Wilson Yip Wai-seung ist Spezialist für Genrefilme. Keiner
speziellen Gattung, sondern ganz allgemein für irgendwelche Genreadaptionen
- daran besteht kein Zweifel: "Bei der Herangehensweise an meine eigenen
Filme hat mich das Filmschauen weit mehr beeinflußt, als die Erfahrungen
die ich über die Jahre erst durch Winz-Jobs, dann immer anspruchsvollere
Aufgaben bei Filmproduktionen sammeln konnte. Ich habe für so viele
Regisseure gearbeitet ... - von denen hat mich aber keiner wirklich entscheidend
beeinflußt. [...] Ich mache eigentlich keine großen Unterschiede,
ich sehe mir alles an, was mich interessiert. Das können ebensogut Hong
Kong-Filme wie Hollywood-Mainstream oder europäische Kunstfilme sein.
Und so arbeite ich auch. Ich versuche, mich nicht auf einen bestimmten Stil
oder ein bestimmtes Genre festlegen zu lassen. Das schlimmste, was einem
Regisseur passieren kann: sich auf einen bestimmten Stil festnageln zu lassen"
(Interview: -MAERZ-).
Yips vorletzter Versuch, diesem Ideal näherzukommen, war der
typische Sommerfilm DRY WOOD FIERCE FIRE ('02), eine nichtssagende und
unverbindliche Romcom. Nun folgt, in gewagter eklektizistischer Schräglage
- der Regisseur an einigen Stellen offensichtlich schwer am Rudern, um die
Kurve zu kriegen - die Teenager-Gruselkomödie THE MUMMY, AGED 19, für
die Yip, (zusammen mit dem Newcomer Derek Kwok Chi-kin auch Drehbuchautor)
die beiden gefragten Shootingstars Tsui Tin-yau und Wong Yau-nam der
Mini-Boy-Group "Shine" in den Hauptrollen engagiert. (Für dieses Casting
hat sicher sein Langzeitproduzent Joe Ma Wai-ho gesorgt, der mit seiner
Teen-Romcom SUMMER BREEZE OF LOVE ['02] vorgemacht hat, wie man die beiden
Popstars zusammen einsetzen muß.) Wie bei vielen anderen Popstars,
die zu Filmstars werden (bzw. gemacht werden sollen), schadet es nichts,
daß die beiden Jungs nicht besonders überzeugend schauspielen
(können).
Grundsätzlich dürfte Yips Inspiration zum Mumien-Sujet wohl
bei dem Welthit THE MUMMY (USA, '99) und seinen Nachfolgern THE MUMMY RETURNS
(USA, '01) und THE SCORPION KING (USA, '02) zu finden sein. So etwas ist
für HKer Produzenten und Filmemacher schon immer ein gefundenes Fressen
gewesen und braucht sich (wie hier) nur auf eine verweisende Motivandeutung
des ursprünglichen Medienphänomens zu beschränken.
Durch diese beiden Hauptkomponenten rein planungstechnisch also ein
Konzept, bei dem kaum etwas schiefgehen kann. Tut es aber. Unfreiwillig bringt
Yip Form und Inhalt in Übereinstimmung: Sein Mumienfilm sieht erst einmal
interessant aus; lange ist er am Auspacken, bis er zum Kern der Sache kommt
- der sich dann als leblos und ziemlich zusammengefallen darstellt: alle
lebensnotwendigen Bestandteile vor langer Zeit schon entfernt.
Mit der Reanimation hat Yip seine liebe Mühe. Eine wirklich
zündende Idee fehlt ihm. Es ist, als würde er während der
ganzen Spieldauer verschiedene Ansätze durchprobieren, wieder verwerfen,
um sich erst kurz vor Schluß für einen - nicht einmal besonders
zwingenden, geschweige denn originellen - zu entscheiden. Den bringt er zum
Glück mit größerem als zu erwartendem Elan zu Ende.
