Heimatfilm!
Der Ort heißt Fallen, und das passt. In ihrem kleinen
westfälischen Nest scheinen die Protagonisten von "Heimatfilm!" stetig
abwärts zu driften. Wobei das eine Frage der Perspektive ist. Simon
(Max Richter) trinkt eben gerne, seine Tendenz zur Selbstzerstörung
steigt mit dem Alkoholpegel. In Fallen trinkt jeder, sonst hält man
es gar nicht aus. Simons Schwester Britta (Fritzi Haberlandt) ist seit sieben
Jahren mit dem Dorfpolizisten Bernd (Hannes Jaenicke) zusammen, jetzt will
er für sich, sie und die zu erwartenden Kinder ein Haus bauen. Eine
gesicherte Existenz, ein ruhiges Leben, aber Britta sieht sich trotzdem fallen,
immer tiefer ins Gefängnis des Kaff-Daseins. Der schüchterne
Krankenpfleger Knut (Lars Gärtner) hat ein Auge auf Britta geworfen,
aber auch ihm gefällt es in Fallen. Während Knut das zugibt, ist
er betrunken. Der Regisseur von "Heimatfilm!", Daniel Krauss, ist selbst
ein Dorfkind und er sagt, er wolle auch die schönen Seiten des Landlebens
zeigen. Krauss wohnt dennoch inzwischen in Berlin. Seine Hauptfigur Britta
steht am Ende am Bahnhof, um dem Fallen zu entkommen.
Dirty Sky:
Okay, "Dirty Sky" ist wahrscheinlich das erste Road-Movie, in dem
das Auto des flüchtenden Outlaw-Pärchens fliegen kann. Nicht in
den Abgrund, wie bei "Thelma und Louise", sondern hoch über die Wolken,
wo die 17-jährige Jenny (Cosma Shiva Hagen) und der zwei Jahre ältere
Paule (Nicolai Nanhoi Kinski) ihre Liebe endlich ungestört leben
können. Aus dem Knast sind die beiden ausgebrochen, indem sie die
Wachhabenden mit aggressiven Wespen bombardiert haben. Auch sonst passiert
viel Seltsames in "Dirty Sky": Frank Giering sitzt plötzlich singend
im Auto und steigt irgendwann wieder aus. Menschen tragen Blumenkränze
auf dem Kopf und fahren Boot. Dumm nur, dass man davon nicht verzaubert,
sondern nur peinlich berührt sein kann. Der krasse Realismus des Films,
der sich vor allem im dokumentarischen Look niederschlägt, und die
märchenhaften Plotwendungen, die stets auf der Grenze zur plumpen Parodistik
balancieren, arbeiten gegeneinander. Trotz fliegender Autos führt das
bei "Dirty Sky" zum Totalabsturz.
Fremder Freund:
Die Bilder vom einstürzenden World Trade Center haben durch
hundertfache Wiederholung ihre unmittelbare Wirkung verloren und sind zur
Abstraktion eines Schocks geworden, zur Erinnerung, zum Symbol einer
religiös-politischen Teilung der Welt. Elmar Fischers Film "Fremder
Freund", der mit Nachrichtenbildern vom 11. September 2001 beginnt, holt
das Ereignis in den konkreten deutschen Alltag zurück. Was wäre,
wenn ein uns nahestehender Mensch in die Anschläge verwickelt wäre?
Chris (Antonio Wannek) muss sich dieser Frage stellen, denn kurz vor dem
11. September verschwindet sein jemenitischer Freund Yunes (Navid Akhavan)
spurlos. In Rückblenden erzählen Fischer und sein Co-Autor, der
Filmkritiker Tobias Kniebe, die Geschichte der Freundschaft, eine von jener
seltenen Sorte, in der Umarmungen nicht seltsam sind und Gespräche
über Mädchen nicht peinlich. Zugliech blickt Fischer auf die
kulturellen, religiösen und persönlichen Unterschiede zwischen
Chris und Yunes, die Verdachtsmomente für das Undenkbare liefern. Chris
mag nicht glauben, dass Yunes etwas mit den Anschlägen zu tun hat, wir
Zuschauer bleiben im Unklaren. Die Anschläge von New York erscheinen
bei "Fremder Freund" ganz nah. Nicht weil sie die innere Sicherheit des Staates
gefährden, es geht um die innere Sicherheit der Menschen.
