Master and Commander ist eine alteuropäische
Angelegenheit, in jeder Hinsicht. In der neuesten ohnehin, indem ein Konflikt
im Zentrum steht, bei dem die Tat und der Gedanke in heftigen Widerstreit
geraten, ohne jedoch dabei die gesitteten Bahnen der Theorien kommunikativen
Handelns zu verlassen. Eine Sache des alten Europa zudem in aller
Offensichtlichkeit: der Kampf zu See, mit gesetzten Segeln, tiefstes 19.
Jahrhundert. Dort setzt das kluge Buch denn auch die sichtbarsten Anker.
Wo die Seefahrt in die Moderne ragt, beim bedeutendsten amerikanischen Roman
des Jahrhunderts, Melvilles Moby Dick. Der weiße Wal freilich heißt
Acheron, wie der mythologische Fluss der Unterwelt, man versichert sich also
zugleich antiker Unterstützung. Neben literarischer aber spielt auch
wissenschaftliche Moderne hinein: als proto-darwinsch erweist sich der
friedliebende Forschergeist des Wissenschaftlers. Die Galapagos-Inseln bieten
das dafür auf der Hand liegende Exempel. Und alteuropäisch ist
zuletzt auch die Sache mit dem Schiff als Mikrokosmos des menschlichen
Zusammenlebens. Kein Narrenschiff, dafür die ganze Gesellschaft, die
auf ihre Organisations- hier genauer: Befehlsstrukturen hin gemustert wird.
Ja, es ist die Idee, es lasse sich durch mikrokosmische Allegorisierung noch
einmal die ganze Wahrheit übers Soziale erkennen, eine zwar
schätzenswerte, aber doch alteuropäisch (nun ganz im Luhmannschen
Sinn) naive Vorstelllung.
Wie in den Konzepten, die er durchreist, ist der Film auch im
Ästhetischen nicht gerade auf dem neuesten Stand der
Blockbuster-Entwicklungen der Hollywood-Gegenwart. Dem der technischen
Möglichkeit nachhetzenden Schnitt setzt er die ruhigen Atemzüge
eleganter Découpage als Maß des Menschlichen entgegen und sucht
und findet Ruhepunkte sehr viel häufiger als solche der Exaltation in
Action und Effekt. Die Musik dazu machen, wen könnte es noch wundern,
meist Cello und Violine. Es knarzen die Segel, den Horizont gibt das Meer.
Es wird diskutiert, unter Deck, die Kajüte als Salon nicht zu irritierender
Bürgerlichkeit auf hoher See. Was ein gerechter Führer ist und
was ein Tyrann. Was Heldenmut. Wie sich wissenschaftliche Neugier und das
Kriegshandwerk miteinander vertragen können, ohne selbst miteinander
in Krieg zu geraten. Wie Karrieren gemacht werden und wie der Mensch auch
zu seines Vorgesetzten Wolf werden kann. Was Sache Gottes und ist und was
Sache der Evolution. Die Surprise also nichts anderes als: ein Aufklärer,
der Mikrokosmos der Mannschaft führt vor Augen, was zugleich als Frage
im Raume steht.
Seine konservativen Züge hat das alles - konsequenterweise -
auch darin, dass es um den britischen Kampf gegen Napoleon geht, ein letztes
Gefecht altmodischer Kriegstechniken, für die Lord Nelson steht. Das
Eigentümliche und vielleicht gar nicht Unverdächtige ist: Man
lässt sich das alles sehr gerne gefallen. Der Film ruht in sich und
verliert sich niemals aus den Augen. Er kennt sein Maß und misst es
aus, mit einer Gründlichkeit, die man aus dem Herzen der amerikanischen
Filmindustrie derzeit zuletzt erwartet hätte - und schon deshalb ist
der recht beträchtliche Erfolg beim Publikum (wie bei der Kritik) vermutlich
sogar als Indiz zu nehmen dafür, wohin die Sehnsucht geht. Nach
Wiedereinsetzung des Raums und der Zeit gegen die Formen der Virtualisierung.
Nach Vergangenheit. Nach der neuerlichen Invisibilisierung des Technischen:
Wind und Meer und Kampf als CGI als Wind und Meer und Kampf. Nach Humanismus.
Und dankbar ist man, wie man es angesichts Wirklichkeit gewordener Barbarei
immer ist, für die Verteidigung der Werte der Aufklärung. Auch
wenn das, wie stets, zu schön ist, um wahr zu sein und deshalb Ideologie.
Es fällt schwer, weil der Mensch des Menschen Maß so liebt, das
Herz nicht zu wärmen an diesen Gestalten des alten Europa. Dabei liegen
sie, ohne wenn und aber, hinter uns. Darüber freilich klärt uns
Master and Commander nicht auf, nicht einmal mit den Haltungen, die
dafür auch alteuropäisch zur Verfügung stehen, Nostalgie oder
Melancholie. Der Film erträumt sich das ein für allemal Vergangene
als gegenwärtig Mögliches. Darin steckt ein in mancher Hinsicht
schätzenswertes, aber zuletzt doch massives Stück
Wirklichkeitsverleugnung.
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