Bollywood and Beyond -
Erstes indisches Filmfestival Stuttgart-Ludwigsburg 2004
Von Ekkehard Knörer
Mit der Programmierung setzt das Festival Maßstäbe für die
geplanten weiteren Ausgaben - beim Thema Kompetenz in Text und Auftreten
bleibt noch Luft nach oben.
Kritiken:
Pradeep Sarkar: Parineeta (Indien
2005)
Von Ekkehard Knörer
Der Film ist hinreißend gefilmt, durchaus zu seinem Schaden. Die Erfahrung
des Regisseurs als Werbehandwerker steckt in jedem Bild. Mitunter trifft
diese Erlesenheit auf einen anderen als bloßen Selbstzweck (die
Wunschfantasien in einem Duett zu Beginn), meist aber nicht.
Ashutosh Gowariker: Swades: We the People
(Indien 2005)
Von Ekkehard Knörer
Im Plot wie in den Gesang- und Tanzsequenzen setzt "Swades" dabei durchweg
auf ein souveränes Understatement, mit dessen Hilfe die melodramatischen
Bollywood-Formeln ein gutes Stück in Richtung Realismus bewegt werden.
"Swades" ist gewiss ein Feelgood-Movie, aber eines der zurückhaltenden
Art.
Anurag Basu: Murder (Indien 2003)
& Amit Saxena: Jism (2004)
Von Ekkehard Knörer
Sensationell für indische Verhältnisse ist aber in jedem Fall die
Leidenschaft, mit der die Liebenden hier küssend übereinander
herfallen. Wer das gesehen hat, dem kann für die Zukunft des indischen
Erotikthrillers nicht bang sein. Mag sein, dass die Welt dergleichen fürs
erste nicht unbedingt braucht. Für die rasant voran schreitende
Diversifizierung Bollywoods sind die Genre-Werke "Murder" und "Jism" jedoch
nicht zu unterschätzen.
Kurzkritik: Farah Khan: Main Hoon Na (Indien 2004)
Vor dem Verzehr dieser Süßspeise wird gewarnt. Das Durcheinander
der Gefühle ist hier nicht mehr als ein Durcheinander, bei dem viel
nicht viel hilft, sondern nur davon ablenken soll, dass hier an wenig, aber
an Charme wie an Intelligenz gespart wird. Angesichts des Humors von "Main
Hoon Na" hat Adam Sandler den Witz eines jüdischen Intellektuellen und
dass Hollywood jetzt auch im geistlosen parodistischen Nachäffen seiner
selbst nachgeäfft wird, das bringt Gewinn weder an Erkenntnis noch an
sophistication. Der Plot bietet Politschmarrn mit Unischmarrn und
Actionschmarrn mit Liebeschmarrn (den mit Geigenschmarrn), das alles unverdaulich
zubereitet. Wir raten ab. (EK)
Mani Ratnam: Yuva (Indien 2004)
Rezension von Ekkehard Knörer
Stilistisch flüchtet sich Ratnam in Feuerwerksveranstaltungen, rafft
und dehnt die Bewegung zum Videoclip, fällt vom Bollywood-Klischee ins
MTV-Klischee. Wenig motiviert wirken auch die sich an Hongkong anlehnenden
Actionsequenzen. "Yuva" ist ein Film, der von allem etwas zu bieten hat.
Aber auch einer, der, zwar unterhaltsam, zwar virtuos inszeniert, sehr deutlich
macht, dass das zu wenig ist, wenn nicht klar wird, wozu.
Vishal Baradwaj:
Maqbool (Indien 2004)
Rezension von Ekkehard Knörer
Das Gelingen der Transposition erweist sich nicht zuletzt in der
Mühelosigkeit, mit der "Maqbool" überzeugte, auch ohne Shakespeare.
Das andere große Vorbild, mit Vätern, Söhnen, Verrat, Nachfolge
und Ehrenfragen, ist natürlich "Der Pate" und, sehen Sie selbst, Pankaj
Kapoor, ganz zu Eis gefrorenes Feuer, kann es mit Marlon Brando aufnehmen.
