Nichts, rein gar nichts, will dieser Film mit der Wirklichkeit
zu tun haben. Jedes Mittel ist ihm recht, als Mittel zum Effekt. Der Effekt
aber ist nie ein mimetischer. Einen Ort, eine Zeit, die identifizierbar
wären, gibt es nicht in "Muthu", beides wird selbst zum Mittel,
Märchen-Raum, Märchen-Zeit, diffus und zugleich offen aufs beinahe
Fantastische, wenn etwa in der Kutsche, die stets in Bewegung ist, von irgendwo
nach irgendwo, aber ohne Ziel, wenn in dieser Kutsche also Muthu, der Held,
und die Frau, die er liebt, in einem Land landen, hinter den sieben Bergen,
dessen Sprache sie sprechen und auch nicht.
Die Beziehungslosigkeit zur Wirklichkeit aber wird am deutlichsten
an der hermetischen Trennung zwischen Bild und Ton. Keineswegs führt
hier der Ton ein Eigenleben (das ist nicht Godard; genauer gesagt: weiter
weg von Godard kann man kaum sein als dieser Film, so weit, dass das eine
dem anderen, an den entgegengesetzten Enden der Form, schon wieder begegnet),
oder, wenn ein Eigenleben, dann eines, das mit dem Leben der Bilder
synchronisiert ist. Gegen die Art uns geläufiger Synchronisation aber
hält der Ton sich nicht im Hintergrund, sondern pointiert und verdoppelt,
was wir sehen. Mitunter sehen wir auch nur, weil wir hören, in den nicht
elegant, aber wirkungsvoll choreografierten Faustkämpfen etwa, in denen
die Fäuste, wie wir sähen, wenn wir nicht hörten, weit an
den Körpern vorbeischlagen, auf die sie mit heftigem Schlag treffen.
Es ist dies ein seltsamer Illusionismus, auch bei den weiß Gott kaum
einmal lippensynchronen Gesangssequenzen. Die faustdicke Behauptung der
Übereinstimmung muss genügen; eine Unschärfe der Illusion,
an der nur die Wirklichkeitskrämer etwas auszusetzen haben. In Wahrheit
zeigt sich darin das Wesen dieser Filme, die mit großer
Souveränität nicht nur so tun, als ob - wie jede Fiktion -, sondern
auch das "als ob" mit großer Selbstverständlichkeit mit ins Bild
nehmen, das sich so zusammensetzt aus Illusion und Mitführen des
Produktionscharakters der Illusion, ohne dass die Illusion selbst, als das
was Identifikationen erzeugt, Affekte hervorruft, jemals in Frage
stünde.
Identifikation galore, nach Art der Starproduktion, denn "Muthu"
ist eine One-Man-Show von Superstar Rajnikant. Er kämpft wacker,
unterstützt nicht von wirework, sondern, wie gesagt, vom Ton,
mit den Bösen, verliebt sich in die Schönheit, erschrickt vor der
Schlange (das ist, kurios genug, eines seiner Markenzeichen) und degradiert
alles, was an Plot und Figuren um ihn kreucht und fleucht, zur Staffage.
Ein dicklicher, nicht mehr junger Mann mit Schnurrbart und sogar die Japaner
sind, seit "Muthu" verrückt nach ihm. Der Effekt, um den es in erster
Linie geht, ist übrigens Komik, die, gerade fürs erste Drittel,
in dem alles etwas langsam nur in Fahrt kommt, mit low brow noch
freundlich beschrieben ist. Irgendwann übernimmt aber der reine Wahnsinn
die Regie, von da an hat man großen Spaß mit Schluckauftänzen
und rasenden Heuhaufen zu eingängigster Rahman-Musik. Zuletzt gibt's
dann noch eine etwas ernster daher kommende Ehrenrunde durch familiäre
Verstrickungen, die Erklärungen liefern für Verhaltensweisen, für
die man gar keine Erklärungen brauchte. Kino der Künstlichkeit
aus Kollywood, nach Anlaufschwierigkeiten in Bestform. Wer's eh nicht mag,
wird sich mit Grausen wenden. Für alle anderen ein großer
Spaß.
zur Jump Cut Startseite |