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Im Kwon-Taek: Gilsotteum (Korea 1986)
 

Kritik von Ekkehard Knörer 

Unterm Vorspann ein Standbild: Ödnis, ein Gerippe, kein Mensch, kein Leben. Dann, leinwandfüllend, ein Fernsehgerät im Split Screen. Darstellungsform fürs geteilte Korea, ein Fernsehsender sammelt einander lang verlorene Verwandte und strahlt die sich in Tränen auflösende Energie in die koreanischen Wohnzimmer. Die nächste Einstellung, gefroren zum wie stets bei Im Kwon-Taek präzisen Bild der Verhältnisse, zeigt ein solches Wohnzimmer. Im schweren Ledermobiliar frontal vor dem Fernsehgerät die Kinder, der Vater im spitzen Winkel zu den Ausstrahlungen, im spitzen Ton auch zur aus dem politischen Material frivol produzierten Emotion. Die Mutter ist erst abwesend, dann aber betritt das Zimmer, beobachtet zögerlich erst, setzt sich dann, wird angerührt, eine Großaufnahme und Tränen. Ihre Geschichte wird der Film erzählen.

Sie beginnt mit einem Aufbruch. Ins Dokumentarmaterial der Zusammenführungsaktion trägt Im Kwon-Taek ihre Suchbewegung ein. Schriftbänder und Tafeln, Klein- und Großanzeigen, Menschen auf der Suche nach ihren durch die Wirren des Krieges, die Teilung in Nord und Süd verlorenen Verwandten. An zwei Nähten operiert der Film: an der zwischen Dokumentation und Spiel und an der zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Mühelos, mit kaum markierten Schnitten, leicht und so unangestrengt, als agiere hier das Gedächtnis selbst, wird zurückgeblendet, nach Gilsotteum, an den Ort der Kindheit der Frau, wird von der verbotenen Liebe erzählt und dem Geliebten, stellen sich Bilder ein vom Regen, vom Kuss, vom Sex.

Auf den Geliebten von einst trifft die Frau inmitten der Suchtafeln, er spricht sie an, er hat sie nie vergessen. Von seinem Leben im Unglück erzählt er ihr. Vom Verlust ihres Sohnes in politischen Wirrnissen erzählt sie ihm. Den Sohn, erfahren wir, hat sie, vielleicht, im Fernsehen gesehen. Sie treffen sich, reden, er berichtet von der Blinden, die seine Frau ist, die ihm viele Kinder geboren hat, von der Frau, die er nicht liebt, weil er noch immer sie liebt, die Geliebte seiner Jugend, auch von diesen Verhältnissen stellen die Bilder wie unvermerkt sich ein. Sie beschließen, gemeinsam den Sohn aufzusuchen, falls er es ist, die Wahrheit herauszufinden, über ihn, auch über sich, ihre Leben, die von der Erinnerung verwundet geblieben sind bis zu diesem Tag.

Die Frau schweigt, sie lässt sich kaum anmerken, wie es ihr ergeht mit dem Kapitel ihres Lebens, das abgeschlossen schien. Dennoch wird ein Prozess sichtbar, in dem, was sie tut, ohne etwas zu sagen. Oder: Sichtbar, als Prozess, wird er gerade dadurch, dass sie nie erklärt, was sie tut und warum, sichtbar wird er in der Überblendung der Bilder, in der Mühelosigkeit, mit der sie sich einstellen, als Raum, in dem eine Stellung zu beziehen die Frau sich nicht länger weigern kann. Das Ergebnis dieses Prozesses ist, ohne Worte fast, eine Verfehlung. Die Wiederaufnahme des Vergangenen wäre, für sie, ein Fehler. Sie kommt ins Reine mit ihrer Geschichte, ihr einstiger Geliebter dagegen verharrt in der Melancholiestarre seines Unglücks. Der Sohn ist nicht wieder zu gewinnen, sein Leben ist nicht zu retten. Der Leben, die weitergegangen sind, wegen, werden die Liebenden von einst sich in der Gegenwart nicht begegnen können: Er sehnt sich zurück, sie ist ihrer Gegenwart gewiss. Der missratene Sohn ist zuletzt nicht mehr als Darstellung der sich kreuzenden und zuletzt verfehlenden Projektionen. Sie wird beide, den Sohn wie den Geliebten, in einem brutalen und endgültigen Akt des Abschieds ein weiteres Mal im Stich lassen.

Im Kwon-Taek wiederum verweigert nicht weniger entschlossen das Melodram und das Sentiment. Die Bilder, in die er das Verfehlen und den Abschied auflöst, sind nüchtern, fast kalt. Er lässt die Figuren mit ihren Verzweiflungen allein, sein Blick ist nicht weniger starr als der seiner Heldin. Die standortlose, nur als diese Standortlosigkeit bestimmbare Haltung des Erzählers Im ist, hier wie in seinen anderen Filmen, die einer fast schon ausgestellten Distanz, der Beobachtung ohne Teilnahme. Die Tränen, die in den Großaufnahmen der Gesichter zu sehen sind, konstatieren Gefühle, ohne, wenn man so sagen kann, selbst zu fühlen oder gar Mitgefühl zu fordern. An der Naht zwischen Dokumentation und dem pathetischen Zugriff auf die Figuren im Bild bezieht Im Kwon-Taek stillschweigend Stellung fürs Dokumentarische, so weit es der Fiktion zugänglich ist.

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