Rituparno Gosh: Chokher Bali (Indien
2003)
Von Ekkehard Knörer
Der Zirkel des Begehrens kommt nicht zur Ruhe, sondern wird gesprengt. Die
Inszenierung aber schließt, mit der Wiederholung einer selbst schon
das Zirkuläre suchenden Einstellung, den Kreis: Der Blick auf ein
Treppenhaus, zentral dabei aber die Treppen, die Architektur, das Statische,
nicht die auf den Stufen, im Erdgeschoss herumeilenden Menschen.
Sudhir Mishra: A
Thousand Dreams Such as These (Indien 2003)
Rezension von Ekkehard Knörer
Politik, historische Streckung ins Fernsehserienformat, Bollywood-Struktur
ohne Bollywood-Form, das alles in einem Film, der nicht mehr als gut zwei
Stunden dauert: Zuviel des Guten? Vielleicht.
Nikhil Advani: Kal Ho Naa Ho (There
May Be No Tomorrow, Indien 2003)
Rezension von Ekkehard Knörer
Der Boden ist also bereitet für den Erlöser. Aman, Superstar Shah
Rukh Khan, übernimmt diese Rolle und platzt in die kleine indische Welt
von Queens wie, nun, der Film sagt es oft genug selbst, ein Engel. Ein
höchst irdischer Engel, bald tanzt die ganze Straße zur Melodie
von "Pretty Woman". Er mischt die Nachbarschaft auf, tröstet, kuppelt,
greift ein, wo es nötig ist und irgendwann hat er Naina so weit, dass
sie ihn liebt und sich so weit, dass er sie liebt.
Mani Ratnam: A Peck
on the Cheek (Indien 2002)
Rezension von Ekkehard Knörer
"A Peck on the Cheek" steht in der Tradition von Mani Ratnams kühnen
Hybriden aus Bollywood und Politik, also von "Roja", "Dil Se" und "Bombay".
Sein jüngster Versuch, die versöhnlerische Form des Masala-Melodrams
(hier in einer tamilischen Version) in ein Plädoyer zur politischen
Versöhnung umschlagen zu lassen, ist jedoch bei aller noblen Absicht
von den Kompromissen, die dabei einzugehen sind, nicht ganz unbelastet.
Krishna Vamsi: Shakti
- The Power (Indien 2002)
Rezension von Ekkehard Knörer
Das also der richtige Vater, Narsimha, ein wirklicher Bastard.
Verkörperung, wie alles zu Beginn dieses abrupten Wechsel von West nach
Ost, von Vancouver nach Irgendwo im wüsten indischen Nirgendwo, der
Differenz, von Weste eben und Ost. Du bist ein Tier, ihr seid nichts als
Tiere, schreit Nandini, ein ums andere Mal, wenn etwa wieder einem der Kopf
abgetrennt worden ist. Der Film, das ist das erstaunliche, blickt von Indien
nach Kanada, um von Kanada auf Indien blicken zu können. Was man, über
diesen importierten Fremdblick, ist alles andere als schmeichelhaft.
Ram Gopal Varma: Company (2002)
Rezension von Ekkehard Knörer
Aufgegeben, das ist die entscheidende Innovation, ist die Insularität
des Masala-Kinos: statt Liebe und Scherz, dramatischem Konflikt und seiner
Auflösung in Song und Dance bietet "Company" weitgehende Einheit des
Tons. Der Film ist, auch in seiner Auflösung, von einer Konsequenz,
die staunen macht.
Buddhadeb Dasgupta: Manda
Meyer Upakhyan (2002)
Rezension von Ekkehard Knörer
Es ist das ein wirklich seltsamer Film. Wo etwa bei Kiarostami hinterm Schein
der einfachen Geschichten höchst komplexe und nie eindeutig auflösbare
Konstellationen liegen, gibt's hier nichts als diese Geschichten. Bei
näherer Betrachtung lösen sie sich auf, ins Pittoreske. Ihre stupende
Harmlosigkeit findet nirgends einen Gegenhalt; noch die finsterste Figur,
der mädchenkauflüsterne Babu, verharrt mit geradezu
kindlich-philosophischer Neugier vor einem Baumstamm und beobachtet kleine
Tierchen, die unter der Rinde verschwinden. O sancta simplicitas!