Interessanter als der schwache Plot dieses Artenschutzlangweilers
in Sachen Mumien sind einige Randaspekte der Handlung wie die satirische
Überzeichnung einer geradezu übelkeiterregend fürsorglichen,
neo-konformistisch-gutgelaunten Kernfamilie im Stil von Betty Thomas' THE
BRADY BUNCH MOVIE (USA, '95) oder Mikroelemente wie eine mit schlichten Mitteln
verhunzte Trauerfeier. Auch für die Zuschauer in HK war das ein
bißchen wenig: produzentenmumifizierende 2,36 Mio. HK-Dollar
Einspielergebnis die gräßliche Quittung. Fetteres wäre zu
erwarten gewesen. Denn immerhin behauptet Yip: "Ich arbeite marktorientiert.
Ich mag Horrorfilme zwar besonders gern. Aber eine Vorliebe genügt nicht,
Horrorfilme auch zu drehen. Seit Mitte der 90er Jahre ist die Marktsituation
für Horrorfilme sehr gut. Das Publikum will sie sehen. Also drehe ich
sie. Aber Horror ist nicht das einzige Genre, das ich mag" (Interview: -MAERZ-).
Für den Trash-Eklektizisten Yip wäre es eine durchaus
angemessene (und eigentlich leicht zu bewältigende) Aufgabe gewesen,
das Mumien-Sujet in brutal-eleganter und nicht so banaler Art nach HK zu
verpflanzen. Bei diesem bizarren Unterfangen hätte er unschwer
leichtentzündliche, grelle Essenzen in wesentlich höherer Konzentration
extrahieren können. Von einem vielleicht einmal beabsichtigten
stärkeren westlichen Trash-Einfluß zeugt ein grandioses, für
HK maximal ungewöhnliches (deshalb wohl auch nur als Alternativmotiv
verwendetes) Filmplakat: knallbunt-psychotronisch wie in den 80ern
wiederentdeckter und damals zum Kult hochgetunter
US-50s-Pulp-Fiction-Horror-Trash. Die damit verbundenen Versprechungen löst
Yip leider nur zum geringsten Teil ein. An die legendäre
Ost/West-Transformation von Roy Ward Bakers Hammer/Shaw-Bros.-Horrorfilm
7 GOLDEN VAMPIRES (HK/GB, '74) kommt THE MUMMY, AGED 19 längst nicht
heran; schon zu Stephen Shin Kei-ins seichter Anglo-/Kanto-Vampirkomödie
A BITE OF LOVE ('90) aufzuschließen, bereitet Yip große Mühe.
Die Haltungsnähe zu seinem eigenen, sehr viel wohlgerateneren
Low-Budget-Fun-Splatter BIO-ZOMBIE ('98) ist natürlich nicht zu
übersehen. THE MUMMY, AGED 19 bekommt aber nie den Drive dieses
unmanierlichen, von fast noch jugendlichem Ungestühm getriebenen
Genre-Krachers - ein deutlicher Mangel an Biß und Konsequenz. Yips
Interesse an Trivialmythen-Dekonstruktion oder -Rekonstruktion ist diesmal
minimal. Intellektueller Kopfstand im Sarkophag? - Weit gefehlt! Man möchte
ihm zurufen: "Zier' Dich nicht. Beiß rein! Schlucks runter! Und wieder
raus damit!" Zitate, wenn auch meist lieblos irgendwoher zusammengerafft,
gibt es dennoch zuhauf. Am deutlichsten dürften einige Stimmungsbilder
aus den Gothik-Horror-US-Mumienfilmen der 30 Jahre, aus den "Old-Dark-House"-
und Geisterhaus-Subgenres und verschiedene Motive aus William Friedkins THE
EXORCIST (USA, '73) getroffen sein. Nicht unerwähnt bleiben sollten
zwei aufrecht trashige musikalische Neubearbeitungen: Zusammen mit seinem
Drehbuchautor Derek Kwok Kwok Chi-kin vertextet Yip auf Kantonesisch Songs
der Hochklassiker Franz Schubert und Ludwig van (wie gewisser Alex ihn seinen
drei stumpfoid-ignoranten Droogs gegenüber hochachtungsvoll abgekürzt
verklären würde).
Das vorletzte Wort hat Yip: "Ich denke, ich weiß ungefähr,
wo meine Schwächen liegen. Die möchte ich in den Griff bekommen.
Das Beste, was ich dazu tun kann, ist weiter Filme zu drehen, aus so vielen
verschiedenen Genres wie möglich" (Interview: -MAERZ-). - Schön
wär's!
-MAERZ- (Axel Estein)
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