The Man who wasn't there hat eine versiegelte Oberfläche:
die wunderbar ausgeleuchteten, komponierten und kadrierten
Schwarz-Weiß-Bilder von Roger Deakins. Diese Versiegelung verleiht
dem Film die Patina einer wertvollen, alten Fotografie. Zur Geschichte, die
erzählt wird, scheint das zu passen, denn sie spielt in den 50er Jahren.
Darauf mit schwarz-weißen Bildern zu blicken, sind wir gewöhnt.
Auch im Genre scheinen die Coens rückwärts orientiert, erzählen
im Muster des Film Noir, mit einem verwickelten Plot um Mord und Ehrgeiz,
Liebe und Leidenschaft.
Im Zentrum des Films, als der Motor des Plots auch, steht Ed Crane,
der Friseur, der Mann, der nicht da war - als Ikone der Ungerührtheit,
der Ruhe, gerade der Leidenschaftslosigkeit. Und dennoch stürzt er die
Welt um sich herum in Tod und Wahnsinn. Ed Crane tritt in diesem Film doppelt
auf: als einer, der keine Miene verzieht, als einer, der kaum einmal spricht.
Und doch ist er der Erzähler der Geschichte, seine Stimme aus dem Off
begleitet den Film von seinem Anfang bis an sein Ende. Die Stimme kommentiert
und erläutert den Helden und seine Motive - und doch kommt beides nie
ganz zur Deckung: Ed Crane bleibt, erklärt noch durch sich selbst, ein
Rätsel.
Der ingeniöse und kaltblütige Schachzug, der die Kette der
mehr als unglücklichen Entwicklungen in Gang setzt, hat die Spaltung
der Person Ed Crane zur Voraussetzung: als desinteressierter Beobachter des
Ehebruchs seiner Frau erpresst er, anonym, deren Liebhaber mit der Drohung,
ihrem Ehemann die Wahrheit zu sagen. Ungerührt macht er sich zum Spielstein
in diesem gefährlichen Schachspiel, kommt doppelt darin vor. Nur konsequent
ist es, dass der Fortgang durch absurde bis tödliche Verschiebungen
geprägt sein wird. Zwei Morde geschehen, stets wird der Falsche
verdächtigt und zur Rechenschaft gezogen, am Ende geht, allen katastrophalen
Fehlkalkulationen zum Trotz, die Rechnung doch (fast) auf. Einzig Ed Cranes
Frau wird zum unschuldigen Opfer.
Schon die Erpressung hat mit ihrer analytischen Verteilung der Rollen
auf Positionen, jenseits der personalen Identitäten - und ganz
unabhängig auch von jeder Moral -, quasi-juridischen Charakter, die
Verlagerung aufs Feld des Rechts kommt daher auch strukturell nicht
überraschend. Der Anwalt Fred Riedenschneider ist von den grandiosen,
als Karikaturen mit bizarren Eigenheiten und daher fast schon wieder:
Persönlichkeiten, entworfenen Nebenfiguren dieses Films die
großartigste. Die Texte, die ihm das Drehbuch in den Mund legt, machen
ihn noch in ihrer Verselbständigung zu Monologen von hoher literarischer
Qualität zum unvergesslichen Charakter. Ganz nebenbei wird dabei klar,
dass das Verhältnis des Anwalts zur Wahrheit ein rein strategisches
sein muss. Dass die Wahrheit über einen Fall wie einen Menschen umso
unklarer wird, je mehr man über beide erzählt - und in gewisser
Weise ist mit dieser eigenwilligen Auslegung der Heisenbergschen
Unschärferelation das poetische Prinzip des Films im Verhältnis
zu seiner Hauptfigur ausgesprochen.
Die altmeisterliche Patina, die über den Bildern von Roger Deakins
liegt, kann nicht darüber hinweg täuschen, dass unter allen
Oberflächen der Irrsinn ebenso wie die vertraute Coensche Tollheit lauert.
Ja, sie liegt gerade in den Bildern offen zu Tage, denen man sie nur auf
den ersten Blick nicht recht zutraut. Beinahe ins Lynch-Universum hinüber
spielt etwa die Ufo-Geschichte der Witwe Nirdlinger, die ungerührt fort-
und fortgesponnen wird bis zu einer Beinahe-Erlösung Cranes, die von
nicht sehr ferne an Fritz Langs Gehetzt erinnert. Selbst formale Spielereien
der großartigen, aber definitiv wahnsinnigen Sorte erlaubt sich Joel
Coen, in der metaphorischen Überblendung einer Radkappe, die erst in
wilder Kamerafahrt verfolgt, dann aber zum Ufo, dann zur Stirnlampe eines
Arztes wird. Oder die herrlichen Licht-Gitterstäbe, hinter denen
Riedenschneider seine juristische Heisenberg-Variante entwickelt.
Der Eindruck, dass es sich bei The Man Who Wasn't There um
ein bloßes Noir-Pastiche handelt, verflüchtigt sich so auf den
zweiten Blick. Die Coens erfüllen, beinahe mühelos, die Konventionen
und drehen sie dann stets eine Spirale weiter: der Anti-Held ist schweigsamer
und unbeteiligter als noch der traurigste Antiheld der Genre-Geschichte,
dazu nun ausgerechnet Friseur (der sich philosophische Gedanken über
das Wachstum der Haare macht). Der schmierige Geschäftsmann und
Betrüger Tolliver, der erpresste Kaufhausleiter Nirdlinger, seine Frau,
die gelegentlich auftretenden Detectives: alles reine Coen-Figuren, wie zuhause
im Pastiche des Klassischen. Mit The Man Who Wasn't There bringen
die Coens es fertig, einen Klassiker eines Genres zu drehen, der diesem
eigentlich nur scheinbar angehört. Sie erfüllen die Konvention
und führen sie ad absurdum, ohne sie zu brechen. Sie bleiben, wie in
allen ihren subversiven Anverwandlungen, sie selbst.
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