"A Peck on the Cheek" steht in der Tradition von Mani Ratnams kühnen
Hybriden aus Bollywood und Politik, also von "Roja", "Dil Se" und "Bombay".
Sein jüngster Versuch, die versöhnlerische Form des Masala-Melodrams
(hier in einer tamilischen Version) in ein Plädoyer zur politischen
Versöhnung umschlagen zu lassen, ist jedoch bei aller noblen Absicht
von den Kompromissen, die dabei einzugehen sind, nicht ganz unbelastet.
Die zentrale Frage: Wie weit kann ein solcher Film gehen, wie weit darf er
seinen Plot ins Private, wie weit ins Politische treiben, ohne dass die Balance
verloren geht? Wo ist die Grenze, an der der Ernst des Politischen vom
Populären hintertrieben wird? Viel Raum gibt Ratnam, zunächst,
dem privaten Entwurf seines allegorischen Dramas. Kurz nach seiner Geburt
wird ein Baby von seiner aus Sri Lanka nach Tamil Nadu geflüchteten
Mutter verlassen, ein junger Mann, der Ingenieur und aufstrebende Schriftsteller
Thiru schreibt seine Geschichte, unter dem Namen der Frau, die er liebt,
Indra. Symbolischer Name, als Plot eine Erzählung von Nachbarskindern,
die ihre Liebe hinter der neckischen Vertrautheit, die sie lange verbindet,
erst entdecken müssen. Ein Märchen-Liebes-Versatzstück: diesen
Charakter unterstreicht Ratnam bewusst, indem er diese lange, sehr schön
aus dem Hauptplot ins romantische Milieu davontreibende Vorgeschichte an
einem idyllischen Ort am Meer situiert. Die beiden, Indra und Indra, adoptieren,
mit der Heirat, das verlassene sri-lankische Kind, Amudha, und der Film springt
zurück in die Gegenwart.
In der besten Song&Dance-Sequenz des Films - der ersten - wird Amudha
vorgestellt, im rhythmisierten Fast Forward, an der Schule, rennend, wild,
lebendig. An ihrem neunten Geburtstag erfährt sie die Wahrheit über
ihre Herkunft, die Kamera kreiselt mit ihr um den Vater und stoppt abrupt
die Bewegung. Was nun einsetzt, ist eine Bewegung gemäßigterer
Art - wenngleich Ratnams Vorliebe für den Flug der Kamera erhalten bleibt,
für eine Fluidität des Blicks, die ständig vom Effektbewussten
ins Effekthascherische umzuschlagen droht; und genau dann umschlägt,
wenn sie durch keine innere Bewegung, die sie unterstreicht, mehr gedeckt
ist oder diese nur noch leer behauptet. Die Verdopplung und Verdreifachung
- Bewegung des Inneren, äußere Bewegung, musikalische Bewegung
- ist das Prinzip des populären indischen Melodrams und Mani Ratnam
treibt es zur Vollendung, wenngleich er gelegentlich subtile Disharmonien
in den Bild-Text-Ton-Effektverbund schmuggelt. Die Ästhetik Bollywoods
ist - bei aller Vorliebe fürs (aber eben gerne auch: faustdick) Allegorische
- eine Ästhetik, die das Offensichtliche modelliert, keine Ästhetik
des Inwendigen und der Andeutung. Die Modellierung des Offensichtlichen ist,
als Kunst, eine Technik der Modulation des Gefühls durch den Effekt,
den das Miteinander von Bild, Text, Ton macht, aber auch durch die
Wechselbäder, in die das Nacheinander und die Spannungen der Stimmungen
den Betrachter werfen, der niemals nur Betrachter sein darf, sondern Erleidender,
Mitfiebernder, Überwältigter und Erschlagener.
Wie aber verträgt sich die Gefühlsmassage, deren Meister Mani Ratnam
ist, mit dem Politischen? Die gemäßigtere Bewegung, die die zweite
Hälfte des Films ausmacht, ist die der Reise. Amudha sucht ihre Mutter.
Die Familie begibt sich nach Sri Lanka und der erste beste Mann, mit dem
Amudha in ein Gespräch gerät, ist ein Tamile, der gleich darauf
sich und einen Bus mit Soldaten der sri-lankischen Armee in einem
Selbstmordattentat in die Luft sprengt. So geht das in recht rascher Folge
weiter. Man folgt einer falschen Fährte in den falschen Ort zur falschen
Shyama und gerät in einen Bombenhagel. Man folgt der richtigen Fährte
an den richtigen Ort zur richtigen Shyama und gerät in eine
Schießerei, in die Shyama, als tamilische Terroristin selbst verwickelt
ist. Die private Geschichte ist spätestens zu diesem Zeitpunkt nicht
viel mehr als der Anlass zur politischen Illustration, die allerdings bis
zuletzt privat formuliert wird. Genau hier aber ist der Ort des Unbehagens
an "A Peck on the Cheek": In der Sprache der Familienbande - die natürlich
auch die der Allegorie ist: verlorene Tochter Indiens, die Adoption als
ethisch-politische Maßgabe der Versöhnungsoption - werden einem
politische Gefühle aufgenötigt. Der Film bewegt sich in ein Feld
des Übergangs als Verwischung, das das Politische und das Private nicht
mehr zu trennen erlaubt. Das Junktim ist ohne Frage wirkungsvoll, die Intentionen
sind die allerbesten - die Offenheit und mehrfache Lesbarkeit, die noch das
Ende von "Dil Se" auszeichnete, fehlt dem freeze frame, mit dem "A Peck on
the Cheek" endet.
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