Unterm Vorspann ein Standbild: Ödnis, ein Gerippe, kein
Mensch, kein Leben. Dann, leinwandfüllend, ein Fernsehgerät im
Split Screen. Darstellungsform fürs geteilte Korea, ein Fernsehsender
sammelt einander lang verlorene Verwandte und strahlt die sich in Tränen
auflösende Energie in die koreanischen Wohnzimmer. Die nächste
Einstellung, gefroren zum wie stets bei Im Kwon-Taek präzisen Bild der
Verhältnisse, zeigt ein solches Wohnzimmer. Im schweren Ledermobiliar
frontal vor dem Fernsehgerät die Kinder, der Vater im spitzen Winkel
zu den Ausstrahlungen, im spitzen Ton auch zur aus dem politischen Material
frivol produzierten Emotion. Die Mutter ist erst abwesend, dann aber betritt
das Zimmer, beobachtet zögerlich erst, setzt sich dann, wird
angerührt, eine Großaufnahme und Tränen. Ihre Geschichte
wird der Film erzählen.
Sie beginnt mit einem Aufbruch. Ins Dokumentarmaterial der
Zusammenführungsaktion trägt Im Kwon-Taek ihre Suchbewegung ein.
Schriftbänder und Tafeln, Klein- und Großanzeigen, Menschen auf
der Suche nach ihren durch die Wirren des Krieges, die Teilung in Nord und
Süd verlorenen Verwandten. An zwei Nähten operiert der Film: an
der zwischen Dokumentation und Spiel und an der zwischen Vergangenheit und
Gegenwart. Mühelos, mit kaum markierten Schnitten, leicht und so
unangestrengt, als agiere hier das Gedächtnis selbst, wird
zurückgeblendet, nach Gilsotteum, an den Ort der Kindheit der Frau,
wird von der verbotenen Liebe erzählt und dem Geliebten, stellen sich
Bilder ein vom Regen, vom Kuss, vom Sex.
Auf den Geliebten von einst trifft die Frau inmitten der Suchtafeln, er spricht
sie an, er hat sie nie vergessen. Von seinem Leben im Unglück erzählt
er ihr. Vom Verlust ihres Sohnes in politischen Wirrnissen erzählt sie
ihm. Den Sohn, erfahren wir, hat sie, vielleicht, im Fernsehen gesehen. Sie
treffen sich, reden, er berichtet von der Blinden, die seine Frau ist, die
ihm viele Kinder geboren hat, von der Frau, die er nicht liebt, weil er noch
immer sie liebt, die Geliebte seiner Jugend, auch von diesen Verhältnissen
stellen die Bilder wie unvermerkt sich ein. Sie beschließen, gemeinsam
den Sohn aufzusuchen, falls er es ist, die Wahrheit herauszufinden, über
ihn, auch über sich, ihre Leben, die von der Erinnerung verwundet geblieben
sind bis zu diesem Tag.
Die Frau schweigt, sie lässt sich kaum anmerken, wie es ihr ergeht mit
dem Kapitel ihres Lebens, das abgeschlossen schien. Dennoch wird ein Prozess
sichtbar, in dem, was sie tut, ohne etwas zu sagen. Oder: Sichtbar, als Prozess,
wird er gerade dadurch, dass sie nie erklärt, was sie tut und warum,
sichtbar wird er in der Überblendung der Bilder, in der Mühelosigkeit,
mit der sie sich einstellen, als Raum, in dem eine Stellung zu beziehen die
Frau sich nicht länger weigern kann. Das Ergebnis dieses Prozesses ist,
ohne Worte fast, eine Verfehlung. Die Wiederaufnahme des Vergangenen wäre,
für sie, ein Fehler. Sie kommt ins Reine mit ihrer Geschichte, ihr einstiger
Geliebter dagegen verharrt in der Melancholiestarre seines Unglücks.
Der Sohn ist nicht wieder zu gewinnen, sein Leben ist nicht zu retten. Der
Leben, die weitergegangen sind, wegen, werden die Liebenden von einst sich
in der Gegenwart nicht begegnen können: Er sehnt sich zurück, sie
ist ihrer Gegenwart gewiss. Der missratene Sohn ist zuletzt nicht mehr als
Darstellung der sich kreuzenden und zuletzt verfehlenden Projektionen. Sie
wird beide, den Sohn wie den Geliebten, in einem brutalen und endgültigen
Akt des Abschieds ein weiteres Mal im Stich lassen.
Im Kwon-Taek wiederum verweigert nicht weniger entschlossen das Melodram
und das Sentiment. Die Bilder, in die er das Verfehlen und den Abschied
auflöst, sind nüchtern, fast kalt. Er lässt die Figuren mit
ihren Verzweiflungen allein, sein Blick ist nicht weniger starr als der seiner
Heldin. Die standortlose, nur als diese Standortlosigkeit bestimmbare Haltung
des Erzählers Im ist, hier wie in seinen anderen Filmen, die einer fast
schon ausgestellten Distanz, der Beobachtung ohne Teilnahme. Die Tränen,
die in den Großaufnahmen der Gesichter zu sehen sind, konstatieren
Gefühle, ohne, wenn man so sagen kann, selbst zu fühlen oder gar
Mitgefühl zu fordern. An der Naht zwischen Dokumentation und dem
pathetischen Zugriff auf die Figuren im Bild bezieht Im Kwon-Taek stillschweigend
Stellung fürs Dokumentarische, so weit es der Fiktion zugänglich
ist.
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