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KRITIK
Ein Film, der eine Grammatik für die Zeitform des Futur II gefunden
hat und Whodunit, Rachedrama und philosophische Meditation über das
Gedächtnis auf die einfache Frage bringt: Wird es der richtige gewesen
sein? Denn am Anfang steht ein Mord, den Lenny begeht, ein Racheakt für
die Ermordung seiner Frau. Lenny selbst kann am allerwenigsten beurteilen,
ob John G. Gammell der Täter war, denn er hat durch das traumatische
Erlebnis sein Kurzzeitgedächtnis verloren, lebt in einer Welt, die alle
zehn Minuten ein Update erfährt, bei dem alle Erinnerung an die Zeit
nach dem Mord an seiner Frau wieder ausgelöscht sein wird. Fotografie
(Polaroid natürlich) und Schrift, eingetragen als unauslöschliche
Tattoos in den Körper und, die Personen auf den Bildern kommentierend,
als subscriptio der Fotos sind alles, was er hat: alle paar Minuten aufs
Neue muss er sich, durch Lektüre, auf den Stand der Dinge bringen. Lenny
ist auf die Verlässlichkeit des so externalisierten Aufzeichnungssystems
Gedächtnis angewiesen, ein anderes zum Abgleich hat er
nicht.
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Die Pointe des Films ist, dass er - quasi-mimetisch - den Zuschauer
in dieselbe Situation zu stürzen versucht, in der sich sein Held befindet:
Nolan lässt die Geschichte rückwärts ablaufen, in chronologisch
Schritt für Schritt rückwärts aneinandergestückelten
Rückblenden, die aber filmsprachlich nicht als solche markiert sind.
Ein interessanter Effekt ist, dass Erzählzeit und erzählte Zeit
dabei fast als Echtzeit zur Deckung kommen - der Eindruck beim Betrachter
ist aber ein ganz anderer: das Auseinanderklaffen von sich nach vorne
öffnendem (immer neue Rätsel bereit haltendem) Erzählhorizont
und der Abgeschlossenheit und vorzeitigen Finalisiertheit der Handlung steigert
Aufmerksamkeit und Intensität der Betrachtung auf eine Weise, die die
Wahrnehmung von Zeit und ihre Verrechnung auf erzählte Zeit verformt
und dehnt. Das ist die Ebene, auf der der Film am besten funktioniert, auf
der auch der bloße Trick der Rückwärtserzählung
aufschlussreiche Wahrnehmungs-Effekte zeitigt. Viel konventioneller funktioniert
die Figurenpsychologie des Films, die nach Art eines analytischen Krimiplots
- der dem ganzen als Negativform ohnehin zugrunde liegt - erst nach und nach,
in nachgetragenen Vorberichten, etwas über den Protagonisten Lenny
erzählt. Dies aber - wie auch anders - entlang der nicht-diegetischen,
sondern konkret erfahrenen Zeitrichtung des Films, die eben nicht anders
kann als sich linear nach vorne zu erstrecken.
Zugleich ist der Film aber auch eine sehr hinterhältige Darstellung
des Zusammenhangs von Erinnern und Durcharbeiten, ein Fallbeispiel zum Thema
Befreiung der Trauer aus den Fängen der Melancholie - und ihre
Verunmöglichung. Lenny fehlt das Medium der "natürlichen"
Auseinandersetzung mit dem Verlust, das Gedächtnis als Agent eines
umarbeitenden Vergessens des traumatischen Ereignisses (bzw. des Traumatischen
des Ereignisses). Der Künstlichkeit von Lennys Gedächtnis entspricht
die Brutalität seiner - vielleicht nie erfolgreichen - Verabschiedung
der Melancholie. Durcharbeitung als Rache - unklar bleibt, ob eine Befreiung
aus diesem Teufelskreis bloßer Repetitionen der Rache, des sinnlosen
Anhäufens von Toten, gelingen kann. Wenn ja, so der bösartige Vorschlag
des Films, dann durch die Erzeugung von Fehlerinnerungen, durch das Halluzinieren
einer falschen Erlösung, durch die pure Setzung eines Endes, die ihren
Setzungscharakter sogleich wieder vergisst.
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Als etwas überflüssig erweisen sich, konsequent
betrachtet, zwei narrative Gegenbewegungen in Memento. Zum einen erzählt
der Film Lennys Geschichte von einem bestimmten Punkt an - aber immer wieder
zwischen die "Rückblenden" geschnitten - (schwarz-weiß des Kontrastes
wegen) konventionell vorwärts auf die Rückblendenzeit zu, bis die
beiden Stränge zusammenstoßen. Und zum anderen gibt es einen
Zweitplot, eine Verdopplung und Variation des Motivs des Gedächtnisverlusts
in einer etwas sentimentalen Vor-Vorgeschichte aus Lennys Leben als Gutachter
für eine Versicherungsgesellschaft. Dadurch wird dem Hauptplot nichts
Entscheidendes hinzugefügt, es geht in gewisser Weise nur um die
Verdeutlichung, und dadurch auch: Verwässerung, des
Gedächtnisverlust-Dilemmas. Bewundernswert hingegen, wie geschickt Memento
mit allen Fragen nach der Logik und Stimmigkeit des Ganzen umgeht, dem verwirrten
Zuschauer genug Plausibilitätshinweise an die Hand gibt, um
diesbezügliche Zweifel in Schach zu halten (einzig die sehr
grundsätzliche Frage, wodurch Lennys offensichtlich kontinuiertes Wissen
um seinen Gedächtnis-Zustand erklärbar ist, bleibt - so weit ich
sehe - offen). Memento ist kein perfekter Film, aber er wagt viel und
gewinnt.
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