Baz Luhrman ist ein Hyperkinetiker unter den Filmregisseuren:
er gönnt dem Betrachter keine Sekunde der Ruhe, hält die Kamera
auf stetem Trab, nein Galopp, knallt Bild- und Tonspur randvoll, bis man
als Zuschauer selbst ins Zappeln gerät. In den ersten zwanzig Minuten
von Moulin Rouge beschleunigt Luhrmann den Film erst mal auf 180,
schneidet, blendet, fährt mit der Kamera in seinem heimelig artifiziellen
Montmartre herum. Das geht so weit, dass er noch das Blatt in der Schreibmaschine
und was darauf steht mit einem Reißschwenk dynamisieren muss. Dann,
irgendwann, erstmals, öffnen die Darsteller, Ewan McGregor und Nicole
Kidman, den Mund um zu singen, wenigstens ist nun klar, in welches Genre
einen Luhrman mit so viel Heftigkeit und Schwung hineinbefördert hat:
das Musical.
Für den Rest des Films wird das Tempo ein bisschen gedrosselt,
es gibt Ansätze zu Narration und Dramaturgie, mehr nicht, spätestens
in den Musiknummern heben Kamera und Cutter wieder ab ins Frenetische. Auch
zwischendrin jedoch, in den Rezitativ-Passagen, verfällt der Film aus
panischer Angst vor Stille oder Form oder einem Gedanken, der über einen
Einfall hinausginge, in slapstickartige Zwangskomik, die, immerhin, mitunter,
tatsächlich ziemlich komisch ist - etwa wenn vor den Augen des
eifersüchtigen Geldgebers der Plot und die Figuren des treffend betitelten
Musicals "Spectacular Spectacular" aus dem Zufall des Anwesenden heraus
improvisiert werden. Fraglos bietet all der hemmungslos zusammengeklaute
Ausstattungsplüsch und Kostümkokolores einen fortgesetzten opulenten
Augenschmaus, von allem ist soviel zuviel, dass es schon wieder egal ist
und man die kritischen Waffen streckt. Überwältigt vom Aufwand,
nicht von Inhalt oder Form.
Moulin Rouge ist ein wahrer Schmelztiegel an Einflüssen,
Anspielungen, Ideen, Herkünften. Differenzen werden rigoros platt gemacht,
Musik und Tanz und Plotmomente von anderswoher werden mit mehr Gewalt als
Verständnis an sich gerissen eher als angeeignet. Die Welt von 1900
und Montmartre wird so zum zeitlichen und räumlichen Nirgendwo, in dem,
anything goes, Madonna und Bollywood, Kurt Cobain und Toulouse-Lautrec friedlich
an der Überbietung der Postmoderne arbeiten. Die Homogenisierung des
Heterogenen jedoch geschieht nicht ohne Gewalt. Dass sämtliche Musik,
ihre Abstammung verschleiernd, auf gleichklingenden symphonischen Sound hin
moduliert wird, mag dabei erklärlich sein als Wunsch, ein Musical aus
einem Guss zu fabrizieren. Vernäht, zusammengeschweißt und aneinander
geklebt wird das bunte, von hier wie dort unter Verachtung aller Kosten bezogene
Material wie es sich für einen Film gehört durch den Schnitt, der
hier als großer Gleichmacher fungiert.
Aber ach! Es mangelt Baz Luhrman an Feingefühl wie
Chirurgen-Geschicklichkeit bei der Führung von Nadel und Faden, rabiat
verfährt er nach der Devise viel hilft viel und vertraut auf die
manipulative Kraft der Schnitt-Geschwindigkeit. Wie blöd und leider
ohne Rhythmus-Sinn und choreografischen Verstand behandelt Luhrmans Kamera
alles, was ihr vor die Linse kommt, auf gleiche Weise: jede Einstellung zielt
auf größtmöglichen Effekt und verpufft nach wenigen Sekunden,
es folgt die nächste, die erneut sofort verpufft. Alle Dynamik kommt
von außen: als Schwenk, als Fahrt, als rascher Schnitt. Das Material
und seine Behandlung, Inhalt und Form stehen so verständnislos
nebeneinander, dem Inhalt wird eine alle aufkeimende innere Spannung oder
Kohärenz zerhackende Form aufgezwungen. Besonderen Schaden nehmen dabei
die Tanzsequenzen, in denen die Choreografien der Figuren und der Kamera
grässlich aneinander vorbei auf Effektsteigerung zielen und die zugrunde
liegende Absicht aller Choreografie, nämlich die Herstellung innerer
Kohärenz und Harmonie (und sei es im Disharmonischen), durch solches
Auseinanderlaufen schlicht konterkarieren. Nichts spricht, man nehme nur
das neuere Bollywood, gegen raschen Schnitt
und bewegliche Kamera, nur muss beides einen Bezug auf die Einstellungen
und das Dargestellte haben. Luhrman jedoch schneidet von Halbtotalen auf
Großaufnahmen und wieder zurück, dann auf irgendwelche
Mitteldistanzen, lässt die Kamera zur Fahrt ansetzen, schneidet auf
eine statische Einstellung zurück, führt dann nicht die Fahrt fort,
sondern setzt zu einer neuen an, schneidet sogleich zurück auf die
Großaufnahme undsoweiterundsofort. Er hat sich, denkt man, nichts dabei
gedacht. Er weiß nicht, wozu die formalen Mittel, Grammatik und Vokabular
des Films gut sind, aber es macht ihm Spaß, damit herumzufuhrwerken,
bis es der Zuschauer im Kopf nicht aushält. Moulin Rouge zu
betrachten ist, als höre man Musik bei voll aufgedrehten
Verstärker-Peglern, unterstützt von dynamischem Bass Boost. Es
gibt Leute, die das mögen und für fünf Minuten klingt es toll.
Nach mehr als zwei Stunden aber klingelt einem der Tinnitus in sämtlichen
Geschmacksnerven.
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