Türen. Va Savoir ist ein Film der Türen, sich
öffnenden, zuschlagenden, zugeschlossenen. Sein Plot ist ein Türenplot
und der Film so nicht Fleisch vom Fleische aber ein Strukturverwandter des
Boulevardtheaters. Ohne weitere Umstände treffen sich die sechs Figuren,
um deren galanten Reigen es geht, hinter Türen, die zuletzt, hier kippt
das Theater in den Film, nichts sind als Schnitte. Rivette manipuliert, wie
stets, die Zeit, diesmal aber dehnt er sie nicht (oder: selten), diesmal
springt er, von einer Sekunde zur anderen, von der Bühne in die Garderobe
oder hinaus ins Leben, das freilich, dank des Schwungs und der Leichtigkeit
der Bewegung, nichts anderes ist als Bühne. (Es ist denkbar, dass das
in der um eine Stunde längeren Fassung ganz anders ist, ja, es ist zu
vermuten: Gewiss ist der Director's Cut ein ganz anderer Film.)
Nie war der Widerstand des Raums, der Widerstand der Zeit so gering,
so verschwindend bei Rivette wie hier - es gibt ihn, als Signal: das
Knarzen der Böden, immer wieder, nicht auf der Bühne,
sondern in der Garderobe, in den Wohnungen, auf dem Dach.
Kaum einmal aber legen die Figuren Wege zurück auf den Straßen
von Paris (es gibt eine Szene am Ufer der Seine, aber auch hier dehnt sich
nichts, es ist eine der charmantesten Verliebensgeschichten seit Woody Allens
"Everybody Says I Love You"): sie tauchen aus U-Bahn-Eingängen auf wie
durch sich auftuende Türen, sie tanzen durch Bibliotheken und huschen
über die Bühne. Rivette unterläuft alle Plot-Ernsthaftigkeit,
aber nicht durch Auflösung der erzählten Zeit in filmische, fast
ereignislose Eigenzeit (Sandrine Bonnaire fährt Zug, in
Geheimsache), sondern durchs rasante Hin und Her, von Strang zu Strang,
durchs kaleidoskopartige Umkonstellieren der Zweierpaare, durch Schnitt und
Schnitt und Schnitt.
Der Souverän des Films ist Jeanne Balibar, zwar verstrickt sie
sich hinein in die Geschichten der anderen, intrigiert, mutwillig und im
Gespräch mit sich selbst, schwebt dann aber wieder, sehr viel mehr als
die Summe ihrer Beweggründe, herüber und hinüber, von Pirandello
zu Rivette, vom Italienischen ins Französische, vom einen Mann zum anderen
(und zum Dritten). Sie entkommt, wenn sie mag, auf unmöglichem Weg,
schichtet sich einen Fluchtturm, ist auf dem Dach, die schönste der
"Türen", ein Fenster ins Freie. Wunderbar, dass sie auf dem Dach in
diese Richtung läuft, dann in die andere, als suchte sie nichts besonderes.
Es gibt sie, diese Momente der totalen Freisetzung aus den Zusammenhängen
des Narrativen, am schönsten hier. Die Leiter taucht dann auf, aus dem
Nichts, pure Setzung, mit der die Geschichte dann, aus Lust und Laune eher
als aus Notwendigkeit, weiter geht.
Rivettes Filme sind immer Experimente der Möglichkeitsform. Dies
eine mal wird fast alles durchgespielt, wenigstens, könnte man sagen,
eine Runde lang, und, muss man wohl dazusagen, ohne die radikale Lust daran,
das Spiel zu weit zu treiben. Der Rückgriff auf den Halbernst des
Boulevard-Erzählens, in Erinnerung gewiss an Ayckbourne/Resnais' Smoking/No
Smoking, ist da nur zu logisch. Vom großen Geheimnis des Rivettefilms
bleibt diesmal dafür nur ein Rest. Keine Verschwörung, nur die
Suche nach einem obskuren Goldoni-Stück, der sich wie von selbst die
tändelnde Liebesgeschichte von Do und Ugo beigesellt. Von wunderbarer
Raffinesse, von unerhörter Leichtigkeit die Auflösung der Konflikte
im Finale auf und über der Bühne, emblematisch der Showdown mit
Wodka und Heidegger: über dem Abgrund, der keiner ist, schreiend komisch,
kein Film der Fallhöhe, sondern der reinen, vollendeten Lust am
Spiel.
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