Jede Nacherzählung des Plots von "Time and Tide" wäre eine
Verfälschung, täuschte eine Stringenz vor, die der Film nicht besitzt
und nicht besitzen will. Man kann nur Topoi einsammeln, aus dem Hongkong-Kino
mehr oder weniger vertraute Motive: die Freundschaft zweier konkurrierender
Männer ist das augenfälligste, so verbraucht, dass es fast schon
zum Strukturmoment des Genres geworden ist. Nicht das Vorhandensein ist
bemerkenswert, nur noch die Variation. Die aber ist hier originell nur in
den Anlagerungen und Dopplungen: beide Männer, Jack und Tyler, sind
Hüter schwangerer Frauen, der eine wird am Ende das Kind des anderen
auf die Welt bringen helfen.
Weitere Plotinseln, die sich zur kontinuierlichen Geschichte nur in
der retrospektiven Zusammenschau fügen wollen: ein geplantes Attentat,
zu dem Jack gezwungen werden soll, ein anderes Attentat, das er ausführt.
Zwei Banden stehen gegeneinander, eine von Bodyguards, eine andere (aus
Südamerikanern) mit Mordabsichten. Die beiden Männer stehen, mehr
oder weniger intrikat, dazwischen. Gegenstände treiben durchs Bild,
eine Spieluhr etwa, viel Geld auch, Waffen. Zwei Showdowns sind es, auf die
der Film, von Anfang an, könnte man sagen, hinaus will. Wie das Kino
Bollywoods in den Tanzeinlagen zu sich kommt, so der Hongkongfilm in seinen
Actionsequenzen. Es ist immer eine Sache der Choreografie, von Körpern,
Schnitt und Mise-en-Scène, abgelöst von den Zwängen des
erzählerischen Zusammenhangs, weitgehend unbekümmert um das, was
Realismus , was Figurenpsychologie heißt.
Weiter als Tsui Hark geht kaum einer in der De-Realisierung, in der
rasanten und konsequenten Beschleunigung der Bilder. Das Ergebnis der
Beschleunigung ist, zunächst, Abstraktion. Man erkennt Rhythmen, Muster,
Abfolgen, Kamerabewegungen. Zerschnittene Räume, fliegende, in Schnittfolgen
zerteilte Körper. Es gibt den Kampf, die Verfolgung, das Lauern, aber
beinahe als pure Abstraktion: das Wer und Warum treten zurück hinter
der schieren Form. Nicht Beweggründe interessieren, nur die Bewegung.
Nicht die Absicht, nur die Tat. Nicht das Ende, nur die Gegenwart der Physis.
Einer Physis jedoch, der Tsui Hark beikommt mit dem Chirurgenblick der Kamera,
dem Chirurgenschnitt der Montage. Das Blut, das fließt, ist Illusion,
die letzte sozusagen. Wenn sich die Ortsangaben zweimal im Film in digitale
Farbschnipsel zerstäuben: dann ist das sehr viel eher die Wahrheit
über dieses Kino.
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