Ein großes Ereignis bestimmt den Beginn von
Kardesler: Erol, der älteste der drei Geschwister, von denen
der Film erzählt, bekommt den Einberufungsbescheid zur türkischen
Armee. Mangels vernünftiger Alternativen, auch aus einem nicht sehr
überzeugend hoch gehaltenem Patriotismus heraus, ist er entschlosen,
die vertreute deutsche, Berliner, Kreuzberger Umgebung zu verlassen, von
der vertrauten Fremde rund ums Kottbusser Tor ins fremde Land zu gehen. Seine
Freunde, seine Mutter, seine Geschwister erklären ihn für wahnsinnig:
"du sprichst nicht einmal richtig türkisch", spottet Ahmed, sein
jüngerer Bruder.
Als großes Drama freilich schildert Thomas Arslan diesen
folgenschweren Entschluss nicht. Er setzt das Alltägliche dagegen, bettet
die Entscheidung, durch Zeigen, nicht durch Kommentar erklärend, ein
ins Milieu genau beobachteter Szenen aus dem Leben Erols, aber auch seiner
beiden Geschwister. Deren Probleme sind weit weniger dramatisch, kreisen
auch nicht in erster Linie um ihren Status, ihre Schwierigkeiten als
Deutsch-Türken. Vielmehr geht es, alterstypisch, um die Liebe, darm,
wie man den Tag rumbringt und den Abend, um Freundschaften, um den Job und
darum, dass man sich anderes erhofft als das, was man hat, nur kann man nicht
recht sagen was.
Die besten Aussichten der drei Geschwister auf Glück und Erfolg
im Leben hat Ahmed, der noch zur Schule geht, der sein Abitur machen wird,
eine sehr langmütige Freundin hat, deren Langmut er dann doch einmal
zu oft auf die Probe stellt. Leyla macht, mit ihrer besten Freundin, eine
Lehre in einer Schneiderei, sie können sich Aufregenderes vorstellen.
Mit leiser Distanz, aber ohne direkten Kommentar und immer auf gleicher
Augenhöhe mit seinen Figuren sieht Kardesler den drei Geschwistern zu
bei ihren ganz alltäglichen Erlebnissen. Zeigt, wie Leyla Cem
kennenlernt, der einige Eroberungsarbeit zu leisten hat, zeigt Ahmed und
Erol immer wieder in Gesprächen mit ihren Freunden, die sich um nichts
als banale Dinge drehen, zeigt sie immer wieder in Bewegung, unterwegs in
ihrem eng begrenzten Revier und ums Kottbusser Tor in Kreuzberg.
Vom Verzicht auf einen klar herausgearbeiteten Plot, auf die
Schürzung eines dramturgisch abzuarbeitenden Knotens sollte man sich
nicht täuschen lassen: Arslans Absicht ist keineswegs ein naiver
Dokumentarismus; sehr bewusst sucht er die Aufhebung in der Form: seine
Kadrierungen sind präzise, keine Kamerabewegung ist überflüssig,
die Dialogie sind zwar der Sprache deutsch-türkischer Jugendlicher genau
abgelauscht: die Lakonik und der Aufbau der einzelnen Szenen jedoch, die
Komik, die sich dem Lakonischen verdankt, entfernen den Film weit von allem
Naturalismus. Genau das ist Thomas Arslans Kunst, hier noch um einiges
unauffälliger (und weniger streng) als in den folgenden Filmen: er setzt
sein Formbewusstsein auf die Wirklichkeit an und macht so, als wäre
es ein Leichtes, aus Leben Kunst.
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