Scherpunkt Asien: Tsai Ming-liang: Der Fluss (Taiwan 1997)

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Der Fluss

Regie: Tsai Ming-liang

Mit: Lee Kang-sheng, Miao Tien, Lu Hsiao-ling

Biografie von Tsai Ming-liang:

Geboren am 27.10.1957 in Ku Ching, Malaysia. Studium an der Theater- und Filmfakultät der Universität Taiwans.

Arbeitete als Produzent und Regisseur am Theater, als Autor und Regisseur für das Fernsehen. Nach mehreren Drehbüchern seit 1992 mit den Spielfilmen REBEL OF THE NEON GODS und VIVE L'AMOUR auch international erfolgreich.

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Tsai Ming-liang: Der Fluss (Taiwan 1997)
Kritik von Ekkehard Knörer

Vater und Sohn (Tsai Ming-liang: Der Fluss)

zum Asien-Schwerpunkt

Eine zufällige Begegnung auf einer Rolltreppe steht am Anfang, eine junge Frau, die als Regieassistentin arbeitet, lädt ihren Bekannten Xiao-kang ein, doch mit auf ein Filmset zu kommen. Der hat nichts Besseres zu tun und endet als Wasserleiche im trüben Fluss, aber nur im Film im Film, den, kleine Pointe für Insider, die angesehene Hong-Kong-Regisseurin Ann Hui dreht. Danach haben er und seine Bekannte Sex im Hotel. Man wird die namenlos bleibende Geliebte nicht wiedersehen, aber das Bad im Fluss bekommt Xiao-kang nicht, kurz darauf erkrankt er an einem Nervenleiden (den Zusammenhang mit seinem Auftritt als Kleindarsteller legt der Film nahe, macht ihn aber nie explizit), hat schreckliche Schmerzen im Nacken und sein Kopf steht nicht mehr still.

Scheinbar harmlos die Anfänge, grauenhaft die Folgen. Bald ernsthaft erkrankt, sucht Xiao-kang da einen sicheren Hafen, wo, das macht der Film sogleich deutlich, keiner ist: in der Familie, bei seinen Eltern. Die leben getrennt in derselben Wohnung, sprechen kaum ein Wort noch miteinander. Der Vater, in qualvoll langen Einstellungen führt uns Tsai Ming-liang das gleich zu Beginn vor Augen, treibt sich in Schwulensaunas herum, die Mutter, die als Fahrstuhlführerin Geld verdient, hält sich einen Geliebten, der Pornovideos produziert. Freunde, die sich um ihn kümmern würden, scheint Xiao-kang nicht zu haben. In dieser Familie, schweigend unter Schweigenden, strandet Xiao-kang, schwer krank. Seine Eltern schleppen ihn von einem Arzt zum anderen, zu Wunderheilern und Masseuren, die alle nichts ausrichten. Keineswegs jedoch führt das Leiden des Sohnes die Eltern wieder zusammen, wie Fremde begegnen sich, von Anfang an, alle Mitglieder dieser Familie: auf der Straße, in der Wohnung, kein Funken Zuneigung dringt ins Innere dieser düsteren Zwangsgemeinschaft.

An allen Fronten droht die Existenz der Familie auseinander zu fallen; Tsai, der es mit Symbolen hat, macht es am Wasserschaden fest, der das Zimmer des Vaters langsam aber sicher in einen Swimmingpool verwandelt. Eine Reise zu einem weiteren Wunderheiler, der Geister beschwört, führt Vater und Sohn weg von Taipeh, in ein anonymes Hotel in einer fremden Stadt. Nichts haben sie sich zu sagen, einsam sind sie gemeinsam auf dem Zimmer, einsam der Vater auf seinen Spaziergängen durch die Stadt, einsam der Sohn, der an der Wand zum Nachbarzimmer lauscht und nichts hört. Trost suchen beide, als verzweifelt Alleingelassene, in der Schwulensauna, begegnen sich im dunklen Zimmer, ohne sich zu erkennen. Der Vater holt seinem Liebhaber, der sein Sohn ist, einen runter. Als er ihn erkennt, schlägt er ihn. Was diese peinliche Zusammenkunft bedeutet, für beide, erfahren wir nicht. Am Ende zieht der Sohn, im Hotelzimmer, den Vorhang zur Seite, gleißendes Licht fällt herein. Ein Zeichen der Hoffnung, vielleicht.

Der Fluss ist ein Film, der einem vieles verweigert. Er ist nicht weniger wortkarg als seine Figuren, setzt ganz auf elend lange Einstellungen, in denen buchstäblich nichts passiert. Die Zeit steht still, gefriert zu reiner, aussageloser Dauer. Zum Statuarischen und Schwerfälligen tritt das Vertrauen aufs Symbol. Schwer lasten Bedeutungen auf diesen Bildern, die nicht viel mehr haben als ihre Dauer: Kommentare bleiben aus, die Kamera ist ungerührt, die Schnitte von einem Schauplatz zum anderen, von einem Zeitpunkt zu nächsten sind harsch, die Narration ist abgehackt. Allem Individuellen, damit allem Überraschenden, allem ungefügig Unerwarteten, widersetzt sich dieser Film und bietet so allzu willig Projektionsflächen für ins große Ganze zielende Interpretationen: den Zerfall der taiwanesischen Gesellschaft, Vereinzelung, Unfähigkeit zu menschlicher Nähe. Antonioni revisited, die taiwanesische Version. Dabei ist Der Fluss, im besten Fall, ein Symptom der Krankheit, für deren Diagnose er sich hält. Die so viel unauffälligere Form, die Edward Yang in Yi-Yi für eine ungleich nuanciertere Diagnose gewählt hat, scheint mir dem ausgestellten Kunst-Anspruch von Tsai Ming-liangs Film haushoch überlegen.

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