Tor zum Himmel:
Am Frankfurter Flughafen, erzählt der Regisseur Veit Helmer,
arbeiten 60.000 Menschen. Eine ganze Stadt, viel Platz für Kinogeschichten.
Die meisten Filme, die an einem Flughafen Halt machen, bleiben oben in der
glänzenden Schalterhalle oder heben sich gleich über die Wolken.
Dort beginnt auch Helmers Film, doch schnell senkt er sich herab bis ganz
nach unten. In den Schächten und Gängen des Frankfurt Airports
hausen illegale Einwanderer, die als Schwarzarbeiter durch die Katakomben
huschen, dort schrauben, scheuern und schleppen. Nach oben gelangen sie nur
durch ihre Träume, so begegnen sich in einer leerstehenden Boeing die
indische Putzfrau Nisha (Masumi Makhija), die so gern Stewardess werden
möchte, und Alexej (Valera Nikolaev), der russische Flüchtling,
der auf dem Pilotensitz den Flugkapitän mimt. Sie verlieben sich und
tanzen, diesen märchenhaft-absurden Zug legt der Film nie ganz ab.
Andererseits will er auch gesellschaftskritisch sein und die Situation der
Flüchtlinge in Deutschland anprangern. Beides geht nicht, aber ein wohliges
Vergnügen verbreitet Helmers multikulturelles Treiben allemal.
Besser als Schule:
Die Konstellation "Teeniefilm plus Soap-Stars" verheißt nichts
Gutes, doch Spielfilm-Debütant Simon X. Rost hat mit "Besser als Schule"
einen soliden Zielgruppen-Film hinbekommen. Dass es um Liebe und
Liebe-wechsle-dich geht und der große Showdown beim Abschlussball
stattfinden muss, ist klar. Beachtlich erscheint allerdings, dass Rosts Film
schüchtern, aber immerhin, in die Hand beißt, die ihn und seine
Hauptdarsteller füttert: Er hinterfragt Starrummel, Medienhörigkeit
und die schöne, heile "Bravo"-Welt, der viele Teenager so bereitwillig
anhängen. Im Film gerät das Alltags- und Liebesleben einer ganzen
Schulklasse aus dem Tritt, als das Sänger-Idol Marc (Thorsten Feller)
auf Anraten seines Managers das Abitur nachmachen und sich in ein ganz normales
Mädchen verlieben soll. Die Wahl fällt auf Dana (Melanie Wichterich),
in die sich eigentlich Steven (Eric Benz) unsterblich verknallt hat. Er und
sein Freund Gonzo (Gabriel Andrade) müssen sich eine Menge Tricks einfallen
lassen, um Dana aus dem Zauber des Popstars zu befreien. Dabei fließen
Tränen der Wut und Enttäuschung, und die wirken echter, als man
vermuten möchte.
