100 Jahre japanischer Film in 55 Minuten - das ist,
selbstverständlich, ein Ding der Unmöglichkeit. Nun kann man auch
unmögliche Dinge in unterschiedlich souveräner Weise angehen, Jean-Luc
Godard hat, gleichfalls zum hundertsten Geburtstag des Films, in Histoire(s)
du cinema seine sehr persönliche Sicht der Dinge entwickelt und
damit ein essayistisches Werk ganz eigenen Rechts geschaffen. Nagisa Oshima
jedoch, einst zum Mitbegründer der japanischen Nouvelle Vague ausgerufen
und bis heute, nicht zuletzt seines Skandalerfolgs
Im Reich der Sinne wegen,
im Westen der bekannteste japanische Regisseur seiner Generation, Oshima
scheint den Auftrag für diesen Film als lästige Pflichtaufgabe
betrachtet zu haben.
Er legt seine Chronik als überaus konventionellen Durchzieher
durch die Filmgeschichte an, verbindet Filmausschnitte (denen von den deutschen
Bearbeitern ziemlich unerklärlicher Weise sämtlich keine Untertitel
verpasst wurden) mit einem Off-Kommentar, bei dem es einem immer wieder die
Schuhe ausziehen kann. Oshima sagt da nämlich eigentlich nichts, was
man nicht auch im oberflächlichsten Lehrbuch zu japanischer Filmgeschichte
nachlesen könnte.Geradezu blind ist Oshima für das, was er in
Ausschnitten vorführt: nichts zur Filmsprache der großen Regisseure,
nur hin und wieder semi-soziologische Erläuterungen oder tiefsinnige
Bemerkungen wie die, dass Sex eine sehr intime Sache - und daher, so das
doch eher zweifelhafte Argument, von individualistisch arbeitenden Filmemachern
am besten zu behandeln sei. Es gibt keinerlei Ansätze zur idosynkratischen
Aneignung, zum ungewöhnlichen Umgang, zur überraschenden Auswahl
der Beispiele. Erstaunlich am ehesten, dass das Goldene Zeitalter von Ozu,
Mizoguchi und Kurosawa vergleichsweise kurz abgehandelt wird, weniger erstaunlich
als unverschämt dagegen, mit welcher Ausführlichkeit Oshima auf
das Werk eines einzigen Regisseurs eingeht: das eigene nämlich.
Fast ärgerlich, dass der Film das Ansehen natürlich dennoch
lohnt: einzig des präsentierten Materials wegen, an das man sonst nur
schwerlich herankommen dürfte. Hätte man jedoch die Ausschnitte
aus den Klassikern untertitelt und auf den Kommentar verzichtet: man hätte
dem japanischen Film mehr gedient.
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