Das Setting ist Vorwand: gar nicht ferne japanische Zukunft,
Schüler terrorisieren die Lehrer, Erziehung wird unmöglich, das
Soziale löst sich auf. Die Antwort: ein totalitäter Staat,
Militär marschiert auf. Aber der Lehrer, der attackiert und abserviert
wird, ist Takeshi Kitano - er heißt im Film: Kitano, was ja sein
Künstlername für die Kunst ist, im Fernsehen heißt er Beat
Takeshi, man ahnt also schon, dass da was kommen wird. Was kommt, ist ein
Racheplan, ganz eng an die Survivor-Reality-TV-Idee angelehnt, aber forciert
mitten hinein in den tödlichen Ernst. Oder auch, über die
Kitano-Persona formuliert, eine Abwandlung und Verschärfung des Konzepts
von Takeshis Castle, in dem der blanke Sadismus ohnehin auch schon drinsteckt,
genauso wie in Survivor. Das Spiel, das Kitano sich ausgedacht hat: die ganze
Klasse - in Schuluniform! - auf einer evakuierten Insel aufeinander hetzen,
unter Aufsicht des Militärs, in einer homogenen Zone, per Lautsprecher
dringt seine Stimme überall hin. Die Spielregeln sind einfach, nur einer
darf nach drei Tagen am Leben sein, man bekommt ein explosives Halsband umgelegt
und sollten, wider Erwarten, am dritten Tag noch mehrere übrig sein,
werden sie miteinander in die Luft gejagt: Nur einer kann gewinnen. Jeder
der Nächsten ist der Konkurrent ums blanke Überleben.
Das ganze ist eine Art Fortsetzung des Benthamschen Gefängnisses
unter der nochmal verschärften Bedingung eines Hobbesschen Kampfes aller
gegen alle. Also der Schritt zurück hinter die Vergesellschaftung, hinter
das Soziale, das dem letzten Härtetest ausgesetzt wird. Biopolitik,
von aller moralischen Ummäntelung befreit, zu nichts gut als einem
gottgleichen Vergnügen an den herausgetriebenen tiefsten Instinkten.
Genau darum geht es: wie sich, wenn jeder ein Mörder nicht nur sein
darf, sondern sogar sein soll, in der Beinahe-Ununterscheidbarkeit von
spieltheoretisch ausgetüftelten Schein-Solidaritäten und dem schlicht
menschlich Guten, das die Verrohung verweigert, so etwas zeigt, wie das nicht
auseinanderdividierbare Zugleich von Instinkt und Sozialem in Ur- und Reinform.
Das Drehbuch ist brillant, macht es sich an keiner Stelle zu leicht. Führt
Varianten vor, Formen, das ganze Spektrum: Von der Verweigerung des Spiels
im Selbstmord - für die es keine Belohnung gibt in diesem Leben, von
einem anderen gibt's keine Spur. Die Insel, über die Kitano herrscht,
ist das Lager, ist die Zone, aber Battle Royale verfällt nie
in den Fehler der Unterschätzung des Individuellen - wie auch allererste
Befürchtungen, es könne sich um eine bloße dumme Satire handeln,
die, à la Natural Born Killers, an der Gewalt partizipiert,
die sie kritisiert, sich sofort zerstreuen. Der Film ist weder verlogen noch
pathetisch: hat nur einen ganz kühlen, sachlichen Raubtierblick auf
die Verhältnisse des Zwischenmenschlichen.
Und er hat eine wunderbare Verkörperung des Raubtiers in Takeshi
Kitano, der wie in allen seinen Filmauftritten (in den eigenen Filmen, aber
auch bei anderen Regisseuren, etwa in Tokyo Eyes) ein Schauspieler
ist, der fast nichts darstellen muss, dessen Präsenz allen Effekt macht,
den man sich nur wünschen kann. Nichts ist hier transparent auf
psychologische Lesbarkeit hin. Kitano steht im Raum, zieht leicht das Bein
nach, das Gesicht ist eine Maske, die nichts ausdrückt, aller Charakter
scheint reduziert auf das gelegentliche unwillkürliche Zucken. Kitano
ist das feste Fundament, ja, der Anker, der verhindert, dass sich der Film,
dem Countdown zum Tode, der überspitzten Gewaltdarstellung zum Trotz,
als Videogame ohne weitere Folgen selbst erledigt. Immer wieder kehrt, als
Kontrapunkt zur Bewegung, zum Kämpfen auf Leben und Tod, der Blick
zurück auf Kitano, auch auf die Stillleben mit Militär und
ironisch-pathetischer Musik; in diesen Momenten sind wir fast bei der
ästhetischen Auflösung des Militärischen, die Claire Denis
in Beau Travail
vorführt. Groß die Szene, in der Kitano aus dem Nichts
auftaucht, seiner Gottgleichheit wegen die pure Epiphanie, aber natürlich
gebrochen: ein Gott als Gentleman, der einen Regenschirm reicht. Und ein
Gott, dem es an der letzten Konsequenz der Grausamkeit mangelt, gewiss dem
filmischen Happy-End zuliebe, aber auch als ganz glaubwürdiger, das
Enigmatische noch verstärkender Charakterzug.
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