Schon Thomas Arslans Spielfilm-Erstling
Geschwister war mehr als
ein Film über Deutsch-Türken in Berlin. In jeder Szene mischten
sich Alltagsbeobachtung und eine nie aufdringliche formale Verdichtung -
die in den genauen Blick auf die Figuren und ihre Umstände gerade die
notwendige Distanz eintrug. Dealer geht einen großen Schritt weiter
in Richtung Formalisierung. Der Film hat einen ganz eigenen Rhythmus, auf
Dialog- und Gesprächsszenen folgen immer wieder Close-Ups des Protagonisten
Can im Seitenprofil, vor meist verschwommenen, stilisierten Hintergründen.
In diesen regelmäßig wiederkehrenden Momenten steht der Film ganz
still: diese auch musikalisch herausgehobenen Augenblicke sind Zäsuren
der Handlung, kurze Meditationen, Zeit zum Atemholen, aber auch der Ruhe
vor dem Sturm.
Diese Stillstellung setzt sich in den narrativen Einstellungen fort:
anders als in Geschwister - anders aber auch als in Der schöne Tag -
sind die Figuren in Dealer kaum zu Fuß unterwegs: sie stehen an Ecken,
sie sitzen herum. Die Bilder sind festgefroren zu starren Einstellungen,
hier ist Arslan recht nahe an Angela Schanelecs
Filmen (Schanelec hat
übrigens eine kleine Rolle in Dealer). Die Stilisierung findet
sich in den starken Kontrastfarben wieder, mit denen Vordergründe (meist
eben: die Figuren) und Hintergründe in Beziehung gesetzt, gegeneinander
komponiert werden.
Die alle Dynamik bewusst erstickende Form korrespondiert dem Inhalt:
erzählt wird von ein paar Wochen aus dem Leben von Can, einem kleinen
Dealer in Berlin Kreuzberg, der aus dem Milieu der Kleinkriminalität
auszubrechen versucht, aber so lange zögert, bis ihn seine Frau mit
der gemeinsamen Tochter verlässt. Ein Versuch, mit einem legalen Job
als Küchenhilfe Geld zu verdienen, scheitert. Den immer wieder gebotenen
Ausweg, seinen Boss an die Poliziei zu verraten, schlägt er nicht ein.
Die Hoffnungen, zum Geschäftsführer einer Bar aufzusteigen, zerschlagen
sich.
Arslan erzählt diese traurige Geschichte ganz konzentriert, ganz
sachlich, verzichtet auf Sentimentalität ebenso wie auf künstliche
Spannung. Ohne seinen Helden je zu überhöhen, verleiht er ihm eine
Würde, die den Betrachter dazu zwingt, ihn Ernst zu nehmen, nicht Mitleid
sondern Mitgefühl zu entwickeln. Und das gerade über die Stilisierung,
den gezielten Formalismus der Inszenierungs- und Erzählweise. Das Dilemma,
in dem Can sich befindet, wird so (formal zwingend) als kaum auflösbares,
die Verhältnisse werden als tragische vorgeführt. Hinter den klaren,
einfachen Bildern steckt ein komplexes ästhetisches Konzept. Dass es
aufgeht, macht Dealer zu einem kleinen Filmwunder.
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