Die Jungen von Fengkuei (1983)
Mit Szenen des Alltags dreier Jugendlicher in einem taiwanesischen
Dorf beginnt der Film. Man sieht kindische Streiche, blutige Kämpfe,
den Unwillen, sich ins geregelte Leben, auch des Familienzusammenhangs zu
fügen. Erzählerisch präsentiert sich dieser erste Teil des
Films als eine Bewegung des Aufblätterns, ein Ereignis und noch eines,
zur Geschichte verbinden sie sich vorerst nicht. Langsam nur werden die Konturen
erkennbar, der drei Figuren, um die es im weiteren gehen wird, und die beinahe
teilnahmslose Beobachtung der Kamera beginnt sich zu der Stimmung, der
Atmosphäre zu verfestigen, die diesen Film prägen werden. Dazu
gehören leicht überbelichtete Rückblenden, unterlegt von zur
Spröde des Rests auffällig kontrastierender klassischer Musik,
narrativ meist redundant (man sieht etwa den Baseballunfall des Vaters, der
in der Gegenwart nur fast reglos in seinem Stuhl sitzt), der melancholische
Grundton aber infiziert auch die Gegenwart der Geschehnisse.
Die drei Jugendlichen fliehen aus dem Dorf, in die Großstadt,
zur Schwester des einen, die ihnen eine Unterkunft bei einem jungen Paar
verschafft. Sie finden einen Job in derselben Fabrik, in der auch die beiden
arbeiten. Die drei irren durch die Stadt, sie genießen die Stadt, zahlen
fürs Pornokino und landen im 11. Stock eines leeren Hauses. Kein Kino,
aber der atemberaubende Blick auf die Realität der Stadt. Die drei und
ihre Vermieter freunden sich an, man betrinkt sich gemeinsam. Als der Mann
nach einem aufgeflogenen Diebstahl seinen Job verliert und auf einem Schiff
anheuert, kommt es zur Annäherung zwischen Ah-Ching, einem der Jugendlichen,
und Hsiao-hing, der jungen Frau. Es verbindet sie nicht viel, es bleibt bei
der Geschichte einer möglichen Liebe. Erst spät wird markiert,
dass es sich um eine Zeit des Interim handelt: die Einberufung zum Militär
steht bevor, sie wird, am Ende, die drei Freunde auseinander reißen.
Ein Film der Trauer, des Abschieds von der Kindheit, der beinahe sentimentalen
Rekapitulation auch: so rechtfertigt sich das Gewicht, das die Rückblenden
bekommen. Der Schluss ist keine Schließung: Hou Hsia-hsien entlässt
seine Figuren ins Ungewisse.
Geschichte einer fernen Kindheit (1985)
Ein Film über die Zeit. Auf den ersten Blick: der Erinnerung.
Eine Stimme, ein Ich, das sich zurück erinnert, spricht; von sich. Von
diesem Film, der diese Geschichte erzählt. Also: der Modus der
autobiografischen Erinnerung. Es kommt dazu: gedreht wurde Geschichte
einer fernen Kindheit im Haus, im Dorf, in dem Hou Hsiao-Hsien aufwuchs.
Daten und Fakten stimmen, im groben wenigstens, überein: der Vater,
und mit ihm die Familie, zieht vom Festland nach Taiwan, als Ah-ha, der Sohn,
dessen Perspektive der Film, an diesem Beginn, einzunehmen scheint, gerade
ein paar Jahre alt ist. Dennoch: von allem naiv autobiografischen Realismus
ist der Film weit entfernt.
Sofort, nach dem kurzen Prolog, zieht sich das Ich zurück,
kehrt erst am Ende wieder. Dazwischen liegt die Zeit der Kindheit, aber nicht
die Zeit eines Ich, das darauf den Zugriff des Erinnerns hätte. Der
Blick ist ein anderer: fast wie von außen, fast wie unbeteiligt. Die
Zeit ist das Präsens, nicht die Vergangenheit. Auch nicht die Zukunft,
nichts, was geschieht, findet sich aufgehoben in einem Telos. Diese Geschichte
will nirgendwohin, beobachtet nur das, was ist. Diese Familie, Ah-has Familie,
aber so zu formulieren, suggeriert ein Zentrum, das der Film beinahe nicht
hat. Sehr wohl ist Ah-ha so etwas wie der Anker, der Empathie, des Beteiligtseins
des Zuschauers, kaum eine Szene gibt es ohne ihn, dennoch: man wirft kaum
seinen Blick auf diese Welt. Er ist einer neben den anderen, sein Verhalten
bleibt ebenso unerklärt, es geht dem Film nicht in erster Linie um ihn.
