Durian, Durian ist ein Film des Gegensatzes, inhaltlich und
formal. Die erste Hälfte führt, fast ausschließlich per
Handkamera, das Leben der jungen Festlandschinesin Yan in den schmutzigeren
Vierteln Hongkongs, ja buchstäblich im Unterleib der Stadt vor. Yan
arbeitet als Prostituierte und kreuzt in einer kleinen Gasse, die zum Bordell
führt, immer wieder den Weg der achtjährigen Fan, die, in der winzigen
Wohnung des einbeinigen Vaters, der als einziger in der Familie eine
Aufenthaltserlaubnis hat, illegal in Hongkong lebt. Aus Fans Perspektive
wird der Film eröffnet, Fruit Chan schließt gegen Ende diesen
Bogen, dazwischen aber steht Yan im Mittelpunkt, ihr beinahe dokumentarisch
geschildertes Leben. Die Szenen, die man sieht, sind die immerselben: sie
isst in ihrem kleinen Zimmer vor dem Fernseher, mit anderen Prostituierten
und den Zuhältern in einem Fastfood-Laden, in dem unaufhörlich
die Handys piepsen, sie geht zum Bordell, das Ritual sieht vor, dass sie
zweimal mit ihren Kunden duscht, vor dem Sex und nach dem Sex. Ihre Haut
schält sich von Händen und Füßen.
Die elende, aber einträgliche Existenz in Hongkong ist durch
die Arbeitserlaubnis von Anfang an befristet: nach drei Monaten und Hunderten
von Kunden (am letzten Tag sind es 38, ein Rekord) ist Schluss, Yan kehrt
zurück in die ganz andere Welt ihrer Herkunft, ihrer Familie, in Eis
und Schnee Nordchinas. Der Kontrast könnte nicht größer sein.
Das Tempo wird schon in den ersten Bildern, die Yan im Fahrradtaxi zeigen,
gedrosselt, das Land ist weit, wüst und spärlich besiedelt. Eine
Welt aus Kälte und Raum - und Erinnerungen an die Kindheit und Schulzeiten.
Fruit Chan filmt das nun, konsequent, in ruhigen, langsamen Einstellungen.
Die Familie organisiert einen festlichen Empfang für das heimgekehrte
Kind, doch Yan weiß nicht recht, was sie - zu in den gegebenen
Verhältnissen offenbar recht beträchtlichem Reichtum gelangt -
mit sich anfangen soll. Einen Laden in der riesigen Markthalle eröffnen?
Oder mit der jungen Li nach Shenzhen zurückkehren, in die wirtschaftlich
prosperierende Region Chinas, die Hongkong auf dem Festland direkt
gegenüber liegt? Yan heiratet, aber die Beziehung ist nicht von Dauer,
Fruit Chan handelt die Episode mit abenteuerlicher, aber prägnanter
(man nehme nur die Scheidungsszene) Beiläufigkeit ab.
Der Film fällt, trotz der markanten Zweiteilung, nicht auseinander.
Es verbindet die beiden Teile derselbe scharfe und ruhige Blick auf den Alltag.
Dialog und Handlung sind denkbar unspektakulär, sehr bewusst, nicht
(wie bei Made in
Hongkong) der Not, sondern dem künstlerischen Kalkül der
"Authentizität" gehorchend, hat Fruit Chan ausschließlich mit
Laien gedreht. Motivisch verknüpft werden die Hälften durch die
titelgebende Durian-Frucht, die in verschiedenen Episoden eine beinahe zentrale
Rolle spielt, die geradezu zum Kristallisationspunkt zwischenmenschlicher
Beziehungen wird (als Geschenk vor allem), das gelegentlich nicht ohne Komik.
Ein weiteres, ganz formales, von Fruit Chan bereits in Made in Hongkong
erprobtes Charakteristikum hält den Film zusammen: in
regelmäßigen Abständen wird das dokumentarische Rezitativ
durch Miniarien unterbrochen, in denen die dokumentarischen Szenen mit
meditativer Musikuntermalung zu verdichteten Vignetten, zu prägnanten,
aus dem Narrativ herausgezogenen Momentaufnahmen ausgemalt werden. Stets
gehen diese Augenblicke vorbei, bevor sie sich durchs allzu Pittoreske an
den Kitsch verraten - und doch sind sie ein kleines bisschen Restutopie,
winzige Oden an, wenn nichts weiter, den festgehaltenen Moment.
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