Die Suche nach dem Dahinter - theoretisch, psychoanalytisch oder
sonstwie - führt bei Lynch stets weniger in die Irre (das wäre
ja noch ganz interessant) als pfeilgrad ins Nichts. Seine Bilder wie seine
Geschichten verpflichten sich da, wo sie stark sind, auf nichts anderes als
auf sich selbst und Inseln interner Verschiebungs- und Ähnlichkeitslogiken
(Psychoanalyse ohne Tiefenpsychologie sozusagen). Man kann Linien ziehen,
gelegentlich ziehen sie sich auch von selbst, man wird aber am Ende nicht
zu einem kohärenten, schlüssigen Bild gelangen. Wer sich darüber
dann ärgert, ist selber schuld.
Lynchs technische Mittel sind, immer schon, vom
Eraserhead- Pappmaché bis zur dann auch im Auftritt simplen
Straight Story (vielleicht mein Lieblings-Lynch) im Grunde primitiv.
Die Suggestion stellt sich durch keineswegs bildsprachlich ausgeklügelte
Bedrohungsszenarien her, die Kamera ist ein kleines bisschen schwindelig,
dann subjektiv (blinder geht's im Kino nicht als subjektiv), dazu dräut
im Hintergrund Angelo Badalamentis Musik, am Ende biegt ein schwarzer Mann
um die Ecke und fertig ist der Horror. (Bei Dario Argento ist das auch nicht
sehr viel anders - noch ein Regisseur, an dem man besser nicht theoretisch
rumschraubt.)
Die Sequenzen, in Mulholland Drive noch einmal weniger zeit-,
raum- und narrationslogisch miteinander verknüpft als in Lost
Highway, tragen die Kraft ihrer Wirksamkeit in sich selbst. Übrig
vom Pathos einer Geschichte sind nur noch die Pathosformeln der Bedrohung,
des Jubilatorischen (wenn Betty ihr neues Domizil betritt), der über
die DarstellerInnen-Identität hergestellten Wiedererkennbarkeiten (mit
dem stets präsenten Potential des plötzlich Fremden) und des Komischen.
Dies alles oft genug in wüsten, den eigenen Affekthaushalt in heftiges
Durcheinander stürzenden Gemengelagen: Lynch inszeniert das Umschlagen
von Komik in Horror, von Horror in Komik und lieber noch das Zugleich, die
Kippe.
Mulholland Drive hat eine Entstehungsgeschichte, die den Bruch,
den der Film nach zwei Dritteln erleidet, von außen erklärt. Die
ersten zwei Drittel sind beinahe reine Prägnanz, Potentialität
der Figuren und ihrer Geschichten. Man sieht, wie sich ganz langsam ein kommender
Fernsehserienkosmos (andeutungsweise) entfaltet, wie Charaktere eingeführt
werden, Klischees von Charakteren, deren zukünftige Verwandlungen man
(Twin Peaks im Hinterkopf) ahnt, ohne dass sie erst einmal mehr als
angetippt würden. Diese Figuren und diese Szenen sind auf einen geradezu
unendlich offenen (wenngleich Lynchesk in sich gekrümmten) Horizont
hin entworfen, nicht auf absehbare Abschließbarkeit hin. Sie sind der
Entwurf von Spielsteinen, mit denen so viel anzufangen ist wie mit an sich
banalen, schwuppdiwupp aber enorm aufgeladenen Gegenständen wie
Schlüsseln und Kästchen. Die ersten zwei Drittel von Mulholland
Drive vibrieren so vor Zukunft und Weitererzählpotenzialen.
Dann aber lehnte der amerikanische Fernsehsender den Pilotfilm, als
der Mulholland Drive geplant war, kommentarlos ab, das abgedrehte
Material wurde durch französische Gelder aus dem Orkus der Fernsehgeschichte
geholt und von Lynch um weitere Szenen ergänzt. Nun war der Regisseur
natürlich nicht so dumm, die angelegten Rätsel einfach aufzulösen
- und doch hat er versucht, so etwas wie ein Ende, einen Abschluss, noch
in radikalen Verschiebungen eine Sinn-Kontinuität herzustellen. Er
fügt in der Umkehrung der Figuren, im Austausch ihrer Namen und in der
Verkehrung ihrer gegenseitigen Verhältnisse dem eröffneten
Suggestionsraum eine Pseude-Vorgeschichte hinzu, die als eine Art
Pseudo-Erklärung auftritt - und er gibt den vielen eingeführten
Charakteren, nun doch wie verpflichtet zu einer narrativen Logik, die nichts
verkommen lässt, mal groteske, mal banale Ergänzungsszenen. Man
hat das Gefühl, die Serie, aus der nichts geworden ist, im letzten Drittel
des Films in Gestalt von wenigen Outtakes vorgesetzt zu bekommen. Das ist
noch einmal eine andere Form von Sinn- und Schlüssigkeitsverweigerung
als die Lynch-übliche. Hier droht der Film ins Beliebige zu zerfallen,
eine Gefahr, der die ersten zwei Drittel eines rätselhaften
Suggestions-Ganzen keine Sekunde lang ausgesetzt waren.
Nur dieses interessant, aber zuletzt doch unbefriedigend
angestückelten Zusatzes wegen ist Mulholland Drive kein perfektes
Meisterwerk. Ein Meisterwerk dennoch und, mein Gott, was wäre das für
eine großartige Fernsehserie geworden.
Mehr zu Lynch und Mulholland Drive übrigens in der Kritik
zu Brian De Palmas Femme
Fatale
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