.
.
Petits Frères
Regie: Jacques Doillon
F 1999
|
.
. .
.
|
|
|
|
|
|
|
. |
|
. |
. |
....... |
Eine Szene, die ironischste
und vielleicht traurigste, spielt auf einer Rolltreppe am U-Bahn-Eingang.
Zwei der Jungs, die man zuvor näher kennen gelernt hat, schwadronieren
darüber, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. Ihr Traum vom Erfolg:
Gangster werden, das was ihre großen Brüder sind, schnelle Autos
fahren, eher keine Jobs, die Verlängerung des Lebens, das man sie ohnehin
schon leben sieht, nur im größeren Format. Die Rolltreppe fährt
während dieser sehr lebendigen Dialoge nach unten, aber die beiden trotzen
ihr, erzählen sich, wie toll ihr Leben werden wird, nach oben stapfend,
wo sie helles Tageslicht erwartet.
. |
...... |
. |
..
Begonnen hat alles mit einem
Stiefvater, der nicht zu ertragen ist. Talia packt ihren Pitbull und flieht
ins Ungefähre, wo vielleicht ein Freund wohnt. Der ist nicht da und
die Gegend (sie selbst kommt aus Belleville, aber der Name trifft's nicht
ganz) ist nicht die beste. Damit hat der Film seine beiden Orte gefunden,
Belleville, der Ort der dysfunktionalen Familie, vor der man nur nur
flüchten kann, und die Banlieue-Siedlung, deren Gesetze Talia, schmerzlich,
kennen lernt. Sie bekommt Unterschlupf, aber man stiehlt ihr den Hund. Sie
gewinnt Freunde, aber es sind justament die Diebe. Eine ungewohnte, aber
sehr strenge Sozialordnung gilt in der Siedlung: es gibt die Großen
und die Kleinen, die ihnen zuarbeiten. Männer haben Rechte, die Frauen
nicht haben. Nicht zuletzt ihr Selbstbewusstsein macht Talia zu einem
(allerdings: Ehrfurcht einflößenden) Fremdkörper: man
tauft sie neu, auf den Namen
Tyson.
. |
. |
Um Geld dreht sich alles,
aber die Ökonomie ist eine geradezu eruptive: kleine und größere
Verbrechen sind Zäsuren dieser Ökonomie, die von der Zeitökonomie
kaum zu unterscheiden ist. In der Regel passiert nichts. Man sitzt herum,
schwadroniert. Nur die Diebstähle halten das ganze in Schwung, verhindern
die Apathie. Die Suche nach dem Hund, von dem alle, bis auf Tyson, wissen,
wo er ist, kommt als Zeitvertreib gelegen. Sinnvoll ist sie natürlich
so wenig wie alles andere. Ilies aber verliebt sich und mit der Liebe tritt
so was wie Ethik in den Vordergrund. Der Hundediebstahl ist unrecht, die
Kompensation ist zunächst geld-, und geschenkförmig, zunächst
auch der erste Kuss, bloße Belohnung, aber dann kommt das durcheinander
und Ilies ist hilflos. Tyson aber
auch.
. |
. |
|
. |
. |
.
Am Ende steht eine großartige Szene. Alles
ist zuende, Tyson muss ins Heim, vorher aber erfolgt eine Initiation erster
Güte. Man klaut sich, reine, phantasievolle Bricolage, einfach ein Ritual
aus einer anderen Welt, das Brautkleid und die Zeremonie, errichtet es neu
innerhalb einer Welt, die nach den Maßstäben der anderen, der
offiziellen Welt längst zerfallen ist. Jacques Doillon gönnt seinen
Figuren diesen Moment, belässt es dabei. Das Heim können wir uns
denken.
. |
. |
. |
|