Backlist: Agnes Varda: Cleo von 5 bis 7

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Agnes Varda: Cleo von 5 bis 7

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Der Film beginnt damit, dass er Cléo die Karten legt. In Farbe führt er dem Zuschauer ihr mögliches Schicksal vor Augen, man sieht in den Anfangseinstellungen, über die noch die Credits laufen, von oben den Tisch, die Bewegung der Hände der Kartenlegerin und Cleos. Als der Gehängte und der Sensenmann aufgedeckt werden, weiß man, was die Stunde geschlagen hat: Cleo ist ihr baldiger Tod geweissagt. Gewissheit über die Krebsdiagnose wird sie im Laufe der (titelgebenden) fast zwei Stunden, in denen die Kamera sie keine Minute aus den Augen lassen wird, erlangen.

Cleo von fünf bis sieben bildet also, fiktiv, Echtzeit ab, aber weder vom pseudo-dokumentarischen Schwarzweiß, das der farbigen Anfangssequenz folgt, noch von der Handkamera wird man über die bewusste Stilisiertheit der Erzählung getäuscht. Aus der Stille bei der Kartenlegerin geht es hinaus in den Trubel von Paris, die Kamera heftet sich an die Fersen, eher: ans Gesicht von Cleo. Sie trinkt Café, der Blick wird von ihren Freundinnen, das Ohr von ihrem Geschwätz abgelenkt auf ein Paar in einem Spiegel, der die rechte Bildhälfte einnimmt. Ein Spiegelkabinett auch der Laden, in dem sich Cleo einen Hut aussucht. Die Kamera fährt um Cleo herum, durch das Geschäft, an Spiegeln vorbei, wirft Blicke in Spiegel, deren Bilder den Betrachter desorientieren. Ein schneller Schnittrhythmus drängt endgültig jede Dokumentar-Illusion beiseite: die Bilder tanzen, die Kamera bewegt sich spielerisch um die Hauptdarstellerin. Dann ein Rückzug, vom Offenen, Lauten, Freien ins Geschlossene, ins Leere auch von Cleos großem Arbeitszimmer. Kaum möbliert: ein Bett, ein Vorhang als Spanische Wand, ein Klavier. Es folgen Auftritte: ihres deutlich älteren Geliebten, eine Umarmung, ein Kuss. Dann ihr Komponist und Texter (sie ist Chansonsängerin), sie singt: für eine Minute plötzlich vergisst die Kamera alle Bewegung, alles Abbilden und Erzählen: in Großaufnahme Cleo vor schwarzem Hintergrund, sie singt. Darauf dann wieder eine Umkehrbewegung, hinaus ins Freie, in die Stadt, das wiederholt sich: der Rückzug in die Stille eines Ateliers, Autofahrt durch die Straßen, Cleo in einem Park, der im einen Moment ganz und gar belebt, im nächsten wie ausgestorben ist.

Cleo von 5 bis 7 ist mehr Rhythmus als Narration, Tanz der Kamera, der Worte, die sich zu merkwürdigen Dialogen zusammenfinden und dann wieder zerstreuen. Keine Psychologie, deshalb irritiert die Anfangsprämisse so sehr: weder der Film noch seine Protagonistin finden das erwartete Verhältnis zur Furcht vor der schrecklichen Diagnose. Sehr abstrakt nur stehen sich hier Schönheit Cleos und der Tod gegenüber, eigentlich aber hat der Film keine Sekunde Lust auf den Tod, konzentriert sich im letzten Drittel zu einer wundersamen Begegnung im Park, einem wiederum sehr spielerischen Flirt, der in der Klinik endet. Das letzte Wort, das letzte Bild hat Cleo. Die Diagnose ist niederschmetternd. Agnes Varda aber zeigt keinen Schmerz, keine Furcht, zeigt nur die Schönheit Cleos, den Sommer, den längsten Tag des Jahres.


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