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Geheim-
sache
Frankreich 1998
Regie: Jacques Rivette
Mit Sandrine Bonnaire
Die Adresse für Filme und Bücher!
Filmografie Jacques Rivette
2003 L'histoire de Marie et Julien (Die Geschichte von Marie und
Julien)
(Kritik)
2001 Va savoir (Kritik)
1998 Secret défense (Geheimsache)
(Kritik)
1995 Haut bas fragile (Vorsicht zerbrechlich!)
1994 Jeanne la Pucelle (Johanna, die Jungfrau)
1. Les batailles (1994)
2. Les prisons (1994)
1991 La Belle noiseuse, divertimento (Die schöne Querulantin,
Divertimento)
1991 La Belle noiseuse (Die schöne Querulantin)
1988 La Bande des quatre (Die Viererbande)
1985 Hurlevent (Sturmhöhe)
1984 L'Amour par terre (Theater der Liebe)
1983 Merry-Go-Round
1981 Le Pont du Nord (An der Nordbrücke)
1976 Noroît (Nordwestwind)
1976 Duelle (Unsterbliches Duell)
1974 Céline et Julie vont en bateau (Céline und Julie fahren
Boot) (Kritik)
1972 Out 1: Spectre
1970 Out 1: Noli me tangere
1968 L'Amour fou (Amour Fou)
1966 La Religieuse (Die Nonne)
1960 Paris nous appartient (Paris gehört uns) |
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by bCentral
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Inhalt
Sylvie und ihr Bruder Paul glauben fünf
Jahre nach dem plötzlichen Tod des Vaters an Mord. Für den Mörder
halten sie seinen früheren Geschäftspartner Walser. Nachdem Paul
durch einen Unfall ausfällt, will Sylvie allein den Racheengel mimen.
Doch sie erschießt aus Versehen Walsers Geliebte. Sylvie und Walser
werden zu Komplizen.
Kritik
Sylvie Roussel wacht mitten in der Nacht auf,
geht in die Küche, betätigt den hypermodernen Wasserhahn, will
ein Glas Wasser trinken, fühlt mit dem Finger die Temperatur, schüttet
das halbvolle Glas zurück und wartet, bis das Wasser kalt ist. Sylvie
Roussel ist Elektra, die den Mord an ihrem Vater Agamemnon rächen will,
gemeinsam mit ihrem Bruder Paul/Orest und immer tiefer in eine verwickelte
Geschichte um Tod und Unglück, Liebe, Vertrauen und Rache hineingerät.
Es ist, nur um ein Weniges variiert, die Geschichte der Orestie.
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Das Wunder der Filme Rivettes
ist immer dasselbe. Er erzählt von jungen Menschen (allermeist Frauen)
im heutigen Frankreich und es gelingen ihm dabei genaueste Beobachtungen
im Detail des Alltags, der zwischenmenschlichen Beziehungen, wie das
allerschönste Tradition des französischen Kinos ist, die in den
wunderbaren Filmen von Noémie Lvovsky oder Erick Zonca oder Yolande
Zauberman fortlebt. Zugleich aber sind seine Figuren und ihre Schicksale
nicht von dieser Welt. Stets gibt es eine zweite Ebene, mitten im heutigsten
Alltag, die alle Selbstverständlichkeiten aufbricht und verrätselt.
Der Bezugsrahmen der Geschehnisse, deren Zeuge der Zuschauer wird, ist
nie ein irgendwie gearteter Realismus und Mimetismus (was übrigens auch,
aber anders, für die Filme Rohmers gilt) - genausowenig aber ließen
sie sich jemals schlüssig enträtseln, etwa auf Parabolik oder Allegorik
hin. Es gibt die Suggestion einer höheren Bedeutung, die sich der
Auflösung aber beharrlich entzieht. Bisher waren es meist nicht genauer
zu klärende Verschwörungen oder Botschaften, die auf einen geheimen
Zusammenhang der Dinge hinwiesen (man denke an 'Die Geschichte der Dreizehn'
im grandiosen Out 1- Noli me tangere). Solche Verweisungsstruktur pure, einen
solchen zu höchster Abstraktheit im konkretest Dinglichen getriebenen
McGuffin gibt diesmal eben die Orestie. Und doch sind diese Hintergründe
nicht einfach Zitat, wie es postmodern üblich ist, oder Strukturgeber,
der gerade in der Ambivalenz von Kontrast und Bezüglichkeit zum Alltag
(Joyces Ulysses) wirkt. Ihr Effekt ist Verzauberung. Eine Verzauberung, die
nichts verspricht und doch den Dingen, den Personen, den Dialogen, den
Ereignissen eine Dimension verleiht, die nun schlicht und einfach mythisch
zu nennen wiederum vereinfachend wäre.
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Und doch gibt es eine Verbindung zum Mythos. Diesmal,
mit der Orestie so offensichtlich im Hintergrund, ist das gar nicht zu
übersehen. Rivette plündert diese Mythen aber nicht, zapft nicht
die bedeutungsverleihende Kraft an, die sie heute noch besitzen mögen.
Viele Hollywoodfilme (wie, im guten, die Truman Show oder, im bösen,
Titanic, den Rivette mit guten Gründen haßt und verachtet) tun
das. Rivette hingegen leert den Mythos, nimmt ihm alle Bedeutsamkeit und
füllt ihn, Detail um Detail, Dialog um Dialog, Zug um Zug, rätselhafte
Referenz um räteselhafte Referenz neu auf, ohne doch seine alte Art
höheren Sinns wieder aufzurichten. Es gibt dafür keinen anderen
Begriff, so wenig man ihn noch hören mag, als den der Dekonstruktion.
Der größte Reiz und das unübertroffene Abenteuer der Filme
Rivettes ist es, dieser Mythendekonstruktion, die sich als ernste und gar
nicht postmodern ironische, zugleich als ungeheuer spannende, ja atemberaubende,
so zerebrale wie sinnliche Angelegenheit entpuppt, offenen Auges, offenen
Verstandes und offenen Herzens beiwohnen zu können.
Und von Sandrine Bonnaire habe ich jetzt gar
nicht gesprochen. Es bliebe auch vergeblich. Man muß sie gesehen
haben.
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