Befreit von prüder amerikanischer Selbstzensur kann Brian
DePalma in Femme Fatale hemmungslos seinen Obsessionen nachgehen.
Entstanden ist ein kluger, selbstreflexiver Film noir; vulgär in seiner
Fixierung auf Sex und Brutalität, ohne Rücksicht auf politisch
korrekte Verschleierungstaktiken. Die Geschichte folgt der verführerischen
Laure (Rebecca Romjin-Stamos), die ihre Partner bei einem Diamantenraub
während der Filmfestspiele von Cannes ausbootet und sich mit der Beute
zunächst nach Paris, schließlich unter falscher Identität
nach Amerika absetzt. Sieben Jahre später kehrt sie als kamerascheue
Gattin des US-Botschafters nach Frankreich zurück. Als sie der Papparrazzo
Nicolas (Antonio Banderas) photographiert, droht ihr falsches Spiel
aufzufliegen.
Bereits die erste Einstellung, in der Laure, sich halbnackt auf dem
Hotelbett räkelnd, Billy Wilders Klassiker "Double Indemnity" im Fernsehen
verfolgt, läßt erahnen, was in den nächsten knapp 120 Minuten
auf den Zuschauer zurollen wird. Ein komplexes Vexierspiel voller Andeutungen,
Zitaten und Wendungen, in seiner radikalen Bildsprache nicht für jeden
am Mainstream geschulten Zuschauer leicht konsumierbar. Zumal De Palma wenig
Rücksicht nimmt auf plotorientierte Sehgewohnheiten. In der folgenden
eröffnenden Sequenz wird der unerhörte Diamantenraub inszeniert.
Während im Kinosaal Régis Wargniers Est - Ouest seine
Premiere erlebt, lotst Laure die umwerfend gut aussehende Begleiterin des
Regisseurs auf die Damentoilette des Festivalpalais, um ihr in einer erotisch
knisternden Strippokervariante den Schmuck zu entwenden. Selten hat man in
den letzten Jahren eine ähnlich elegant arrangierte, spektakuläre
Exposition gesehen. Doch ist dies erst der Auftakt zu einem Bilderreigen,
der trotz der Wirren und Spreizungen des Drehbuchs einen unvergleichlichen
Sog entwickeln wird. Die Rhythmik der beinahe beständig mit Musik
unterlegten Szenen, De Palmas spezielle, bereits in seinen früheren
Filmen entwickelten filmischen Techniken, wie Split Screen, der ausgiebige
Gebrauch von Vogelperspektiven und nicht zuletzt die ihre Protagonisten
umkreisende Kamera, all das verschmilzt zu einer atemberaubenden
Geschlossenheit.
Als Glücksfall entpuppt sich die Verpflichtung des Exmodels Rebbeca
Romjin-Stamos für die Hauptrolle. Ihre eiskalte, katzenhafte Aura
trägt den Film und ihr zurückgenommenes Spiel, fast schon
künstlich in seiner Distanziertheit, verschränkt sich aufs engste
mit DePalmas Ansatz, der zunächst vorsichtig, anhand von Details,
schließlich in der Auflösung des Plots ganz offensichtlich an
der Unterscheidung zwischen Beobachtung und Sehen, zwischen Traum und
Wirklichkeit interessiert ist. Als den weiblichen Reizen Laures hoffnungslos
verfallener Liebhaber, ist Antonia Banderas völlig gegen den Strich
besetzt. In einer amüsanten Szene im Flughafenhotel darf er selbst eine
Tunte parodieren. Seine Figur dient in der keinem zeitlichen Kontinuum
verpflichteten Handlung als Konstante, einem Rettungsanker gleich. Freilich
bleibt die männliche Rolle, wie die des Zuschauers, in De Palmas Kosmos
immer reduziert auf das beobachtende Element, dessen Haltung selten, wenn
überhaupt, Einfluss auf die großen Zusammenhänge nimmt.
Femme Fatale kommt in De Palmas Werk eine Schlüsselrolle zu,
ist eine Demonstration in Sachen Film und vielleicht das erste große
Meisterwerk des laufenden Kinojahres.
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