Es war das erste Mal, dass ein Film aus Albanien am Wettbewerb
des Mittelmeer-Filmfestivals in Köln teilnehmen konnte: Tirana
- Jahr Null von Fatmir Koci. Der Film war einer von insgesamt 13 Filmen
im Wettbewerb und erhielt den Zweiten Preis der siebenköpfigen
internationalen Jury. Er handelt von der Zeit nach dem Zusammenbruch des
Kommunismus vor fünf Jahren. Im Jahr 1997 gab es für mehrere
Monate keine Regierung, erzählte Regisseur Koci in einer
Diskussionsrunde. Es herrschte völliges Chaos, nichts ging
mehr. In einem Land, das jahrzehntelang von den Außenwelt abgeschirmt
war, stürzte zwar zunächst einmal alles ein, aber es taten sich
bis dahin ungeahnte Möglichkeiten auf. Auf einmal konnten die Albaner
tun und lassen, was sie wollten, und vor allem hingehen, wo immer sie
wünschten.
Vom Umgang mit dieser plötzlichen Entscheidungs- und
Bewegungsfreiheit handelt der Film. Der Lastwagenfahrer Niku ist sehr stolz
auf sein Fahrzeug, das die Existenzgrundlage der ganzen Familie bildet. Er
hat sich nach der Grenzöffnung entschieden, in Albanien zu bleiben und
will auch seinen kranken Vater nicht im Stich lassen. Seine Freundin Klara
hat dagegen andere Träume. Sie will nach Paris gehen und Modell werden.
Niku zweifelt daran, dass es woanders wirklich besser ist, obwohl die aus
den Fugen geratene Welt in Tirana nicht gerade ungefährlich ist. So
kutschiert er einen mit einem Kampfanzug bekleideten Deutschen durchs Land,
der unbedingt einen echten Bunker kaufen will. Für einen Regisseur
fährt er eine Riesenstatue von Stalin durch die Stadt. Der
übergeschnappte Regisseur schreit ständig abstruse Regieanweisungen
durchs Megaphon. Er wird damit zur Symbolfigur einer unfähigen bzw.
nicht vorhandenen Führung.
Der Film simuliert mit filmsprachlichen Mitteln das beschriebene Chaos:
Er ist ohne eindeutigen Handlungsstrang, hat gewagte Schnitte und ist
unvorhersehbar. Anarchisch, außergewöhnlich stark, bizarr,
phantasievoll, lautete die Wertung der Jury. Fatmir Koci ist
ein Regisseur, der die Konventionen der Filmsprache bricht und seine eigene
findet. Die zentrale Frage des Films, Bleiben oder Gehen, hat der Regisseur
für sich selbst eindeutig beantwortet: Ich bleibe. Albanien ist
das, was ich kenne. Und man kann nur kompetent mit dem umgehen, was man kennt.
Das heißt aber nicht, dass ich die Entscheidung derer, die gegangen
sind, anzweifle. Koci äußerte sich auch zu den
Produktionsbedingungen im Land: Zur Zeit können gerade mal 3 bis
4 Produktionen im Jahr hergestellt werden. Tirana - Jahr Null
entstand in Zusammenarbeit mit Belgien und Frankreich. Da die albanische
Regierung über keine ausreichenden Mittel verfügt, lassen sich
die Filme nur als Ko-Produktionen mit anderen Ländern realisieren.
Dies gilt übrigens für fast alle Filme, die auf dem
Mittelmeer-Filmfestival gezeigt werden. Der Erste Preis der Jury ging an
den palästinensischen Film Ranas Hochzeit und der Dritte
Preis an die zypriotische Produktion Unterm Sternenhimmel. Die
Auszeichnung zeigt, dass Albaniens Integration in Europa auf künstlerischer
Ebene bereits stattgefunden hat und eine Bereicherung der kulturellen Vielfalt
mit sich bringt.
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