LAGAAN - ONCE UPON A TIME IN INDIA (Ashutosh
Gowariker, Indien 2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Lagaan ist der erste Bollywood -Film, der es regulär
in die amerikanischen und deutschen Kinos schafft, wenn auch, in Deutschland,
vorläufig mit Ach und Krach und wenigen Kopien. Die
Oscar-Nominierung mag geholfen haben, vor allem aber gibt es einen
guten Grund zur Hoffnung, dass der Film als Türöffner auf den
westlichen Markt funktionieren könnte: er ist ein atemberaubendes
Meisterwerk, nicht nur nach den Maßstäben Bollywoods, sondern
auch und gerade nach denen des internationalen Unterhaltungskinos.
Karan
Johar: Kabhi Kushi Kabhi Gham (2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Der Film appropriiert
die fremde Welt Londons von der ersten Minute an mit großem
Selbstbewusstsein, meilenweit entfernt vom Exotismus, der seit Jahrzehnten
den Blick auf die Schweiz geprägt hat. Ganz selbstverständlich
werden in den Song-and-Dance-Einlagen in der Londoner Szenerie die Einheimischen
integriert. Der Umgang - vor allem Poos - mit den Klischees des Englischen
(mehr als des pauschal Westlichen) schwankt zwischen Übernahme und
Karikatur, bevor er sich, wie gesagt, in Richtung Hindu-Traditionalismus
bewegt.
Chori
Chori Chupke Chupke (Indien 2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Geborgt werden die Ideen, wo man sie herbekommt, hier, in Chori Chori
Chupke Chupke etwa, unter anderem natürlich, von "Pretty Woman"
- nur dass die Zweierkonstellation (inklusive zauberisch schneller Herzens-
und Manierenbildung der Prostituierten, wie man sie vom Vorbild kennt) mal
eben um das in Indien alles andere als leicht zu vermittelnde Problem der
- natürlichen! - Leihmutterschaft erweitert wird, um das halbe Mitwissen
der Ehefrau (sie ahnt lange nicht, dass Madhu eine Prostituierte ist), um
die Melodramödie des Betrugs aus bester Absicht gegenüber dem Rest
der enkel- und großenkelsohn- versessenen Familie. Nur geküsst
wird nicht.
Monsoon Wedding (Mira Nair
2001)
Rezension von Ekkehard Knörer
Der Tanz des Hochzeitsfestes erträumt sich eine utopische Einheit: von
oben und unten, von der Tradition mehr oder weniger entfremdeten Mitgliedern
der Familie. Und zwar im Song and Dance von Bollywood. Im raffinierten Einsatz
der verschiedenen Register, den Monsoon Wedding fast zur eigenen,
den Code zur Entzifferung gleich mitliefernden Sprache entwickelt, ist jedoch
der utopische Charakter genau dadurch klar markiert: das Register ist nicht
die Beschreibung, sondern der phantastische Traum. Und Monsoon Wedding
träumt diesen Traum sehr schön.
Mission Kashmir (Vinhu Vinod Chopra, Indien 2000)
Slicker Politthriller in der Mani-Ratnam-Nachfolge. Mann in kaschmirischen
Polizeidiensten tötet Eltern und Schwester eines Kindes, das er darauf
an Sohnes Statt annimmt. Als der Junge die Vorgeschichte begreift, schwört
er ewige Rache und kehrt zehn Jahre später als islamistischer Terrorist
zurück, in Diensten eines wahrhaft finsteren, mit Stirntuch und Kajal
bewehrten Burschen. Eine Liebesgeschichte kommt dazu und wird sogleich in
den Terrorismus-Plot hineingenommen. Vieles wird unnötig dick aufgetragen
(ein mit Kajal geschriebenes Drehbuch), gerade die aber auch gar nichts
auslassende Verquickung von Privatem und Politischem ist sehr unerquicklich.
