Eine zufällige Begegnung auf einer Rolltreppe steht am Anfang,
eine junge Frau, die als Regieassistentin arbeitet, lädt ihren Bekannten
Xiao-kang ein, doch mit auf ein Filmset zu kommen. Der hat nichts Besseres
zu tun und endet als Wasserleiche im trüben Fluss, aber nur im Film
im Film, den, kleine Pointe für Insider, die angesehene
Hong-Kong-Regisseurin Ann Hui dreht. Danach haben er
und seine Bekannte Sex im Hotel. Man wird die namenlos bleibende
Geliebte nicht wiedersehen, aber das Bad im Fluss bekommt Xiao-kang nicht,
kurz darauf erkrankt er an einem Nervenleiden (den Zusammenhang mit seinem
Auftritt als Kleindarsteller legt der Film nahe, macht ihn aber nie explizit),
hat schreckliche Schmerzen im Nacken und sein Kopf steht nicht mehr
still.
Scheinbar harmlos die Anfänge, grauenhaft die Folgen. Bald ernsthaft
erkrankt, sucht Xiao-kang da einen sicheren Hafen, wo, das macht der Film
sogleich deutlich, keiner ist: in der Familie, bei seinen Eltern. Die leben
getrennt in derselben Wohnung, sprechen kaum ein Wort noch miteinander. Der
Vater, in qualvoll langen Einstellungen führt uns Tsai Ming-liang das
gleich zu Beginn vor Augen, treibt sich in Schwulensaunas herum, die Mutter,
die als Fahrstuhlführerin Geld verdient, hält sich einen Geliebten,
der Pornovideos produziert. Freunde, die sich um ihn kümmern würden,
scheint Xiao-kang nicht zu haben. In dieser Familie, schweigend unter
Schweigenden, strandet Xiao-kang, schwer krank. Seine Eltern schleppen ihn
von einem Arzt zum anderen, zu Wunderheilern und Masseuren, die alle nichts
ausrichten. Keineswegs jedoch führt das Leiden des Sohnes die Eltern
wieder zusammen, wie Fremde begegnen sich, von Anfang an, alle Mitglieder
dieser Familie: auf der Straße, in der Wohnung, kein Funken Zuneigung
dringt ins Innere dieser düsteren Zwangsgemeinschaft.
An allen Fronten droht die Existenz der Familie auseinander zu fallen;
Tsai, der es mit Symbolen hat, macht es am Wasserschaden fest, der das Zimmer
des Vaters langsam aber sicher in einen Swimmingpool verwandelt. Eine Reise
zu einem weiteren Wunderheiler, der Geister beschwört, führt Vater
und Sohn weg von Taipeh, in ein anonymes Hotel in einer fremden Stadt. Nichts
haben sie sich zu sagen, einsam sind sie gemeinsam auf dem Zimmer, einsam
der Vater auf seinen Spaziergängen durch die Stadt, einsam der Sohn,
der an der Wand zum Nachbarzimmer lauscht und nichts hört. Trost suchen
beide, als verzweifelt Alleingelassene, in der Schwulensauna, begegnen sich
im dunklen Zimmer, ohne sich zu erkennen. Der Vater holt seinem Liebhaber,
der sein Sohn ist, einen runter. Als er ihn erkennt, schlägt er ihn.
Was diese peinliche Zusammenkunft bedeutet, für beide, erfahren wir
nicht. Am Ende zieht der Sohn, im Hotelzimmer, den Vorhang zur Seite,
gleißendes Licht fällt herein. Ein Zeichen der Hoffnung,
vielleicht.
Der Fluss ist ein Film, der einem vieles verweigert. Er ist
nicht weniger wortkarg als seine Figuren, setzt ganz auf elend lange
Einstellungen, in denen buchstäblich nichts passiert. Die Zeit steht
still, gefriert zu reiner, aussageloser Dauer. Zum Statuarischen und
Schwerfälligen tritt das Vertrauen aufs Symbol. Schwer lasten Bedeutungen
auf diesen Bildern, die nicht viel mehr haben als ihre Dauer: Kommentare
bleiben aus, die Kamera ist ungerührt, die Schnitte von einem Schauplatz
zum anderen, von einem Zeitpunkt zu nächsten sind harsch, die Narration
ist abgehackt. Allem Individuellen, damit allem Überraschenden, allem
ungefügig Unerwarteten, widersetzt sich dieser Film und bietet so allzu
willig Projektionsflächen für ins große Ganze zielende
Interpretationen: den Zerfall der taiwanesischen Gesellschaft, Vereinzelung,
Unfähigkeit zu menschlicher Nähe. Antonioni revisited, die
taiwanesische Version. Dabei ist Der Fluss, im besten Fall, ein Symptom
der Krankheit, für deren Diagnose er sich hält. Die so viel
unauffälligere Form, die Edward Yang in
Yi-Yi für eine ungleich
nuanciertere Diagnose gewählt hat, scheint mir dem ausgestellten
Kunst-Anspruch von Tsai Ming-liangs Film haushoch überlegen.
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