Vincenzo Natali: Cypher (USA 2002)

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Vincenzo Natali: Cypher (USA 2002)
Kritik von Ekkehard Knörer

siehe auch unsere DVD-Info zu Cypher

Was Subjekte zusammenhält, ist die Erinnerung. Erinnerungen machen Leute, die Vergangenheit macht den Mann und was einer ist, bestimmt sich vor allem darüber, wie er sich erinnert. Sich: reflexiv, aber auch als Objekt. Ich mache mich durch Erinnern zu dem, der ich bin. Ich bin, eher zuerst als zuletzt, mein Gedächtnisstil. Weniger was ich tue, als wie ich mir zurechtlege, was ich getan habe.

Gehirnwäsche, als Vernichtung von Erinnerung, als künstliche Neu-Errichtung falscher Erinnerung, ist also die zentrale Metapher der Zerstörung des Subjekts. Das Subjekt, das sich falsch erinnert (und damit zu Dingen imstande ist, die es nicht tun will), ist ein falsches, ein gefälschtes Subjekt. Und als solches keines mehr, weil zur Idee des Subjekts die Herrschaft übers Erinnern gehört. Subjekte fälschen sich selbst, indem sie sich erinnern: darin liegt ihre Authentizität.

Ein Jedermann ist der Held von Cypher. Und, auf den ersten Blick, doch kein Held, denn Helden sind die emphatischste Form von Subjekten und der Action-Film macht aus dem Erinnern in Rücksicht auf Darstellbarkeit Gegenwart. Der Action-Held bestimmt sich handelnd selbst. Zugleich aber braucht der Action-Held keine Vergangenheit. Er ist ganz Gegenwart und je weniger er über sich weiß, desto effektiver tötet er. Der effektivste Action-Held ist die Maschine und die Terminator-Serie stellt die subtilsten philosophischen Erörterungen darüber an, was es für die Maschine bedeutet, erinnerungsfähig zu werden. (Den Tod, am Ende. Freilich ist die Maschine seit Terminator 2 als eine, die nicht mehr tötet, bereits vermenschlicht.)

Philip K. Dick, um diesen letzten Umweg noch zu machen, ist der Autor, der in immer neuen Versuchsanordnungen den Helden als einen vorgestellt hat, der gerade dadurch zu sich selbst findet, dass er den falschen Erinnerungen und den falschen Wirklichkeiten auf die Schliche zu kommen versucht. Und scheitert. Denn der Held unter den Bedingungen des epistomologischen Zweifels an der Welt wie an sich selbst kann nur ein Anti-Held sein. Arnold Schwarzenegger an diese Stelle zu setzen - wie in der Dick-Verfilmung "Total Recall" geschehen - kann nur zu merkwürdigen Inkosequenzen führen.

Der Held von Cypher trägt mehr als einen Namen. Als Morgan Sullivan wie als Jack Thursby ist er ein Anti-Held Dickschen Formats, Spielball falscher Erinnerungen und der Konzerne, die ihm diese Erinnerungen anzudienen versuchen. Indem jedoch Jack Thursby sich erinnert, Morgan Sullivan zu sein, scheint er seinen Status als Subjekt wieder herstellen zu können, die Maske und Jeremy Northams Verwandlung von der grauen Maus zum einnehmenden Mann jedenfalls behaupten das mit Nachdruck. Wie Thomas Christian Anderson widersteht er der Welt, die die Konzerne oder Maschinen für ihn fabulieren. Auch die Matrix ist ja ein Gehirnwaschsalon.

Und wie in der Matrix ist das in Cypher doch auch nicht so einfach, denn in den Subjektstatus kann sich Sullivan/Thursby nur dank der Hilfe von außen retten. Drei Fronten sind es, zwischen denen der Held wie eine Billardkugel hin- und hergespielt wird, ohne zu wissen, wie ihm geschieht. Herr ist er nur, oder: immerhin, über dieses Nichtwissen. Er kommt zu sich, ohne je genau bestimmen zu können, wer genau der ist, zu dem er kommt. Ob er der ist. Oder ein anderer. Nur die Idioynkrasien sind ein Anhalt. Aber ist einer schon ein Subjekt, weil er weiß, was er gerne raucht oder trinkt? Nichts, lehrt uns die Werbung - bekanntlich die größte Gehirnwäscheagentur der Wirklichkeit -, ist manipulierbarer.

Die Wende, die Cypher nimmt, als Schlusspointe, ist ein Rückfall. Der Held erinnert sich und wird, runderneuert, Subjekt. Ohne Abstriche. Ein Subjekt, das noch die Gehirnwäsche zum Mittel machen kann, ein anderer zu werden, um zuletzt es selbst zu sein. Ein Mann, der sich selbst gefälscht hat, ohne sich zu verlieren. Ein Mann, der der eigenen Fälschung auf die Schliche kommt und so allem Zweifel entgeht. Ein Mann, der sich selbst zum Objekt machen kann. Ein solcher selfmade Mann ist das Subjekt schlechthin. Tiefes 19. Jahrhundert.

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