Als Schaumkrönchen auf dem Kitsch schwimmt die auch nicht unterbetonte
Botschaft religiöser Toleranz - womit sich freilich verträgt, dass
der Polizist ohne Skrupel wehrlose Islamisten totschießen darf. Wahrhaft
erstaunlich ist allerdings genau eine Szene, in der höchst beschwingt
die Unschuldigste von allen zu Tode kommt. Das geht heftig gegen den Strich
des Erwartbaren. Vom Rest wird man das, allen Schauwerten zum Trotz, nicht
sagen können.
Mohabbatein (Aditya Chopra
2000)
Rezension von Ekkehard Knörer
Das, was
uns Kitsch heißt und mithin Ideologie, ist und bleibt die
Geschäftsgrundlage Bollywoods, die notwendige Voraussetzung seiner
monströsen Aufnahmefähigkeit. Die Merkmale des Trivialen - wenig
ambivalente Helden, um Einzelheiten und Realitäten unbesorgte Entwicklungen
von Figuren und Plots, Verwendung von Versatzstücken, Zeigen statt
Zurückhalten, Drang zur Versöhnung - sind die Merkmale dieses Kinos,
aber als Kunstform.
Shyam Benegal:
Zubeidaa (Indien 2000)
Von Ekkehard Knörer
In den letzten Bildern der wiedergefundenen Zeit gelingt die melancholische
Versöhnung, des Independent-Filmers Benegal auch mit der Industrie.
"Zubeidaa" ist Aneignung einer Form im besten Sinn: ehrlich, kritisch, voller
eigensinnigem Beharren auf Ambivalenzen und politischen Motiven, die Bollywood
sonst fremd sind.
Mani Ratnam:
Wellen (Indien 2000)
Rezension von Ekkehard Knörer
Das alles geht ab nicht ohne Sentiment, oder eher: große Gefühle.
Sentimental nämlich ist das eigentlich nicht. Die Zuspitzungen sind
stets Verdeutlichungen, hoch emotionale Formulierungen von Dilemmata, die
im Realen wurzeln. Nach dem Überschwang des Beginnens steuert Alai Payuthey
auf die Beschreibung einer emanzipierten Ehe zu, mit allen Problemen, die
nicht ausbleiben können, wenn man von den traditionellen Bindungen,
aus denen man sich gewaltsam gelöst hat, längst nicht frei ist.
The Terrorist (Santosh Sivan,
1999)
Rezension von Ekkehard Knörer
Der Film argumentiert nicht politisch, ja, er argumentiert im Grunde
überhaupt nicht, er ist das zum Verzicht auf alles Rechten entschlossene
Porträt einer Figur, die kurz davor ist, ihr Leben zu opfern, deren
wilde Entschlossenheit sozusagen im Rohzustand vorgeführt wird, ohne
wertendes, rechtfertigendes oder denunzierendes Beiwerk.
Dil Se (Mani Ratnam; 1998)
Rezension von Ekkehard Knörer
Die Ästhetik schwankt dabei, für westliche Augen, stets irgendwo
zwischen Werbefilm und Videoclip, aber immer mit einem entscheidenden
Überschuss übers Funktionale der anpreisenden Bebilderung. Einem
Überschwang, dem die Bilder eine Wahrhaftigkeit verdanken, die mit Realismus
nichts zu tun hat, eher mit der Wahrheit eines ernst gemeinten, wenngleich
kompliziert kodierten Pathos, das - das ist vielleicht das
Überwältigendste daran - stets in der Nähe des (absichtlich!)
Komischen siedelt.
Amol Palekar: The Square Circle
(Indien 1997)
Rezension von Ekkehard Knörer
Die Affektmaschine Bollywood funktioniert auch dann, wenn man sie
mit Dingen füttert, an denen sich das System als System sofort verschlucken
müsste. "The Square Circle" entwirft keine Ästhetik der Unterbrechung
oder des Widerspruchs, sondern praktiziert Subversion durchs Pastiche.
