Amerikas sich selbst verbrieftes Recht auf den "pursuit of happiness"
und die griechische Tragödie passen zusammen wie Steven Spielberg und
Philip K. Dick: gar nicht. Blind ist die Naivität des amerikanischen
Glaubens an die Machbarkeit des Glücks für die waltenden Mächte
des Politischen und der Gesellschaft; als blind beschreibt die griechische
Tragödie das Walten des Schicksals, als unauflösbar die Konflikte,
träten nicht, zum Ende hin, Götter auf in ihren Maschinen. Dick,
der so wirr wie genial manches zusammen und durcheinander dachte, das zuvor
voneinander nicht zu träumen wagte, hat den tragischen Blick auf die
Welt zeitgemäß und durchaus amerikanisch überführt in
die Paranoia. Seine Helden sind keine Griechen und mithin auch keine Helden,
aus dem dunklen Himmel steigen nur noch falsche Götter (nur, zum Ende
- Valis - hin, womöglich, auf tausenden Seiten hat er darüber
gerechtet, der wahre), nichts bürgt mehr dafür, dass die Dinge
sind, was sie scheinen, ein großer Täuschergott straft die Menschen,
die nicht wissen, wie ihnen geschieht.
Minority Report, die Kurzgeschichte, ist Dicks Variante von
König Ödipus: er schickt darin das Orakel-Paradox so lange durch
seine eigenen Schleifen, bis sich die Möglichkeit der zuverlässigen
Vorhersage ins Nichts auflöst. Spielberg nun und seine Autoren biegen,
wo sie können, Dick um in den blinden Glauben ans Humane und streuen,
da es nun nicht mehr schadet, ein wenig wohlfeile Gesellschaftskritik
darüber. Grandios sind die ersten zwanzig Minuten, auch ganz
Dick-gemäß, der - mit nichts leidend als der leidenden Kreatur
- die drei Precogs mit ihren Visionen von zukünftig geschehenden Morden
in jenen immobilisierten Halbschlafzustand versenkt, der als schlimmster
Alptraum totaler Auslieferung und Ohnmacht sein Werk durchzieht. Die Precogs
sind nichts als Auge; was sie sehen, sind nichts als grauenhafte Zukünfte.
John Anderton, der Precop, ist zunächst nicht mehr als eingreifender
Arm zum Auge, ausführendes Organ der Zukunftspolizei, die das, was
geschähe, griffe sie nicht ein, zur Maßgabe ihres Handelns macht
und so das als erst noch Geschehendes Gesehene ungeschehen macht. Aber niemals
ungesehen: das ist das Elend der Precogs - und zugleich, die Seher sind auch
die traumatisierten Archivare ihrer Visionen, die Chance, dem Trug, der als
Whodunit-Struktur aus dem düsteren SciFi-Szenario heraus ans Licht treten
wird, auf die Spur zu kommen.
Zu Ödipus wird Anderton, als ihm das Precog-Orakel prophezeit,
er werde selbst zum Mörder werden. Den Weg, der zur Tat führt,
zeichnet es so selbst vor. Anderton/Ödipus nähert sich dem
Unausweichlichen im Versuch, es zu verhindern. Hier bricht der Film aus seiner
Bahn, Anderton ist auf der Flucht, die Spielberg als allegorisches Stationendrama
mit Spektakeleinlagen beschreibt (wie schon in A.I.): es kommt zur
Begegnung mit der Schöpfermutter der Precogs, die als verschrobene
Paradiesesgärtnerin vorgestellt wird inmitten bedrohlich wuchernder
und schlingender Natur. Sie gibt ihm, Sphinx jetzt und nicht Orakel, die
Aufgabe, die er zu bestehen hat: Agatha, den weiblichen Precog, entführen.
Zuvor schon, schöner amerikanischer Optimismus, hat Anderton sich ein
neues Set Augen besorgt, unter bizarren Umständen, ein Humor hat hier
Auftritte, der aus Brazil entlaufen scheint wie das eine oder andere Detail
der Zukunft - nicht aber die Gesellschaftskritik: für die Vision allseitiger
Überwachung in in sich geschlossenen Konsumwelten haben Gap und Toyota
teuer Geld bezahlt. Mit Agatha im Schlepptau konfrontiert sich Anderton seinem
Schicksal und das Orakel spricht plötzlich amerikanisch: du kannst,
wenn du willst, dein Leben in die eigene Hand nehmen. So geschieht es. Damit
ist Dick und auch dem Film das Genick gebrochen, der Rest ist rasantes Whodunit
mit logischen Löchern (warum nämlich ist keine Kugel gefallen,
die alles offenbart hätte?). Vom Ende ist ohnehin zu schweigen.
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