Ein Mann im Kino, alleine, es laufen in Endlosschleife Ausschnitte
aus Bollywood-Filmen, in denen Frauen ausgezogen oder vergewaltigt werden.
Der Mann schläft, macht kurz die Augen auf, schläft wieder ein.
Ein Junge und ein Mädchen fangen eine Katze, stecken sie in einen Sack,
gehen hinaus in die weite, unbewohnte Landschaft, setzen sie aus. Drinnen
und draußen, das ist die Differenz, die Buddhadeb Dasguptas Film "Manda
Mayer Upakhyan" bestimmt, präziser: die Differenz von Gefangenschaft
und zielloser Wanderung. Gefangen in einem Bordell ist die Mutter des
Mädchens Lakti, sie will hinaus und benutzt dazu ihre Tochter, die sie
an den Mann im Kino verkaufen will. Unterwegs ist dessen Fahrer, der an ein
uraltes, wie es scheint halb totes Paar gerät und es ins nächste
Krankenhaus kutschieren soll. Ein nächstes Krankenhaus jedoch gibt es
nicht, nur weite Landschaft, in der Katzen ausgesetzt werden, in der Frauen
als Anhalterin mitgenommen werden wollen.
Die düstere Geschichte um den Tochter-Deal, die den Kern der
Geschichte ausmacht, wird auf der breiten Leinwand aufgetragen, von vielen
um diese Geschlossen/Offen-Differenz organisierten Nebengeschichten garniert,
und zwar so, dass von der Düsternis kein Rest zu bleiben scheint. Beinahe
heiter und mit irritierender Lässigkeit verknüpft Dasgupta das
eine mit dem anderen, scherzt noch, als ein Mord geschieht, mit dem Leben
im Bordell und treibt all seine Konstellationen auf ihre absehbar
glücklichen Enden zu. Das alte Paar etwa steigt zuletzt, vom Chauffeur
ins Leben zurück gepäppelt, aus dem Wagen, kein Dach über
dem Kopf als die freie Natur und den mächtigen Baum im Hintergrund.
Sie beginnen ein Würfelspiel.
So ziellos der Film zunächst scheint, er hat eine Richtung. Der
Mond steht am Himmel, riesengroß und fern und auf allzu simpel-satte
Weise das Ziel einer Sehnsucht verkörpernd, der Lehrer, mit dem Lati
am Ende davon gehen wird, berichtet vom bevorstehenden Ereignis: erstmals
betritt ein Mensch den Mond. Diese Ferne transzendiert noch einmal die
offen-geschlossene, merkwürdig verwunschene, gewiss nicht nach einer
sozialen Logik modellierte Topographie, die in sehr schönen, wenngleich
eher luftig als streng komponierten Bildern ausgemalt wird. Weiteres Dingsymbol,
mondverwandt, ist ein Globus, auf dem sich Lati ans andere Ende der Welt
imaginiert, nach Deutschland vielleicht oder Frankreich. Fürs erste
wird Kalkutta reichen müssen.
Es ist das ein wirklich seltsamer Film. Wo etwa bei Kiarostami hinterm
Schein der einfachen Geschichten höchst komplexe und nie eindeutig
auflösbare Konstellationen liegen, gibt's hier nichts als diese Geschichten.
Bei näherer Betrachtung lösen sie sich auf, ins Pittoreske. Ihre
stupende Harmlosigkeit findet nirgends einen Gegenhalt; noch die finsterste
Figur, der mädchenkauflüsterne Babu, verharrt mit geradezu
kindlich-philosophischer Neugier vor einem Baumstamm und beobachtet kleine
Tierchen, die unter der Rinde verschwinden. O sancta simplicitas!
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