J.P. Dutta: Border (1997)
Rezension von Ekkehard Knörer
Der Wechsel zum heldischen Kampf mit jeder Menge Explosion und Feuerwerk
ist ein wenig abrupt, aber es zeigt sich, dass man aus dem weiten Rahmen
des Masala-Films so leicht nicht fällt: Bollywood verleiht auch
dem Krieg noch Glanz und Spaß und Mitgefühl. So bodenlos
einfältig viele der Dialoge sind, so schematisch und holzschnitthaft
die Konflikte, so didaktisch die Anlage, so ideologisch die Botschaft: manche
Szene gerät auch hier, auf ästhetischem Feindesland, verdammt
mitreißend.
Mrinal
Sen: Indien - And the Show must go on (Indien 1996)
Von Ekkehard Knörer
Die Auswahl, die Mrinal Sen aus hundert Jahren indischen Kinos trifft, und
damit aus mehr als 30.000 in dieser Zeit entstandenen Filmen, begründet
sich nicht explizit aus einem Argument, sondern ergibt durch die Wahl implizit
selbst eines. Überraschend ist es nicht.
Aditya Chopra: Dilwale
Dulhania Le Jayenge (Indien 1995)
Von Ekkehard Knörer
Unabhängig voneinander begeben sich der junge, in London lebende, Maserati
fahrende NRI Raj Malhotra (gespielt von Shah Rukh Khan) und die traditionell
erzogene junge, in London lebende NRI Simran Sing (Kajol) mit Freunden auf
etwas, das sich Europareise nennt, wobei Europa, von einem kurzen Auftritt
des Eiffelturms auf einem Plakat im Hintergrund abgesehen, durchweg
verblüffende Ähnlichkeit mit dem hat, was uns aus Bollywood-Filmen
als die Schweiz bekannt ist.
Bombay (Mani Ratnam 1995)
Rezension von Ekkehard Knörer
Die Balance von Umwegigkeit und Direktheit, mit der daraus eine Tanzeinlage
mit Vorspiel-Zwischenschnitten wird, ist umwerfend: ein
Michael-Jackson-Verschnitt im Balz-Tanz und mit eindeutigen Texten, die von
Ekstase singen, steht gegen das Kussverbot des Bollywood -Kinos, dessen
Befolgung hier aber am seidenen Faden hängt: es gibt einen Kuss, durch
einen Schleier hindurch.
K.S. Ravikumar: Muthu (Indien
1995)
Kritik von Ekkehard Knörer
Nichts, rein gar nichts, will dieser Film mit der Wirklichkeit zu tun haben.
Jedes Mittel ist ihm recht, als Mittel zum Effekt. Der Effekt aber ist nie
ein mimetischer. Einen Ort, eine Zeit, die identifizierbar wären, gibt
es nicht in "Muthu", beides wird selbst zum Mittel, Märchen-Raum,
Märchen-Zeit, diffus und zugleich offen aufs beinahe Fantastische, wenn
etwa in der Kutsche, die stets in Bewegung ist, von irgendwo nach irgendwo,
aber ohne Ziel, wenn in dieser Kutsche also Muthu, der Held, und die Frau,
die er liebt, in einem Land landen, hinter den sieben Bergen, dessen Sprache
sie sprechen und auch nicht.
Mani Ratnam:
Thiruda...Thiruda (Indien 1993)
Rezension von Ekkehard Knörer
Beschleunigung ist oberstes Prinzip, ein Film darum der wechselnden
Gefährte. Vom raschen Galopp zu Pferde zur rasanten Querfeldeinfahrt
per Rad, es springen ein Bus, eine Pferdekarre, Autos natürlich und
auch ein großer roter McGuffin in LKW-Gestalt über irgendwelche
Rampen durch die Luft. Mit höchster, bewegendster, bewegtester Dynamik
führt der Film zu nichts.
