Deutlicher noch als in
Gilsotteum wird der dokumentarische
Gestus in "Chukje", einem Film, der sich zeitlich den Rahmen einer traditionellen
koreanischen Begräbniszeremonie gibt. Schritt für Schritt erklärt
er, was geschieht, vom Wattebausch unter der Nase der Leiche, der unbewegt
den Tod bezeugt, über das Schneiden der Haare und Nägel, das Einwickeln
und Umkleiden bis zu den öffentlichen Trauergesängen und Zeremonien
unterschiedlicher Art. So einfach jedoch, so einfach dokumentarisch wie es
auf den ersten Blick scheint, geht es gar nicht zu. Markiert wird das schon
darin, dass die Tote plötzlich wieder lebt, einen letzten Schnaufer
tut, bevor sie wenig später wirklich stirbt und tot ist für immer.
Nicht nur sie widersetzt sich dem klaren und eindeutigen Gang der Dinge -
und sei es um ein Weniges -, auch die Dokumentation legt Wert eher aufs
Synkretistische und Ungeordnete, ja geradezu Entropische der Riten, die doch
Klarheit und Ordnung geben sollen.
Hinzu kommt die Multiplikation der Erzählperspektiven, die
Multizentralität des Erzählens. Die eine Zentralfigur ist der Sohn
der Toten, der erfolgreiche Schriftsteller, der aus der Großstadt aufs
Land reist und damit immer zugleich in seine Vergangenheit, in eine
vorsäkulare Gesellschaftsordnung, ins Innere der Familienbande, deren
Kräfte er offenkundig nicht zuletzt durch literarische Darstellung bannt.
Alle kommen sie in seinen Büchern vor, eher schmeichelhaft gezeichnet,
wie es scheint. Mit einer Ausnahme: Yongsoon, ein weiteres Zentrum des Films
und zwar gerade als exzentrischste der Figuren, die hier zum Familienbild
zusammentreten. Das schwarze Schaf, die Nichte des Autors, Geld, heißt
es, hat sie mitgehen lassen, die guten Sitten verfehlt sie immer um ein kleines,
gerade darum umso merklicheres Stück. Zu den Beerdigungsriten trägt
sie ein Fest-, kein Trauerkleid. Ans Grab bringt sie dem Vater und der
Großtante Pringles-Chips und allerlei dem Anlass nicht angemessenes
Naschwerk. Sie ist es, die mit der Wiederaufnahme in die Familie ein Happy-End
erleben wird.
Und ein drittes Zentrum. Mit der Stimme der Tochter des Schriftstellers werden
kleine, artifizielle Inserts erzählt und von Im Kwon-Taek im Bruch mit
dem Realismus des Rests vor Augen gestellt, vom Älterwerden der
Großmutter, das sich als Prozess der Infantilisierung erweist. In
Studiokulisse vor gemalten Hintergründen verjüngt sich die Greisin,
wird symbolisch die Ablösung der Generationen dargestellt. Es werden
sich diese Szenen zuletzt als Beispiel der narrativen Familienverarbeitung
des Schriftstellers erweisen und damit etwas allzu nahtlos vielleicht in
die elegante Anordnung dieses zuletzt Kreise lieber schließenden als
offen haltenden Films eingebunden.
Bleibt aber ein viertes Zentrum. Eine Freundin, Kollegin des berühmten
Autors, wie er aus der Großstadt, Journalistin, sie verfasst ein
Porträt, des Schriftstellers, seiner Familie, anlässlich der
Begräbniszeremonie, die alle zusammenführt. Am ehesten ist sie
die Vertreterin des Regisseurs, emsig Informationen sammelnd, unbeteiligt
beteiligt, Freunde wie Neider befragend, beobachtend, ohne teilzunehmen,
ethnografisch geradezu. Aus der Distanz, die der Film mit ihr zum Geschehen
hält, gelingen jene leicht satirischen Zuspitzungen, die den Ton des
Ganzen prägen.
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Porträt Im Kwon-Taek
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