Mother India ist ein Film über starke Frauen, aber auch
über abwesende Väter. Der Keim zur Tragödie liegt in der Armut
der verwitweten Schwiegermutter Radhas, die sich den Hochzeitsschmuck nicht
leisten kann und die Hilfe des Kredithais Sukhilala in Anspruch nehmen muss.
Drei Viertel der Ernte gehen fortan an ihn, der mit sadistischer Lust das
drohende Verderben der ganzen Familie, zwei Söhne kommen bald dazu,
beobachtet. Ein Schicksalsschlag folgt dem anderen, beim symbolisch zu nehmenden
Versuch, einen riesigen Stein aus einem Feld zu entfernen, verliert der Vater
beide Arme, zieht dann, gedemütigt, davon - und kehrt, erst der Suche,
dann den sehnsüchtigen Träumen Radhas zum Trotz, nicht wieder.
Im ersten Drittel ist der Ton über weite Strecken einheitlich, reines
ungescheutes Melodram, unterbrochen nur von burlesken Momenten, in denen
Birju, der jüngere Sohn, den Widerständen zu trotzen sucht. Noch
im Song and Dance bei der Feldarbeit jedoch singt Radha vom Leid der Welt
(und, mit dem immer wieder, nicht zuletzt natürlich im Titel,
festzustellenden Willen zur allegorischen Aufladung, formiert das Getreide
im Feld einmal die Umrisse des indischen Subkontinents).
Eine große Flut, pathetischer Höhepunkt der Leidenszeit,
überspült das Land, mit Mühe und Not kann Radha ihr Leben
und das ihrer Söhne retten. Die Dorfbewohner ziehen davon, Radha aber
bleibt, bestellt, an Stelle der Ochsen unter dem Joch, das Land und der Film
springt in der Zeit viele Jahre voran. Das Leid ist ausgestanden, die Söhne
sind erwachsen, im Dorf ist neues Leben erblüht, nach wie vor jedoch
verlangt Sukhilala seinen maßlosen Zins. Die stringente Elendesdramaturgie
des ersten Teils aber löst sich von nun an auf, auf die Tragödie
folgt die Farce, in deren Zentrum Birju, der Sohn steht, gewandelt vom
sympathisch respektlosen Kind zum erwachsenen Tunichtgut, dessen Hauptspaß
darin besteht, die Tonkrüge der wasserschleppenden Dorfschönheiten
zu zerschmeißen. Während sein Bruder Ramu heiratet, gerät
Birju, ganz und gar entscheidungsunlustig, zwischen zwei Frauen: die schöne
Gehilfin des Dorflehrers und Sukhilalas Tochter. Aus beidem aber zieht der
Film, wild entschlossen offenbar, nicht mehr in melodramatische Gefilde
zurückzukehren, mehr Anlass zum Scherz als zu ernsthaftem Konflikt.
Birju wird im Forgang mehr und mehr zur tief ambivalenten Figur: Sunil
Dutt gibt ihn bis an die Grenze des Erträglichen als Schmerzensmann,
oftmals schweißüberströmt, nicht kontrollierbar, zu Streichen
aufgelegt, in denen sich Widerstandsgeist und Verantwortungslosigkeit bis
zur Ununterscheidbarkeit mischen. So wird er, zuletzt, zum Rächer am
beutelschneiderischen Verderber Sukhilala, seltsam nachträglich jedoch,
nachdem die Konfikte beinahe im Sande verlaufen scheinen. Als Rebell und
Brigantenführer stellt er sich gegen die Dorfgemeinschaft und droht
mit der Entführung von Sukhilalas Tochter eherne Gesetze zu verletzen.
Darauf wird an ihm ein Exempel statuiert, wie es drastischer nicht zu denken
ist: die Mutter erschießt, im Namen der Gesetze der Gemeinschaft, ihren
Sohn. Wie sehr der Film das gutheißt, zeigt er am narrativen Denkmal,
das Radha, der Mother India, gesetzt wird, in einem Rahmen, der die Geschichte
umschließt, die greise Mutter, inzwischen erblindet, gibt dem
jüngsten Triumph des Fortschritts ihren Segen: sie weiht einen Damm
zur Bewässerung der Felder ein.
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