Roja (Mani Ratnam 1993)
Rezension von Ekkehard Knörer
Dennoch bleiben die ästhetischen Reibungsflächen zu glatt: allzu
eindeutig sind die Sympathien verteilt, zu patriotisch ist der Held und sind
die Songtexte und gänzlich unüberzeugend gerät die Bekehrung
des Rebellen. Mehrfach unternimmt der Film Anläufe zum Drama, zur
Tragödie, immer rutscht er ins Klischee, in die bloße Konvention
zurück.
Mani Ratnam: Nayakudu (Indien
1986)
Unbegrenzt-begrenzt, da es doch das Gesetz der Song-and-Dance-Sequenzen ist,
dass in ihnen die Zeit des Plots, des Lebens aussetzt; ersetzt
wird durch eine andere Zeit, die vergisst, was das ist: die Zeit.
Zurückgeholt aber nie vollständig wird die Aus-Zeit
nur durch den Fortgang, das Weitererzählen, das aber das Vergessen nicht
vergessen, den unbegrenzten Moment nicht rückgängig macht.
Amar Akbar Anthony (Manmohan
Desai, 1977)
Rezension von Ekkehard Knörer
Die Schlussapotheose ist die Summe des Films: Alle Rücksichten auf Logik,
Glaubwürdigkeit oder auch nur Erklärbarkeit schreiben Drehbuch
und Regie souverän in den Wind, der ganze Film ist eine (mit voller
Absicht) lose Verkettung von grandiosen Szenen, die Genres gehen aufs
bezauberndste durcheinander, Herz reimt sich in Bonbonfarben auf Schmerz
und drei Stunden beste Unterhaltung sind vergangen, bevor man Amar und Akbar
und Anthony sagen kann.
Sholay (Indien
1975)
Rezension von Ekkehard Knörer
Zwei Tonlagen kennt der Film, den Western einerseits, die Liebeskomödie
zum anderen, und eine dritte Ebene, auf der sich beides mischen kann: die
reine Action. Ramesh Sippy ist ein Regisseur der rasenden Bewegung in
ungewöhnlichen Gefährten. Auf den Eisenbahnüberfall folgt
der erste große Freundschaftssong im Motorrad mit Beiwagen; der fahrbare
Untersatz taugt, mit seiner schönsten Pointe: der Beiwagen macht sich
erst selbständig, kehrt dann, ebenso selbständig wieder zurück,
zur Freundschaftsmetapher.
Majboor (Ravi Tandon, Indien 1974)
Amitabh Bachchan spielt Ravi Khanna, einen perfekten Sohn und Bruder, der
im Reisebüro denen, die sie sich leisten können, die Tickets in
die weite Welt verkauft. Auch einem älteren Herrn mit einem später
wichtig werdenen Klunker am Finger, der kurz darauf ums Leben kommt. Der
damit verbundenen Erpressung verdächtig ist Ravi. Bald darauf fällt
ihm mitten auf der Straße ein Aquarium aus den Händen. Er ist
natürlich unschuldig, aber todkrank: Hirntumor. Der ausgesetzten Belohnung
halber (für die Familie) denunziert er sich anonym - es ist ja nun egal
- als Täter, wird gefasst und zum Tode verurteilt. Bevor er an den Strang
gerät, kommt es jedoch zur Operation in letzter Minute und zur Heilung.
Nun muss er seine Unschuld beweisen und er tut dies, wie Dr. Kimble, auf
der Flucht. Die Spur führt zu einem Kleinkriminellen namens Michael
und weiter in die nähere Verwandtschaft des Opfers. Ein Werk aus dem
sehr zivilen Nebenstrang der "Angry Young Man"-Phase Bachchans, das so kompetent
gemacht wie sehr vorhersehbar ausgefallen ist. Schön das interior design
in Eastmancolor.
Seeta und Geeta (Ramesh Sippy,
1972)
Rezension von Ekkehard Knörer
Nicht genug des Komödiantischen, es gibt einen komischen Action-Showdown,
der Bud Spencer und Terence Hill in nichts nachsteht - der Vergleich liegt
nahe, das spielt sich in merkwürdigen Westernkulissen ab, wenngleich
auch Degen zum Einsatz kommen. Interessant, dass auf Synchronie von Choreografie
und Ton kein Wert gelegt wird: die Realismusverpflichtungen sind hier ebenso
minimiert wie etwa beim Gesang, Marker genügen.
