Nicht schaumgeboren, sondern täuschend wasserklar steigt
in der ersten Einstellung des Films Leyla (Nina Hoss) aus dem Becken eines
kleinen Schwimmbads. Als sie geht, fällt ihr ein Buch zu Boden, ein
Mann, der Anwalt Thomas Richter, hebt es auf, sie blickt ihn an, man wird
sich wieder begegnen. Der erste Eindruck, den man hat, geht in die Irre:
die Liebesgeschichte, die sich hier anbahnt, in seltsamen Zufällen,
mit erneutem Aufeinandertreffen ganz wie bei Rohmer (oder bei Agnes Varda
in Cleo von 5 bis 7, die Szene im
Park, dieser Aufschub, bevor Cleo erfahren wird, ob sie sterben muss oder
nicht, zugleich der mögliche Beginn einer Liebe; diese Szene hat Petzold,
erzählt er im Anschluss an den Film, den Darstellern zur Einstimmung
gezeigt), mit der scheinbaren Offenheit des Möglichkeitshorizonts, einer
unschuldig verbrachten gemeinsamen Nacht, Musik von Van Morrison und Bacharach,
diese ganze Liebesgeschichte in ihren klaren, unmanipulativen Bildern, sie
ist ein einziger Betrug. Und dann auch wieder nicht. In dieser Uneindeutigkeit,
dieser sich unter der (bald) offenbaren Manipulation einschleichenden
(nachträglichen) Eröffnung einer Alternative, liegt ein Reiz, den
der Film nicht ausspielt, auf den er ganz zum Schluss erst wieder
zurückkommt. Es ist dann, leider, ein bisschen zu spät.
Eigentlich nämlich will er auf etwas anderes hinaus, ordnet dieser
anderen Geschichte seinen Beginn unter, die Möglichkeiten, die in diesem
Beginn liegen, fokussiert den Blick um auf eine andere Begegnung, Wiederholung
mit Variation der ersten. Wieder geht die Heldin mit Täuschungsabsicht
vor, wieder laufen die Dinge nicht (ganz) so wie sie geplant hat, wieder
kommt etwas dazwischen, womit sie nicht rechnen konnte. Dieses Gegeneinander
von Berechnung und einem Widerstand, der keiner des Schicksals ist, keiner
des Zufalls, eher einer der Dynamik des Zwischenmenschlichen, der
Nicht-Berechenbarkeit des Individuums, über das man nie alles wissen
wird, um dieses Gegeneinander ist es Petzold zu tun. Und die
Individuen, die hier aufeinander treffen, sind sich näher, als ihnen
selbst scheinen mag: einsam, verletzt, verloren, ganz quer zur Grenze, die
zwischen Schuld und Unschuld verläuft.
Dennoch: die Verknüpfung der Geschichten
und Figuren will nie restlos gelingen, zu sehr schimmert das
Reißbrett durch, an dem die Handlung entworfen ist. In einer nicht
ungeschickten, aber auch nicht ganz überzeugenden narrativen Bewegung
kommt die Vorgeschichte auf die längst zur Hauptgeschichte gewandelte
Nachgeschichte zurück. Man darf hier nicht zu konkret werden; der Film
lebt, weniger leider als er könnte, von der allmählichen
Entblätterung der Motive seiner Hauptfigur, von ihrem Geheimnis - das
freilich, erst einmal entdeckt, den Film etwas zu sehr ins Genre-hafte kippen
lässt. Nichts gegen das Genre-hafte, aber es verträgt sich nicht
ganz mit der Erzählweise, verengt diese so offen angelegte Geschichte
zu sehr.
Seine stärksten Momente hat "Toter Mann" in seinen Anfängen.
Petzold erzählt in wunderbar klaren Bildern, die Dialoge sind atemberaubend
ökonomisch, die Darsteller streng und überzeugend geführt.
Die Einstellungen sind lakonisch, zurückhaltend, es gibt, auf die ganze
Strecke, keine extradiegetische Musik: die im Film gespielte ist von umso
größerer Bedeutung. Umso auffälliger, dass manches eher
überflüssig erscheint: der Bruder etwa ist nicht viel mehr als
ein Reflektor für den Anwalt, auf ihn hätte man wohl verzichten
können. Später sind es einzelne Szenen, die rundum gelingen: wenn
Leyla wiederum mit Wasser assoziiert wird, am Ufer eines Flusses, und wiederum
kontrastiert die Klarheit des Wassers, der Bilder, der Töne mit ihren
manipulativen Absichten. Mit dieser Stille, die den Ton des Films lange bestimmt,
verträgt sich sein Ende nicht. Auch nicht der psychodramatische Zug,
der zuletzt hereinkommt. All das ruiniert den Film nicht. Es ist nur, als
geriete er irgendwann aus dem Gleis, auf dem er sich zuvor so sicher bewegt
hat.
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