Es sind nicht Menschen im eigentlichen Sinne, die Takashi Miikes
Yakuza-Spektakel "Ichi, der Killer" bevölkern. Schon Ichi ist nicht
mehr als eine Nummer (Ichi heißt: "eins"). Vielmehr sind die Menschen
hier reduziert, zerspalten in zwei Bündel. Das eine Bündel ist
der Körper, das andere eine Psyche, die ihre (durchaus vorhandenen)
Komplexitäten aus einem Ambivalenzverhältnis von Masochismus und
Sadismus beziehen. Beides, die Körper und die Psychen, wirkt aufeinander
ein und zwar so, dass Sadismus und Masochismus ohne große Umwege in
Körperbearbeitung umgeleitet werden - und die ist von der bei Miike
vertrauten Art, der da kaum einmal Zurückhaltung in der Darstellung
von Zerstückelung, Zerfetzung, Zerteilung, allgemeiner gesagt:
Auflösung der Körper kennt. Es wird hier nicht einfach getötet
wie bei Kitano. Täter wie Öpfer müssen fast ausnahmslos zuvor
ihre sadomasochistische Beziehung durcharbeiten, Folter ist eine der
möglichen Formen, die diese Beziehungsarbeit annehmen kann, das zeigt
Miike gleich am Anfang, indem er ein Opfer an Haken (die, das versteht sich
fast von selbst, direkt in die Haut gebohrt sind) aufhängen und vom
vielfach gepiercten Yakuza-Unterboss Kakihara mit spitzem Gegenstand die
Wange durchstoßen lässt.
Ichis Methode dagegen ist die Zerteilung, die Herstellung sauberer
Schnittflächen und ordentlicher Schlitze. Jedoch erweist sich, dass
der Mensch in seinem Innern amorph ist, die Sauerei, die aus der Zerteilung
folgt, ist, wegen herausquellender Eingeweide, Hirnspritzer und Blutströme,
ungeheuer. Die Zerschlitzungsspektakel ergeben ein ums andere Mal nichts
als sinnliche Bilder dafür, dass es Miike um die Darstellung des Subhumanen
geht, um Gefechte zwischen von primitivsten Triebimpulsen durchzuckten,
über diese nie hinausgelangenden, zu aller Sublimierung, Kanalisierung
oder Kompensierung unfähigen Kleinhirnen. Demontiert werden damit,
zunächst, natürlich alle Yakuza-Mythen. Heroisches ist hier nicht
übrig, das Töten und das Quälen und die Lust daran sind weder
eine Sache stoischer Selbstbeherrschung und Disziplin noch auch nur funktional
(kaum noch, jedenfalls). Miike nimmt eine Herausvergrößerung der
Genre-Konvention gegenseitigen Tötens vor und beim Blick darauf zeigt
sich nichts als die nackte Lust daran, zum einen. Ichis Fall liegt anders,
mit Ichi, dem Jammerlappen, zertrümmert Miike den Heros des professionellen
Killers, bis nichts mehr übrig bleibt. Denn Ichi tötet aus Rache,
bezieht die Überwindung, die er für seine Metzeleien braucht, aus
einer Erinnerung, die man ihm zu allem Überfluss nur per Hypnose
eingepflanzt hat. Das Trauma ist das tiefste, das in Japan zur Verfügung
steht: die Demütigung durch zum Quälen aufgelegte Mitschüler.
Ichi tötet stellvertretend, jeder kommt in Frage. Die japanische
Gesellschaft, so Miikes Diagnose, zerfällt in Täter und Opfer (Frauen
sind in der kollektiven Imagination ausnahmslos Opfer). Moralisches folgt
daraus so wenig wie aus irgend etwas anderem: das Opfer, das
zurückschlägt, übertrumpft die Täter noch in seinen Mitteln,
in seiner Grausamkeit und in seiner Infantilität.
Gewalt stellt sich bei Miike stets als unmittelbarer Zugriff auf den
Körper dar: dieser wird deformiert, attackiert, zersäbelt,
durchstoßen, verbrannt. Kakihara kann sich als Masochist die Lust
des Zugriffs selbst zufügen (dass diese sexuell ist, wird unter all
der überdeutlichen Gewalt fast noch am wenigstens explizit), benötigt
aber recht eigentlich das sadistische Gegenüber, das ihm, bis zu dem
Moment, in dem der Plot einsetzt, sein Boss Anjo war. (Die Frau, die er an
diese Stelle setzen will, taugt dann doch nicht.) So ist Kakihara fortan
auf der Suche nach dem sadistischen Gespielen, dem Überlegenen, als
der sich Ichi, nach Maßgabe seiner Taten, zu erweisen scheint. Die
Begegnung mit der Heulsuse Ichi muss dann enttäuschen: die von Ichi
im Showdown (der keiner ist) zugefügte Verletzung ist im Tod verschwunden,
Lust zieht Kakihara, ein letztes Mal, aus dem Sterben selbst, dem Fall zum
Tode.
Man kann bei Miike selten umhin zu fragen: Hat der Film Spaß
an der Gewalt, verleitet er den Betracher selbst zur Lust daran? Die Antwort
lautet hier: eher nein. Natürlich ist die Darstellung der extremen Gewalt,
der angerichteten Blutbäder mitunter komisch, aber dies vor allem in
den Momenten, in denen sich aller Realismus verflüchtigt, das Comic-Moment
überwiegt. Die Figuren aber, die hier töten und Gewalt ausüben,
taugen gar nicht zur Identifikation, beides, das Töten wie die Gewalt,
ist mit widerwärtigen Motivationen kurzgeschlossen, ist dem Betrachter,
der zusehen muss, wie Zungen abgeschnitten, Körper mit grausamen Prozeduren
bearbeitet werden, eine Qual (das spricht freilich gerade für, nicht
gegen den Film). An der so durch und durch verrohten Bande, die Miike
vorführt, gibt es nichts zu bewundern. Natürlich erteilt Miike
keine Lektionen, fällt er keine moralischen Urteile, gibt dem denkbar
unheroischen Schrecken Gesichter, Taten und blutstrotzende Bilder. Nicht
zuletzt aber der Overkill nimmt der Darstellung viel vom Spekulativen, das
hier lauert. Eher könnte man vermuten, dass der Effekt eine Katharsis
wäre, allerdings nicht eine Reinigung durch starken Affekt, sondern
eine heilsame Beschmutzung durch Überdruss, bis zum Ekel, an der Stumpfheit
der vorgeführten Welt.
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