Sunil Dutt:
Reshma aur Shera (1971)
Kritik von Ekkehard Knörer
Die Wüste als der Zwischenort, das Nichts, das ihnen Raum gibt. Raum
zur Umschrift der Gesetze, die außerhalb dieses Nicht-Orts gelten -
und deren Kraft auch innerhalb dieses Nicht-Orts spürbar wird, am Ende,
wenn hier die letzte Aushandlung stattfindet, die Institution des neuen Gesetzes.
Raj Kapoor: Sangam (1964)
Rezension von Ekkehard Knörer
Mehrmals schneidet die Kamera auf Großaufnahmen beider Gesichter,
überblendet sie mit Szenen des Vorangegangenen: ein Resümee,
Zwischenbilanz vor dem schlimmen Ende. Dies arrangiert alle Beteiligten aus
der Halbdistanz im Zimmer, verschiebt die Figuren gegeneinander, zum
glücklichen Dreierbund aber wollen sie sich nicht fügen. Hier
kulminiert Sangam zum Melodrama von hoher Wucht und beinahe erleichtert
konstatiert der Betrachter den schließlichen Umschlag vom Schrecken
ohne Ende zum Ende mit Schrecken. Das verbleibende Paar streut, nach dem
Tod des Geliebten und Freundes, Blumen aufs Wasser.
Papierblumen
(Guru Dutt, Indien 1959)
Kritik von Ekkehard Knörer
"Kaagaz ke Phool"
ist ein tief trauriger Film. Darin liegt sein Problem mit der Bollywood-Form.
Die komischen Einlagen wollen einem hier so wenig recht am Platz vorkommen
wie manche der Musiknummern. Und umgekehrt schlagen sie störend zurück
auf den Ernst des Ganzen, das nach Realismus strebt und über die
großen Gefühle, die dadurch zu falschen zu werden drohen, immer
wieder stolpert. Bollywood-Pathos, das auf halber Strecke stehen bleibt,
verkommt jedoch, das wird hier deutlich, zur diffusen Sentimentalität.
Bimal Roy: Madhumati
(Indien 1958)
Kritik von Ekkehard Knörer
Hauptwerk indischer Romantik, nach einem Drehbuch des nachmalig von der Kritik
gefeierten parallel-cinema-Regisseurs Ritwik Ghatak. Bimal Roy aber,
der hier Regie führt, hat Bollywood im Sinn und malt Leidenschaft, Natur,
comic relief und Gespenster mit Schwung auf die ganz große Leinwand.
Ein Geist, wie ein Geist, von Beginn an Madhumati, die Frau, die mit der
Singstimme der Natur zu rufen scheint, von Nebeln umflossen, von Wassern
umrauscht, von Bäumen umwogt. Draußen jedenfalls, in einem
Draußen, in das sie Anand ruft, singend, lockend, auftauchend,
verschwindend, im Wald, im Wasser, im Nebel.
Mehboob Khan: Mother India (Bharat
Mata, Indien 1957)
Rezension von Ekkehard Knörer
Als
Rebell und Brigantenführer stellt Birju sich gegen die Dorfgemeinschaft
und droht mit der Entführung von Sukhilalas Tochter eherne Gesetze zu
verletzen. Darauf wird an ihm ein Exempel statuiert, wie es drastischer nicht
zu denken ist: die Mutter erschießt, im Namen der Gesetze der Gemeinschaft,
ihren Sohn. Wie sehr der Film das gutheißt, zeigt er am narrativen
Denkmal, das Radha, der Mother India, gesetzt wird, in einem Rahmen, der
die Geschichte umschließt, die greise Mutter, inzwischen erblindet,
gibt dem jüngsten Triumph des Fortschritts ihren Segen: sie weiht einen
Damm zur Bewässerung der Felder ein.
