Drei Inder in der Schweiz, Mann und Frau und eine Prostituierte, die
der Mann - es ist der Wunsch seiner nach einem Unfall unfruchtbaren Frau
- schwängern soll, damit das Paar einen Stammhalter präsentieren
kann. Er bringt es nicht über sich, mit Madhu zu schlafen, seine Frau
arrangiert es, bei einem Schneesturm kehrt sie nicht nach Hause zurück,
die beiden sind allein: jetzt muss es passieren. Nachdem er sich mit Wodka-Cola
betrunken hat und Madhus Gesicht in seiner Vorstellungskraft (beinahe) durch
das seiner Frau ersetzen kann, begeben sie sich ins Bett, die Kamera schwenkt
züchtig beiseite, aber nicht auf den Kamin, nicht auf den vor dem Fenster
liegenden See - sie fährt eine Weile an opakem Glas vorbei - schwenkt
in scheinbarer Schnittlosigkeit hinüber zur Ehefrau im Dorf, nicht nur
im Dorf, sondern: in der Kirche, wo sie sitzt, umgeben von Betenden. Schnitt
auf eine Madonnenstatue mit Jesuskind vor Buntglasfenster, hinter dem es
schneesturmdunkel ist. Dann gleißendes Licht, ein Streifen erst, darauf
das ganze Fenster, die Kirche ist strahlend hell, Schnitt, die Ehefrau ist
überglücklich.
Das ist Bollywood, in a nutshell.
Groteskes Nebeneinander des Inkommensurablen, psychologischer Extremismus,
der sich um nicht-melodramatische Plausibilitäten herzlich wenig kehrt,
verbunden mit einer Filmsprache, die in überdeutlichen Metaphern das
Erhabene und das Lächerliche so mischt, dass man mit dem Empfinden nicht
mehr hinterherkommt (lacht man oder weint man, schüttelt man den Kopf
oder ist man hingerissen). Und im Nu ist es vorüber, auf Momente des
grotesken Melodrams folgen solche reiner Albernheit oder das Paar purzelt
im Schnee, tanzt und singt (aber natürlich singen die Darsteller nicht
selbst) in der Fußgängerzone in der Schweiz, während das
Staunen der Einheimischen im Hintergrund von der Kamera mit eingefangen wird.
Geborgt werden die Ideen, wo man sie herbekommt, hier, in Chori Chori
Chupke Chupke etwa, unter anderem natürlich, von "Pretty Woman"
- nur dass die Zweierkonstellation (inklusive zauberisch schneller Herzens-
und Manierenbildung der Prostituierten, wie man sie vom Vorbild kennt) mal
eben um das in Indien alles andere als leicht zu vermittelnde Problem der
- natürlichen! - Leihmutterschaft erweitert wird, um das halbe Mitwissen
der Ehefrau (sie ahnt lange nicht, dass Madhu eine Prostituierte ist), um
die Melodramödie des Betrugs aus bester Absicht gegenüber dem Rest
der enkel- und großenkelsohnversessenen Familie. Nur geküsst wird
nicht.
Keines der Probleme, die in die schwindelerregend dünne Luft
des Melodrams hinaufgeschossen werden, wird dabei auch nur annähernd
"realistisch" verhandelt. Alles menschliche Verhältnis kommt stets im
rauschenden Gewand der glänzenden Affekte und Effekte daher,
herausgeschält wie immer wieder neu aus den Hohlformen der Klischees,
stets folgsam gegenüber den Plotlinien aus dem Bollywood-Ideenhimmel.
(Die wilde Mischung der Metaphern ist ansteckend.) Es gibt, im westlichen
Kino, eigentlich nur eine Parallelerfahrung, die die bollywoodtypischen
Rezeptionswallungen, auf andere, eigene und doch zuletzt ähnliche Art
auszulösen vermag: das ist David Lynchs "Twin Peaks". Ein Bollywood-Remake
der Serie wäre mutmaßlich nicht zu verkraften und schon die besten
unter den Produkten der indischen Filmindustrie - Chori Chori Chupke Chupke
gehört freilich nur in Teilen dazu - sind es, streng genommen,
eigentlich nicht.
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