Der falsche Vater zu Beginn: Nandini, Inderin in Vancouver, Kanada,
ist spät dran mit der Gratulation für ihren toten Vater, vor dessen
Bild ihre Onkel aufgestellt sind am Geburtstag und darüber beraten,
an wen sie zu verheiraten wäre. Shekhar, ein guter Freund, ist der Mann,
den sie nimmt, auch wenn sie nichts über ihn weiß, was sie merkt,
als er Hals über Kopf, sie und das Kind - zeitgerafft sind sie nach
wenigen Minuten längst Eltern - nach Indien schleppt, wo sein Vater
und die nähere Anverwandtschaft in Mord und Totschlag verwickelt
sind.
Das also der richtige Vater, Narsimha, ein wirklicher Bastard.
Verkörperung, wie alles zu Beginn dieses abrupten Wechsel von West nach
Ost, von Vancouver nach Irgendwo im wüsten indischen Nirgendwo, der
Differenz, von Weste eben und Ost. Du bist ein Tier, ihr seid nichts als
Tiere, schreit Nandini, ein ums andere Mal, wenn etwa wieder einem der Kopf
abgetrennt worden ist. Der Film, das ist das erstaunliche, blickt von Indien
nach Kanada, um von Kanada auf Indien blicken zu können. Was man, über
diesen importierten Fremdblick, zu sehen bekommt, ist alles andere als
schmeichelhaft.
Es ist auch in nichts vergleichbar mit der hindu-nationalistischen
Desi-Heimwehfilmerei, die "Kabhi Kushi Kabhi Gham" bestimmt. Das Land der
Väter ist wüste Barbarei, was an den Vätern liegt, die nicht
nur auf immerwährende, und derart unbeendbare Rache sinnen, sondern
auch ihre Frauen und Töchter als Sklavinnen halten. Nana Patekar, der
die Rolle des dunkelhäutigen Ungeheuers mit Bravour und Genuss gibt,
ist das finsterste Bild, das man sich von Indien nur machen kann. Und es
gibt wenig, das die Düsternis mildern könnte, vor allem: kein anderes
Indien, das erste Bild, auf dem Flughafen noch, zeigt nichts als chaotische
Menschenmassen. (Das andere Indien, mit kaum Ernst zu nehmender Lust an der
Selbstzerfleischung, ist der Film selbst, der sich als Schauplatz seiner
Konflikte immer mitzuinszenieren scheint. Vielleicht eine Form von
Ironie.)
Natürlich gewinnt das Chaos in Bollywood Form. Als Tanz, in behender
Weise ornamentalisiert in den großformatigen und fulminanten
Picturizations, mit Sinn für die Bewegung der vielen einzelnen, ihre
Formierung zur Einheit wie auch für diese Einheit wieder aufbrechenden
Bewegtheit von einzelnen Armen, Händen, Köpfen. Auf dreiste Weise
keiner dramaturgischen Not gehorchend gerät so, zum Beispiel, die fabelhafte
Sequenz in die Geschichte, die den spät in den Film importierten Shah
Rukh Khan und die nur hier auftretende Aishwaria Rai zeigt, im Zweitanz.
Und wieder, nicht in die Geschichte. Mir träumte, sagt Sha Rukh Khan,
ich tanzte mit Aishwaria Rai. Nichts als ein Traum, man traut den Augen
nicht.
Nun ist das mit der dramaturgischen Not ohnehin so eine Sache in "Shakti".
Mordanschläge, Fluchtversuche, Demütigungen werden zu kleinen Serien
hintereinander geschaltet, der einzige Aufwand der gescheut wird, ist der
der notdürftigen Plausibilisierung der Schauwerte, die aufgefahren werden
und sei es im abrupten, kaum mehr motivierten Wechsel oder Ineinander von
alberner Komödie und bitterstem Ernst. Einmal fährt ein CGI-Geist
durchs Bild. Fast immer beeindruckt die Kamera auf Breitleinwand mit extremen
Weitwinkeln, dass sich die Balken des Rahmens beinahe biegen wollen.
In dem Durcheinander die ideologischen Brosamen aufzulesen, fällt
eher schwer, schon weil das alles Spaß macht, noch da, wo der Sinn
fehlt, etwa in Sha Rukh Khans Action-Melo-Comedy-Momenten. Feministische
Anwandlungen gibt es durchaus, in der Anklagerede von Narsimhas Ehefrau,
in Nandinis tapferem Kampf (und die Power des Titels, ist wohl Frauenpower).
Rettung freilich bringt zuletzt, dann doch, der Mann. Angenehm anmutend der
Verzicht aufs Staatstragende, der im Vorbild "Nicht ohne meine Tochter"
unerträgliche Rassismus macht als Rassismus gegen die eigenen Väter
(nicht gegen den Ehemann) nur perplex.
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