Das Vorstellbare ist nun, endgültig, das lehrt uns Der
Herr der Ringe, darstellbar geworden in dem Medium, das (sich) die Frage
nach der Abbildung von Realität immer schon wie von selbst stellte.
Wir kannten die Monster, nicht zuletzt von Peter Jackson, den wir an ihnen
gar wieder erkennen. Neu aber sind wilde Kamerastürze hinein in piranesische
Unterwelten, sind faschistoide Weltwunder mit Hitlergruß frisch aus
dem Computer, neu ist die Queste durch das Dick und Dünn der CGI-Technik,
deren neuester Stand sie von der Wirklichkeit, wie sie uns das Kino vor Augen
führt, kaum mehr unterscheiden lässt.
Der Mythos, den der Moderneflüchtling Tolkien aus den
Versatzstücken sämtlicher Mittelalter zusammengeschmiedet hat,
wird nun Bild in jener monumentalen Weise, die sonst nur von Bibelverfilmungen
und Schwertepen bekannt ist. Das Epos kommt also über seine
Familienähnlichkeit mit ähnlichen Film-Derivaten jener Geschichten,
die ihre Größe einer Wucht verdankt, die nicht die der Bilder
ist und sein kann, zu sich. Bei sich wieder an, aber, wie stets, als riesiger
Scheck, den das Kino mit dem größten Aufwand nicht decken kann.
Dieser Aufwand ist es, der in die Bilder, die so ersichtlich und mitunter
durchaus triumphal an der Darstellung des Vorstellbaren sich versuchen, immer
und immer eingetragen bleibt. Dieser Aufwand ist es, der überwältigt
und noch in der Überwältigung durch nichts als die Bilder (with
a little help from Howard Shore), staunt man über die Kunst ebenso
wie über das, was sie hervorbringt.
Die Ästhetik von Der Herr der Ringe ist eine des
Überflusses: an Pathos, an Kitsch, an Effekten, an Abenteuern - und
damit ähnelt der Film, ausgerechnet,
Amélie, dem Film, der
jüngste Technik zur nicht ausgestellten, an ihrem eigenen Verschwinden
arbeitenden Konstruktion einer (hier jedoch: kleinen) Gegen-Welt nutzt. Beim
Herrn der Ringe ist es jedoch nicht das Herz, sondern umstandsloser gleich
das Auge des Betrachters, das überwältigt werden soll - und, je
nach Disposition, sich dieser Überwältigung nur mehr oder weniger
verschließen kann. Nach zwei Seiten hin verfehlt diese Ästhetik
- auf durchaus sympathische Weise - ästhetische "Größe" (aka
Kunst). Weder ziehlt Jackson mit seinen Bildern auf Erhabenheit (im Sinn
der Entortung des Blicks angesichts des Inkommensurablen) noch auf
Verrätselung: die grandiosen Tableaus bedeuten als solche nichts, sind
Oberflächen ohne Hintergrund. Erst die Fabel, der mythos als
ganzer hat Sinn, die Struktur der einzelnen Episoden dagegen ist eine andere,
sie gehorcht ganz der des Abenteuerfilms, der Logik ovn Suspense und Steigerung,
von Auftritten des Ungeheuren, dem Kampf, der scheinbar unausweichlichen
Niederlage, dem Triumph.
Peter Jackson, obwohl ein Liebhaber des Überdosierten, beweist
in der Inszenierung des Überflusses immer wieder Sinn für Proportion
und Timing. In den Auftritten der schwarzen Reiter etwa zeigt er sich als
meisterhafter Konstrukteur des Schaurigen, der treffgenauen Mischung und
gegenseitigen Steigerung von Gezeigtem und Ungezeigtem. Ein Höhepunkt
dieser Form des Understatements: Bilbos nur für Sekunden ins Bild gesetztes
hassverzerrtes Gesicht, der kurze Auftritt der Tricktechnik als Einbruch
des Bösen in den Frieden des "Realfilms", in dem die Form und die Handlung,
überzeugend gerade in der Momenthaftigkeit, kurzgeschlossen werden.
Schrecklicher ist dieser Moment als die übervölkerten
Bedrohungsszenarien aus dem Computer, die die Gefährten auf ihrem Weg
durch Moria überqueren, schrecklicher als alle Orks und Trolle. Der
Schrecken des Vorgestellten kann als dargestellter schrecken nur durch
Überwältigung (Effekte der Neuheit, der Größe, des Ekels)
- dass Jackson aber, gegen allen Eskapismus der mythischen Gegenwelt, Momente
des Einbruchs der Gewalt, des Bösen ins Harmloseste zu inszenieren versteht,
das macht seinen Herrn der Ringe zu ein bisschen mehr als einem grandiosen
Abenteuerfilm.
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