Eierdiebe:
Der Titel ist ziemlich wörtlich zu nehmen: In "Eierdiebe" geht
es um Hodenklau. Bis die krebskranken Helden des Films soweit sind, ihr
diebisches Projekt in Angriff zu nehmen, passiert so viel Tragisches und
Absurdes, dass der Einbruch in der Pathologie und das Entwenden der Klöten
wie eine logische Handlung erscheint. Mit normalen Maßstäben
lässt sich das Leben und Überleben in der Chemotherapie-Abteilung
eines Krankenhauses nicht messen. Martin (Wotan Wilke Möhring), jung,
erfolgreich und Sohn reicher Eltern, wird mit Hodenkrebs eingeliefert. Bald
fallen ihm die Haare aus, die Haut wird weiß, Martin und seine
Zimmernachbarn Nickel (Janek Rieke) und Harry (Antoine Monot jr.) bewegen
sich als blasse Kahlköpfe wie in einem grotesken Maskenball des Todes
durch die Krankenhausflure. Sie spielen Karten, schauen Horrorfilme und
bemühen sich, angesichts der eigenen Hilflosigkeit und der unverbindlichen
Ignoranz der Ärzte nicht verrückt zu werden. Martin lernt Susanne
(Julia Hummer) kennen, die auf der Frauenstation liegt. Die beiden wandeln
durch das graue Krankenhaus und hinaus in den Park, die Polizei hält
sie für Junkies. Furchtbar bis zur Unerträglichkeit ist dieses
Leben, das Regisseur Robert Schwentke ("Tattoo") von seiner eigenen
Krebserkrankung kennt. Im Film grinsen er und seine großartigen
Schauspieler dem Tod ins Gesicht und entdecken das Absurde in der Tragik:
Tumor ist, wenn man trotzdem lacht. Aus einer Wette heraus entsteht der Plan,
Martins amputierten Hoden zurückzuholen. Als Susanne stirbt, wird aus
der fixen Idee eine Unabdingbarkeit. Die Kahlköpfe ziehen los, die Musik
gemahnt im Hintergrund an Gangsterfilme, Knastdramen und Western. Eierdiebe
sind Cowboys des Herzens.
Schussangst:
Die Filme des Georgiers Dito Tsintsadze sind realistisch bis zur
Hässlichkeit und zugleich eigentümlich magisch. Der Regisseur,
dessen poetisch-brutales Gangster-Märchen "Lost Killers" vor drei Jahren
in den deutschen Kinos lief, sieht sich als "Grenzgänger zwischen
georgischer Metaphorik und deutscher Präzision". Präzise ist auch
bei seinem neuen Film "Schussangst" der Blick auf menschliche Einsamkeit.
Der Zivildienstleistende Lukas (Florian Hinrichs) lebt allein in einer fremden
Stadt und liefert Mahlzeiten an alte Menschen, die im Alleinsein erstarrt
sind und doch vor Wärme glühen, wenn sich plötzlich jemand
für sie interessiert. Die Zartheit und Zärtlichkeit, mit der Tsintsadze
seine Charaktere betrachtet, ist, wie schon bei "Lost Killers", die große
Leistung des Regisseurs. Nur eine Figur bleibt ihm und uns rätselhaft:
die schöne Isabella (Lavinia Wilson), die plötzlich in Lukas' Leben
tritt, in seinem Bett schläft, in seiner Badewanne liegt und doch unnahbar
bleibt. Isabella ist ein Enigma, das auch der Autor der autobiografisch
angehauchten Romanvorlage und Co-Autor des Drehbuchs, Dirk Kurbjuweit, nicht
entschlüsseln kann. Isabella ist alles für Lukas und nichts, sie
lockt und verstößt, verschwindet nach Belieben. Lukas schleicht
ihr nach und entdeckt, dass ihr Stiefvater Isabella zum Sex zwingt. Immer
mehr steigert der junge Mann sich in die Idee hinein, das Mädchen aus
ihrer Lage erlösen zu müssen. Mit einem Scharfschützen-Gewehr
will er den Stiefvater umbringen. Lukas' Weg in den Wahnsinn pflastert Tsintsadze
mit Seltsamkeiten: Das Gewehr wird dem Jungen ohne sein Zutun angeboten,
ein Polizist taucht auf und zeigt ihm die beste Schussposition. Der Film,
in seiner Grundstimmung bedrückend und düster, hellt sich durch
die merkwürdige Komik mancher Situationen immer wieder auf. Das Ende
ist wie ein Schuss mitten ins Herz, danach ist Stille.
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