Satyajit Ray: Aparajito (Indien
1956)
Rezension von Ekkehard Knörer
Die Einfachheit also dieser Bilder täuscht. Und was erzählt wird,
ist gewiss universal nachvollziehbar und verliert sich doch nie im Klischee
oder gar im Kitsch. Der Konflikt zwischen Liebesbedürfnis der Mutter
und Verselbständigungswunsch des Sohnes bedarf keiner Erläuterung
und Ray geht es um die Darstellung in der Konkretion: wie Apu müde aus
Calcutta zurückkehrt, sich zum Schlaf abwendet, als die Mutter von ihrer
Krankheit berichten will.
Do bigha Zarim (Bimal Roy, 1953)
Der Stil, der Ton der Filme von Ritwik Gathak und Satyajit Ray sind hier
schon angedeutet. Der Neorealismus ist ein unverkennbarer Einfluss in dieser
Geschichte um eine Familie, die darum kämpft, ihren Grund und Boden
nicht an einen rücksichtslosen Kapitalisten zu verlieren. Vater und
Sohn machen sich, auf der Suche nach Arbeit und Geld, auf nach Kalkutta,
von ihren Fährnissen in der Großstadt erzählt Roy - und viel
davon hat er von Rossellini und de Sica gelernt. Auch im Plot, der von kleinen
großen Tragödien im Alltag erzählt, gibt es deutliche
Anklänge. Für indische Verhältnisse sehr ungewöhnlich
ist der gedämpfte Ton; die Gesangsszenen fügen sich nahtlos ins
elegante Understatement der Szenerie. Was hier sanft ineinandergeht, wird
Ghatak später in seinem in manchen Motiven ähnlichen Meisterwerk
"Der verborgene Stern" harsch
auseinander reißen und gegeneinander setzen.
Raj Kapoor: Awaara (1951)
Rezension von Ekkehard Knörer
Ausbuchstabiert wird die Liebe zwischen Rita und Raj in den Musikeinlagen,
von Arrangements, in denen Tänzerinnen als ornamentale Masse in Erscheinung
treten, bis zur Zweisamkeit: auf einem Boot im Angesicht des Mondes (ja,
ein weiteres Angesicht: einer blickt - und sei es eingebildet - fast immer,
als wäre alles Soziale ein Benthamsches Gefängnis), der, im Gesang,
gebeten wird, für einen Moment wegzusehen.
Kamal Amrohi: Mahal (1949)
Rezension von Ekkehard Knörer
Homi Wadia: Miss Frontier Mai
(l936)
Rezension von Ekkehard Knörer
Inszeniert ist der Film mit einer Unbekümmertheit, einem
Vorwärtsdrang, die seiner Heldin in nichts nachstehen. Um die rasanten
Verfolgungs- und Kampfszenen noch rasanter zu machen, hat man sie leicht
zeitgerafft. Keine auf dem Weg liegende komische Nummer wird ausgelassen,
nie jedoch gehen sie auf Kosten der Heldin, bei deren Kampfesmut und
Körperkraft jeder Feministin das Herz im Leibe lachen muss.
Porträt des Indischen Filmstars Kishore
Kumar
Porträt von Dagmar Hotze
Obwohl er oftmals "nur" in Nebenrollen zu sehen war und nie den Helden spielen
durfte, gab sein Erscheinen dem Film erst "das gewisse Etwas", so dass das
Publikum ihn zu seinem Liebling erkor. Seinerseits inspiriert wurde das
Multitalent durch den Entertainer Topol, den er während eines Besuches
in London live auf der Bühne sehen konnte. Anschließend ergriff
er die Gelegenheit, sich ein Autogramm auf die Kassetten seines Idols geben
zu lassen.
Gary Sullivan's Jump
Cut Blog.
I wanted to do something somewhat focused, concentrating on Indian films
readily available on DVD. After back-and-forthing with Ekkehard for a bit,
we hit on the idea of "Ghost World": An irregular English-language blog-column
on Bollywood noir films, past and present.
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