Christopher Nolan: Memento (USA 2000)
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Memento

USA 2000
Regie: Christopher Nolan
Mit Guy Pearce, Carrie-Ann Moss

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Jonathan Nolans Kurzgeschichte, die als Vorlage für den Film diente


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Christopher Nolan: Memento

Christopher Nolan: Memento

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KRITIK

Ein Film, der eine Grammatik für die Zeitform des Futur II gefunden hat und Whodunit, Rachedrama und philosophische Meditation über das Gedächtnis auf die einfache Frage bringt: Wird es der richtige gewesen sein? Denn am Anfang steht ein Mord, den Lenny begeht, ein Racheakt für die Ermordung seiner Frau. Lenny selbst kann am allerwenigsten beurteilen, ob John G. Gammell der Täter war, denn er hat durch das traumatische Erlebnis sein Kurzzeitgedächtnis verloren, lebt in einer Welt, die alle zehn Minuten ein Update erfährt, bei dem alle Erinnerung an die Zeit nach dem Mord an seiner Frau wieder ausgelöscht sein wird. Fotografie (Polaroid natürlich) und Schrift, eingetragen als unauslöschliche Tattoos in den Körper und, die Personen auf den Bildern kommentierend, als subscriptio der Fotos sind alles, was er hat: alle paar Minuten aufs Neue muss er sich, durch Lektüre, auf den Stand der Dinge bringen. Lenny ist auf die Verlässlichkeit des so externalisierten Aufzeichnungssystems Gedächtnis angewiesen, ein anderes zum Abgleich hat er nicht.
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Die Pointe des Films ist, dass er - quasi-mimetisch - den Zuschauer in dieselbe Situation zu stürzen versucht, in der sich sein Held befindet: Nolan lässt die Geschichte rückwärts ablaufen, in chronologisch Schritt für Schritt rückwärts aneinandergestückelten Rückblenden, die aber filmsprachlich nicht als solche markiert sind. Ein interessanter Effekt ist, dass Erzählzeit und erzählte Zeit dabei fast als Echtzeit zur Deckung kommen - der Eindruck beim Betrachter ist aber ein ganz anderer: das Auseinanderklaffen von sich nach vorne öffnendem (immer neue Rätsel bereit haltendem) Erzählhorizont und der Abgeschlossenheit und vorzeitigen Finalisiertheit der Handlung steigert Aufmerksamkeit und Intensität der Betrachtung auf eine Weise, die die Wahrnehmung von Zeit und ihre Verrechnung auf erzählte Zeit verformt und dehnt. Das ist die Ebene, auf der der Film am besten funktioniert, auf der auch der bloße Trick der Rückwärtserzählung aufschlussreiche Wahrnehmungs-Effekte zeitigt. Viel konventioneller funktioniert die Figurenpsychologie des Films, die nach Art eines analytischen Krimiplots - der dem ganzen als Negativform ohnehin zugrunde liegt - erst nach und nach, in nachgetragenen Vorberichten, etwas über den Protagonisten Lenny erzählt. Dies aber - wie auch anders - entlang der nicht-diegetischen, sondern konkret erfahrenen Zeitrichtung des Films, die eben nicht anders kann als sich linear nach vorne zu erstrecken.

Zugleich ist der Film aber auch eine sehr hinterhältige Darstellung des Zusammenhangs von Erinnern und Durcharbeiten, ein Fallbeispiel zum Thema Befreiung der Trauer aus den Fängen der Melancholie - und ihre Verunmöglichung. Lenny fehlt das Medium der "natürlichen" Auseinandersetzung mit dem Verlust, das Gedächtnis als Agent eines umarbeitenden Vergessens des traumatischen Ereignisses (bzw. des Traumatischen des Ereignisses). Der Künstlichkeit von Lennys Gedächtnis entspricht die Brutalität seiner - vielleicht nie erfolgreichen - Verabschiedung der Melancholie. Durcharbeitung als Rache - unklar bleibt, ob eine Befreiung aus diesem Teufelskreis bloßer Repetitionen der Rache, des sinnlosen Anhäufens von Toten, gelingen kann. Wenn ja, so der bösartige Vorschlag des Films, dann durch die Erzeugung von Fehlerinnerungen, durch das Halluzinieren einer falschen Erlösung, durch die pure Setzung eines Endes, die ihren Setzungscharakter sogleich wieder vergisst.
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Als etwas überflüssig erweisen sich, konsequent betrachtet, zwei narrative Gegenbewegungen in Memento. Zum einen erzählt der Film Lennys Geschichte von einem bestimmten Punkt an - aber immer wieder zwischen die "Rückblenden" geschnitten - (schwarz-weiß des Kontrastes wegen) konventionell vorwärts auf die Rückblendenzeit zu, bis die beiden Stränge zusammenstoßen. Und zum anderen gibt es einen Zweitplot, eine Verdopplung und Variation des Motivs des Gedächtnisverlusts in einer etwas sentimentalen Vor-Vorgeschichte aus Lennys Leben als Gutachter für eine Versicherungsgesellschaft. Dadurch wird dem Hauptplot nichts Entscheidendes hinzugefügt, es geht in gewisser Weise nur um die Verdeutlichung, und dadurch auch: Verwässerung, des Gedächtnisverlust-Dilemmas. Bewundernswert hingegen, wie geschickt Memento mit allen Fragen nach der Logik und Stimmigkeit des Ganzen umgeht, dem verwirrten Zuschauer genug Plausibilitätshinweise an die Hand gibt, um diesbezügliche Zweifel in Schach zu halten (einzig die sehr grundsätzliche Frage, wodurch Lennys offensichtlich kontinuiertes Wissen um seinen Gedächtnis-Zustand erklärbar ist, bleibt - so weit ich sehe - offen). Memento ist kein perfekter Film, aber er wagt viel und gewinnt.
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