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Mani Ratnam: Dil Se (1998)
Kritik von Ekkehard Knörer

  zum Schwerpunkt Indien

Der Titel bedeutet „Von ganzem Herzen", und neben dem Thema Terrorismus geht es genau darum: der männliche Held, ein Radio-Journalist, verliebt sich, auf einen, noch dazu sehr kurzen Blick im Regen auf einem Bahnhof in eine Fremde. Er begegnet ihr wieder, er folgt ihr, er fordert ihre Liebe. Nach und nach erfährt man mehr über sie, sie gehört zu einer Gruppe von Terroristen, der Journalist wird böse verprügelt. Er gibt jedoch nicht auf, Tanznummern scheinen die Erfüllung seiner Träume anzukündigen.

Mani Ratnam: Dil Se (1998)Etwa in der Mitte des Films aber gibt es einen Bruch: die Vorbereitungen auf ein brutales Attentat beginnen. Ratnam filmt das in einer atemberaubenden Parallelmontage von Auskundschaften des Tatorts und antizipiertem Festaufmarsch. Großartig ist die Kamerarbeit: von Handkamera zu unglaublicher Fluidität bei den Musikszenen vermag sie alles. Die Tanznummern selbst sind von großer Eigenständigkeit: mehr als zehn Minuten und umwerfend die erste: das Paar, das zueinander finden sollte und jeweils zugeordnete Gruppen von Männern und Frauen auf einem durch wildromantische Gebirgsgegenden fahrenden Zug. Die Kamera fliegt darum herum, darauf zu, erzeugt einen Sog von Bewegung, dazu die rhythmische Musik von A.R. Rahman: Das ist nicht Musik im Film, sondern Film als Musik. Die Ästhetik schwankt dabei, für westliche Augen, stets irgendwo zwischen Werbefilm und Videoclip, aber immer mit einem entscheidenden Überschuss übers Funktionale der anpreisenden Bebilderung. Einem Überschwang, dem die Bilder eine Wahrhaftigkeit verdanken, die mit Realismus nichts zu tun hat, eher mit der Wahrheit eines ernst gemeinten, wenngleich kompliziert kodierten Pathos, das - das ist vielleicht das Überwältigendste daran - stets in der Nähe des (absichtlich!) Komischen siedelt.

Ratnam scheut sich nicht, Szenen von Brutalität, aber auch die Erstickungsanfälle der Heldin zu zeigen, die Folgen des Traumas einer Vergewaltigung in ihrer Jugend. Die Rückblende, die die Zerstörung ihres Dorfes zeigt, findet Bilder, die man so schnell nicht vergisst. Dann macht die Handlung eine unerwartete Wendung (wie, trotz der Länge der Filme, Wendungen immer rasch geschehen, keiner umständlichen Plausibilisierung bedürfen; die Plots sind auf das Wesentliche, Action und Liebesdiskurs, konzentriert - im Kontrast zu den arienartigen Ausfaltungen in Musik und Tanz): dem Journalisten wird eine Braut zugeführt, eine moderne und westliche junge Frau, mit der man sogar über Sex reden kann.

Damit wird der an nicht ineinander aufgehenden Oppositionen reiche Film um eine weitere ergänzt. Offensichtlich ist die zwischen der Stadt (und ihren modernen Sitten in der, siehe Monsoon Wedding, typischen Ausprägung des bewussten Rückgriffs auf alte Heiratstraditionen) und dem Land - Amar bewegt sich vom vertrauten Bereich in den fremden, Meghanas Bewegung ist die umgekehrte. Amars Aufgabe ist die Dokumentation des Terrorismus, statt aber bloßer Beobachter zu bleiben, verliebt er sich in die Terroristin. Ihr, die - nun auf seinem Terrain, in der Stadt - ganz und gar auf den Anschlag konzentriert sein sollte, kommt die Liebe dazwischen. So treffen Terrorismus und Liebe als Gegensätze in der Terroristin Meghana zusammen - und zwar unlösbar, unüberwindbar: interessanterweise lässt sich genau über diese Konstruktion eines Paradoxons, an dem sich Amar von Anfang an abzuarbeiten hat, beides völlig ernsthaft verhandeln: Liebe und Terrorismus. Allerdings ist der Terror, das muss man wohl einräumen, gelegentlich nicht mehr als eine Variable, die nichts Spezfischeres garantiert als den bitteren Ernst der Unmöglichkeit einer Liebe - und wäre so, zum Beispiel, im Prinzip austauschbar gegen verfeindete Familien, Macht des Schicksals, Raffinesse eines Intriganten. Das aber oszilliert, denn in der Darstellung der Terroristen, in der Motivation Meghanas, die spät und umso eindrucksvoller im Film geliefert wird, gewinnt die Auseinandersetzung mit den Gründen für den Terror gehöriges Eigengewicht, belässt es Ratnam gerade nicht bei nur hingeworfener Plausibilisierungs-Staffage.

Es gibt im Film eine Unzahl von Aushandlungssituationen, in der ersten Hälfte im Unernst des Song-and-Dance-Registers, etwa in der zweiten Einlage, die die Vordergrundvereinigungen von Amar und Meghana mit beinahe absurden Hintergrundexplosionen und -bränden spielerisch, wenn nicht frivol konterkariert. Der Hintergrund aber fungiert hier, wie  schon in der allerersten Einstellung des Films auf den Stacheldraht einer Straßensperre, als nicht mehr und nicht weniger denn ein Marker, ein Signal dafür, dass der Terror gegenwärtig bleiben wird. Und die Frivolität wird sich im Schlussbild erledigt haben, als dessen tragisch ironisches Vorspiel sich die Einlage erweisen wird. Eine letzte Aushandlung präsentiert, hoch emotional und ausgesprochen fair zugleich, die Argumente auf beiden Seiten - die Kamera umkreist Amar und Meghana mehrmals in voller Fahrt, symbolisiert auf diese Weise den Verzicht auf einen festen Standpunkt des Films, der bis zuletzt beiden ihre Rechte zugesteht. Die (für Amar) konfliktfreie Auflösung durch den Austausch der Frau und des Liebesmodells - von romantisch/unmöglich zu modern/pragmatisch - täuscht der Film an und lässt daran alle Erwartungen ins Leere laufen. Stattdessen bietet er, so konsequent wie überlebensgroß und bitter, den gemeinsamen Liebestod. Die Explosionen der zweiten Song-and-Dance-Einlage greifen endgültig auf den Vordergrund über, Liebe und Terror verschmelzen miteinander, buchstäblich, die Unmöglichkeit der Liebe wird aufgelöst in tragische Vereinigung im Tod.

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