Bei einer Handlungsreisenden in Sachen Film führt das
Heranrücken eines Festivals zu einem Zustand äußerster Euphorie.
Wie früher zu Ostern oder zu Weihnachten - vorausgesetzt man wuchs in
einer diese christlichen Feste zelebrierenden Familie auf - liegen hunderte
von unbekannten Filmen vor einem. Noch fein säuberlich verpackt in
Inhaltsangaben der Organisatoren, harren sie ihrer Entdeckung.
Trifft der Festivalkatalog ein, blättert man durch bunte Seiten,
um auf vertraute Namen und Orte zu stoßen, herausfordernde Themen und
durchgehende Linien in einer Ballung aus Unbekannten zu finden. Präsentiert
sich das Kulturereignis unter einem thematischen Motto, teilt es vorab
unüberschaubare Vielfalt in Reihen, Schwerpunkte und Exkurse: Es legt
die Koordinaten fest, in denen man sich in den kommenden Tagen und Nächten
bewegt.
Ab Mittwoch, dem 2. April, steht Dortmund im Zeichen weiblichen
Filmschaffens. Dann eröffnet femme totale, das 9. Internationale
Filmfestival, und zeigt bis zum 6. April rund 100 Produktionen von Frauen
aus aller Welt.
Frauen schreiben Filmgeschichte. Davon kann man sich seit 1987 alle
zwei Jahre in Dortmund ein Bild machen. Unter dem programmatischen Titel
No Place Like Home setzt man sich dieses Mal in Filmen, Workshops,
Lesungen und Vorträgen mit der Ambivalenz von Heimat auseinander. Der
Länderschwerpunkt beschäftigt sich mit Afghanistan.
Wenn der Eröffnungsfilm als erste Koordinate die Atmosphäre
für die nächsten Tage vorgibt, wird in Dortmund viel geweint werden.
My life without me von der Regisseurin Isabel Coixet konfrontiert
eine junge Mutter mit ihrer unheilbaren Krebserkrankungen. Ohne falsches
Pathos schildert der vom spanischen Regisseur Pedro Almodovar produzierte
Film, wie die 23-Jährige Verpasstes in ihrem Leben nachholt: eine
Maniküre, eine neue Frisur, einen Liebhaber. Gleichzeitig bereitet sie
mit Kassettenaufnahmen ihren Mann und ihre Kinder auf das Leben ohne sie
vor - als Vermächtnis, denn sie stirbt, ohne die Angehörigen über
ihren Zustand zu informieren.
Neben der Deutschlandpremiere von Mira Nairs (Monsoon
Wedding) Film Hysterical Blindness - mit Uma Thurman, Gena
Rowlands und Juliette Lewis - und einem Publikumsgespräch in der Reihe
Weder glatt noch gefällig mit der Schauspielerin Jeanette
Hain (Das Trio) liegt der Fokus des Frauenfilmfestivals weniger
auf der Zurschaustellung großer Namen als in der Auseinandersetzung
mit aktuellen Themen und alten Schätzen aus der Filmgeschichte.
Zaza, ein Stummfilm von 1923 mit Gloria Swanson in der Titelrolle,
wird mit musikalischer Begleitung von Cora Frost wieder aufgeführt.
Ebenso finden Frühehe, der letzte, 1959 entstandene Film
der heute 92-jährigen norwegischen Regisseurin Edith Carlmar mit Liv
Ullmann in der Hauptrolle, sowie Romy Schneider in Schornstein Nr.
4 ihren Weg zurück auf die Leinwand.
Im Länderschwerpunkt Afghanistan wird zum ersten Mal eine Produktion
von afghanischen Kamerafrauen gezeigt (Afghanistan Unveiled).
Darüber hinaus nähert man sich dem seit 20 Jahren von Krieg und
Armut strapazierten Land und seinen Menschen in weiteren Filmen und mit
Vorträgen, Lesungen, einem Workshop und der Live-Präsentation des
Hörspiels Ghosts of the civil deads - Frauen in Afghanistan
von Ulrike Haage und Katharina Franck.
Die Koordinaten der fünf Festivaltage weisen eher gen
Hoffnungslosigkeit denn Richtung Behaglichkeit. Tod, Selbstmord und Krankheit,
Migration und Flucht prägten bereits den Wettbewerb der diesjährigen
Berlinale. Diese Tendenz setzt sich in Dortmund fort. Man darf gespannt sein,
was nach dem Entfernen des Glanzpapiers zu sehen sein wird.
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