwiegerelternhaus, das ein Palast
ist und in dem man ein mit vielen englischen Brocken durchmischtes Hindi
spricht, begegnen ihm die vor allem mit der Zeitungslektüre befassten
Schwiegereltern mit hochnäsiger Verachtung, seine Frau verweigert ihm
das Gespräch. Vor allem geht es Sinha um seine Tochter Pammi, die den
Vater auf Befehl der Mutter nicht einmal sehen darf. Dieser Privatraum ist
der Gegenort zum Studio. Unbeschränkte Macht hier, Demütigung da.
Das Unheil wird sich Zugang verschaffen in die berufliche Sphäre durch
die Infektion: das Private nähert sich dem Beruf, dringt in ihn ein,
das wird Sinha zum Verhängnis.
Dieses Verhängnis scheint, wie es der Verhängnisse Art oft
ist, zunächst das reine Glück. Im Regen begegnet der Regisseur
einer schönen Unbekannten, leiht ihr seinen Mantel, der zum Pfand wird
ihrer Wiederbegegnung. Diesmal aber nicht im Freien, nicht im Schutz der
Natur, sondern im Studio: Shanti erscheint auf dem Set und durch doppelten
Zufall gerät sie erst in den Blick der Kamera, dann den des Regisseurs.
Der will sie sofort besetzen, in der weiblichen Devdas-Hauptrolle
der Paro (so wird es geschehen), rasch erobert sie einen Platz auch in seinem
Herzen. Diese Liebe aber darf nicht sein. In der Darstellung ihrer
Unmöglichkeit ist Dutt freilich um einiges überzeugender als in
der psychologischen Begründung (auf die es aber nicht so sehr ankommt).
Im menschenleeren Studio (Wiederholung und Antizipation der todtraurigen,
endgültigen Leere des Anfangs und des Endes), das in der ganzen fabelhaften
Cinemascope-Breite des Films, immer wieder zu symbolischen Arrangements
einlädt, stehen sie sich gegenüber, Shanti und Suresh. Durch die
Decke fällt (nicht zum ersten, nicht zum letzten Mal) ein heller Strahl,
der als reines Licht nicht von dieser Welt zu sein scheint, zugleich aber
in die metaphorische Nähe zu den nahebei schwebenden Scheinwerfern
gerät. In einer Doppelbelichtung löst sich der Liebeswunsch (sozusagen)
aus den verharrenden Körpern, die Geister dieses Wunsches gehen aufeinander
zu, vereinigen sich im überirdischen Lichtstrahl. Regungslos verharren
die wirklichen Körper. Gelegentlich setzt der Film auf bloßes
Sentiment, hier ist er groß.
Pammi, die Tochter, trotzt Shanti, die durch den Film zum Star geworden
ist, den Verzicht auf Suresh ab und auf die Zukunft als Schauspielerin, sie
will die Eltern wieder zusammenbringen, da ist Shanti nur im Weg. Diese Illusion
aber scheitert auf ganzer Linie, ja, Pammi zerstört damit das Leben
ihres Vaters. Vor Gericht wird die Tochter unwiderruflich der Mutter
zugesprochen, Sinha verfällt dem Alkohol, mit seiner Karriere als Regisseur
geht es rasch bergab. Nach einer Serie von Misserfolgen feuert ihn das Studio,
er verliert sein Zuhause und stürzt ins Bodenlose. Die nächste
Überblendung entwirft keine Liebesverhältnisse mehr, nur noch einen
Tanz der rasch geleerten Whiskey-Gläser.
Shanti erfährt - durch Rocky, der als Sinhas leichtsinniger Schwager
von Anfang an auf seiner Seite ist und bald schon, zur Schande der Familie,
beim Film zu tun hat - vom Elend des Mannes, den sie liebt, noch auf dem
Dorf, in dem sie jetzt als Grundschullehrerin tätig ist. Sie bringt,
in einer Musik-Einlage, die einem mit ihrer Mischung aus eingängiger
Melodie, Sentimentalität, Witz und Tränen das Herz schier
zerreißen will, den Kindern die Zahlen bei und erzählt eine
Geschichte, in der getrennt wird, was eigentlich zusammengehört, die
Null und die Eins, Shanti und Suresh. Sie kehrt zurück nach Bombay,
sie wird Suresh wieder begegnen, retten kann sie ihn nicht. Er schmuggelt
sich als Statist ein letztes Mal zurück auf den Filmset, aber als Shanti
ihn erkennt, flieht er die, ganze Breite des Cinemascope-Bildes scheint zwischen
den beiden zu liegen: Sie kann ihn nicht mehr erreichen.
"Kaagaz ke Phool" ist ein tief trauriger Film. Darin liegt sein Problem
mit der Bollywood-Form. Die komischen Einlagen wollen einem hier so wenig
recht am Platz vorkommen wie manche der Musiknummern. Und umgekehrt schlagen
sie störend zurück auf den Ernst des Ganzen, das nach Realismus
strebt und über die großen Gefühle, die dadurch zu falschen
zu werden drohen, immer wieder stolpert. Bollywood-Pathos, das auf halber
Strecke stehen bleibt, verkommt jedoch, das wird hier deutlich, zur diffusen
Sentimentalität. So ist das ein in vieler Hinsicht unebenes Werk. Von
grandiosen Schwarz-Weiß-Bildern springt Dutt in halbherzig inszenierte
Albernheiten, die Reinheit der Trauer, die sich in der ersten Rahmensequenz
ausdrückt - immer unterstützt von der Musik: es ist vielleicht
der schönste Bollywood-Score, den ich kenne -, kippt gelegentlich ins
allzu flugs behauptete Elend. Daran ändert die autobiografische Grundierung
des Ganzen nichts: Guru Dutt, dessen letzter, kommerziell katastrophal
erfolgloser Film das werden sollte, nimmt das eigene Schicksal als trauriger
Prophet vorweg. Darin liegt eine bittere Ironie, auch Tragik, aber den Zug
von Selbstmitleid, der sich hie und da in die Darstellung schleicht,
verstärkt das eher noch.
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