Die Perspektive auf das Geschehen ist weder die des erinnernden
Erwachsenen noch ist sie die des beteiligten Kindes. Jedes Bild wahrt eine
schwer zu benennende Distanz. Offenkundig in den Einstellungen: viele Master
Shots, nie rückt die Kamera den Figuren zu nahe, oft verharrt sie
außerhalb des Raums der Handlung, fast immer ist sie knapp über
dem Boden postiert, in Sitzhöhe. Drei Zäsuren kennt der Fluss der
im ganzen wenig aufregenden Ereignisse: drei Tode sind es, des Vaters, der
Mutter, der Großmutter. Keineswegs aber wird auf den Tod hin erzählt,
er geschieht wie anderes auch. Weder die politischen Ereignisse noch
die kleinen Dramen im Leben Ah-ha werden in den Vordergrund
gespielt. Der Film verweigert die Hierarchisierung, die die Erinnerung vornimmt.
Darin zuallererst manifestiert sich die Abwesenheit des Subjektiven, das
etwa Edward Yangs kurz zuvor entstandenes - genau deshalb dem Anschein zum
Trotz konventionelleres - Debüt That Day
on the Beach strukturiert.
Die Grundbewegung des Films ist ein Gleiten. Nichts scheint wichtiger
als etwas anderes. Auf subtile Weise entziehen sich die Geschichten wie die
Psychologie der Figuren. Sie bleiben uns fremd. Weit entfernt ist diese
Erzählhaltung zugleich von Aufdringlichkeit wie vom Blick des Zoologen.
Schlüsselszenen sind die der Trauer um den Vater, das Sterben der Mutter,
der Tod der Großmutter. Der Film lehrt uns nicht Kälte, sondern
Zurückhaltung. Er vermeidet alle Ausbeutung der Emotion und zeigt die
Gefühle doch ohne Scheu. Geschichte einer fernen Kindheit ist
- auch - eine Schule des Fühlens. Sein Takt ist unbeschreiblich.
Liebe, Wind, Staub (1986)
Am Anfang ist die Leinwand schwarz, beinahe. Ein heller Schimmer
links von der Mitte, nach und nach figuriert: das Licht am Ende eines Tunnels.
Eine Eisenbahnfahrt, durchaus leitmotivisch, denn der Film ist die Geschichte
einer Pendelbewegung. Ihr Held, Wan, und seine Freundin Huen, sind unterwegs
vom Dorf ihrer Kindheit in die Großstadt Taipeh, in der sie Fuß
zu fassen versuchen, Jobs annehmen - und immer wieder zurück ins Dorf,
mit Geschenken für die Familie, die sie argwöhnisch betrachtet,
von der Vergangenheit erzählt. Ein Abschied auch, immer wieder, einer,
der nicht enden will, von den Eltern, Geschwistern, vom Großvater.
Liebe, Wind, Staub spielt in der Gegenwart, die Protagonisten
sind andere, dennoch lässt sich der Film als eine Art Fortsetzung der
Geschichte einer fernen Kindheit lesen. Der Horizont ist erweitert, das Dorf
wird verlassen, am Ende muss Wan zum Militär, ins noch einmal Fremdere
und Fernere. Die Erzählung ist abrupter, sprunghafter, die Desorientierung
durchs Hin und Her ist Absicht, oft sind da nur unmarkierte Schnitte, viel
rascher als die Zugfahrt vom Beginn. Der Film hat einen Kern, das ist die
scheue Geschichte einer Liebe zwischen Wan und Huen. Im Grund lässt
sich das aber von Liebe nicht sprechen, die beiden wissen nicht was Liebe
ist, glauben nur, was ihre Eltern denken, dass sie, als Kindheitsfreunde,
zusammengehören. Viel zu sagen haben sie sich nicht und Huen wird am
Ende den Postboten heiraten.
Schon diesen Kern behandelt Hou Hsiao-hsien mit einiger
Beiläufigkeit, umso mehr die anderen Figuren. Den Großvater im
Dorf, den Maler in der Stadt. Zusammengehalten wird der Film nicht durchs
Narrativ, sondern durch die Wiederholungsstruktur der Form: Züge immer
wieder, Uhren am Bahnhof, Briefe, die gewechselt werden, fast schon Metaphern
für die Distanzen, die zwischen den Personen zu liegen scheinen, noch
in der nächsten Nähe. Auch das Kino tritt doppelt auf: in Taipeh
richten sich Wan und Huen in einer provisorischen Bohème in einem
Raum hinter einer Kinoleinwand ein (und wechseln von Zeit zu Zeit die Seiten,
um sich umsonst einen Film anzusehen). Auch im Dorf wird einmal eine Leinwand
aufgebaut, ein Film gezeigt; bis der Strom ausfällt. Am Ende übrigens
kehrt Wan ins Dorf zurück, nach der Militärzeit, eine
Zukunftsperspektive gibt es nicht: der Großvater, auf den Wan zuerst
trifft, ist endgültig alt geworden und wiederholt unablässig dieselben
Sätze.
Café Lumière (Japan
2004)
Das erste Bild: ein Bahndamm, eine Bahn. Kein Ozufilm ohne Bahn und sei es
als Rattern im Hintergrund. Hier ist die Bahn ein Zitat, das Hou zur running
hommage erweitert, indem er eine Figur einführt, die es sich zum
Hobby gemacht hat, Bahngeräusche aufzunehmen, eine Figur, die vor allem
dieser Idee geschuldet scheint, die haben zu sollen Hou aus Hommagegründen
glaubt.
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