Worum es Nanni Morettis Film geht, ist der Alltag. Ist die
Alltäglichkeit, in die das Entsetzen einbricht, der Tod des Sohnes als
etwas, das mit dem Alltag, der doch weitergehen muss, nicht kommensurabel
zu machen ist, der alles affiziert, was man sonst für normal und
selbstverständlich hält. Also etabliert Moretti erst einmal diese
Familie, die Abläufe, in denen sie sich konstituiert, Tag für Tag
neu, all die Tage, an denen nichts Besonderes passiert. Von diesem nicht
Besonderen erzählt das erste Drittel von Das Zimmer meines Sohnes.
Es beginnt mit dem joggenden Vater, seiner nichts weiter bedeutenden Begegnung
mit einer kleinen Gruppe Hare Krishna. Man sieht gemeinsame Mahlzeiten, das
Basketball-Training der Tochter, das Tennisspiel des Sohnes. Giovanni als
Psychoanalytiker in seiner Praxis, die Geschichten, die ihm seine in klassischer
Manier auf die Couch gebetteten Patienten erzählen, das Ehepaar abends
im Bett, beim Sex. Der Sohn wird verdächtigt, einen Ammoniten aus der
Asservatenkammer der Schule geklaut zu haben, das sind, im nachhinein, die
alltäglichen Sorgen, die man sich wünscht.
Dann aber nimmt das Unheil denkbar unspektakulär seinen Lauf.
Ein Anruf bittet Moretti zu einem Patienten, das gemeinsame Jogging mit dem
Sohn fällt aus, der geht stattdessen mit seinen Freunden zum Tauchen.
Dort kommt er um. Moretti erzählt das zunächst ebenso sachlich,
lakonisch wie alle bisherigen Szenen, mischt nur leise Momente der Beunruhigung
in die Bilder, die dem Unfall, der selbst nicht zu sehen ist, vorausgehen.
Die Mutter wird auf einem Flohmarkt angerempelt, nichts weiter, Beweis nur
der Subtilität, mit der Moretti vorgeht. Der Einbruch des Todes
verändert alles, nicht jedoch die Klarheit des Erzählens, das in
schlaglichtartigen Szenen voran geht, die genau für das stehen, was
sie zeigen: den Schmerz, die Hilflosigkeit auch gegenüber der Trauer,
des Nicht-Weiter-Wissens der anderen. Die Entfremdung, zu der dieses
Nicht-Aushalten der Nähe des Schmerzes des anderen führt. Auch:
das jähe Niederreißen der Wand zwischen Privatem und Beruf. Dünn
genug ist für Giovanni diese Wand von Beginn an, mit Übertragungen
kennt er sich aus, hat Rat parat, der ihm nun plötzlich selbst nicht
mehr nützt.
Der sinnlose Zufall, die Verkettung ohne Grund, die das Unglück
erlaubt hat, macht Giovanni am meisten zu schaffen. Der Wunsch, die Zeit
zurückzudrehen, es anders ausgehen zu lassen: in imaginären Bildern
malt Moretti das aus, die Wirkungen, die Phantasien, mit denen das Geschehen
und der Wunsch, es nicht geschehen zu machen, das plan Normale besetzen und
unmöglich machen. Moretti zeigt den Schmerz, die Krise, ohne den Zuschauer
je damit zu bedrängen. Er will nicht auf die Darstellung des Schrecklichen
hinaus, er will nicht so tun, als könnte der Betrachter mit-leiden,
schon gar nicht will er ihn dazu nötigen. Immer rechtzeitig sind die
einzelnen, in sich stets offenen, aber kein Bild zu wenig zeigenden Szenen
zuende. Der Film entwickelt kein Helfer-Syndrom, das dem Zuschauer die Flucht
in billige Tränen ermöglichen würde. Auch auf Katharsis ist
er nicht aus. Er will nur zeigen, was passiert, wie auch ein in allem
Menschlichen versierter, hoch zivilisierter erwachsener Mann so wenig wie
seine Frau weiß, wie der Schmerz zu mildern wäre. Dass das ganz
konventionell erzählt ist, macht erstaunlicherweise eine Stärke
des Films aus: er achtet die Grenzen des Darstellbaren.
Moretti ist ein humaner Filmemacher, er kennt Gnade auch für
seine bis beinahe an den Rand der Zerstörung getroffene Familie. Wo
das reine Unglück einschlug, meldet sich, aus dem Nichts,
unangekündigt, der glückliche Zufall, die unbekannte Freundin des
toten Sohnes aus dem Ferienlager. Man sieht, wie es in ihrer Gegenwart
möglich wird, über den Sohn zu reden, auch einen Akt des Eingedenkens
zu vollbringen, der zugleich einer des Abschied ist. Arianna und ihrem neuen
Freund gelingt, was die katholische Messe nicht leisten konnte, die beiden
werden zum Zeichen, dass Trost ist. Die Fahrt durch die Nacht ist in ihrer
Schlichtheit bewegend. Kein pathetischer Moment der Einsicht, der Umkehr,
nichts dergleichen. Und doch die Hoffnung, im ersten gemeinsamen Lachen der
Familie, an der französischen Grenze, im Morgengrauen, am Meer, dass
das Heil zurückkehren kann. Die Kamera zieht sich zurück, entfernt
sich, den Vorhang zuziehend, von den drei Gestalten am Strand. Es ist ein
schönes, ein optimistisches, ein kein bisschen verlogenes Ende.
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