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Verschollen
USA 2000
Regie: Robert Zemeckis
Mit Tom Hanks, Helen Hunt
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KRITIK
Es gibt ein Vokabular, eine Grammatik und eine Rhetorik des
Hollywood-Films, die der Darstellung Grenzen setzen. Innerhalb dieser Grenzen
ist vieles, aber nicht alles möglich, an ihrer Erweiterung wird immer
schon gearbeitet. Die Grenzen dieser Filmsprache sind nicht die Grenzen der
Welt, es gibt Umstände, die sich in ihr nicht oder nur ungelenk oder
nur um den Preis allzu auffälliger Komplexitätsreduktion darstellen
lassen. Ein Mann, der einen Flugzeugabsturz überlebt, vier einsame Jahr
auf einer Insel verbringt, sich zuletzt mit dem Mut der Verzweiflung auf
einem windschiefen Floß aufs Meer hinauswagt, das ist eine Geschichte,
die sich in der noch so virtuos gehandhabten Sprache Hollywoods nicht gut
erzählen lässt. Wer es nicht glaubt, sehe sich Robert Zemeckis'
Cast Away an.
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Zeit, das ist Thema und Leitmotiv des Films. Die Minimierung von
Zeit-Räumen, die Komprimierung von Zeit und Raum, sind das erklärte
Ziel des FedEx-Mannes Chuck Noland. Der Film führt gleich vor, worum
es geht: FedEx-Paket wird in Empfang genommen, subjektive Kamera verfolgt
es ins FedEx-Auto. Schwarzblende. Schnitt. Subjektive Kamera ist noch da,
folgt dem FedEx-Paket zum Empfänger. Musik, Sprache, Lenin signalisieren:
jetzt sind wir in Russland. Ging schnell. FedEx träumt den Traum des
Kinos. Noch aber braucht es im wirklichen Leben Flugzeuge, sie drängen
Zeit und Raum zusammen, manchmal wird ihr Widerstand spürbar. Erst einmal
fliegt Chuck zurück nach Memphis zu Kelly, der Frau, die er liebt, aber
selten sieht. Weihnachten. Noch am selben Tag muss er weiter fliegen. Wir
hatten bis dahin: eine Eieruhr, die 87 Stunden von Memphis nach Nicolai,
Russland, unterwegs war. Eine Countdown-Uhr, die die russischen FedEx-Mitarbeiter
zu größtmöglicher Eile drängte. Jetzt kommt dazu: eine
runde aufklappbare Taschenuhr, ein Ding aus einer anderen Zeit. Um diese
andere Zeit wird es nun gehen; sie fliegt nicht, sie kriecht, eigentlich
kommt sie gar nicht vom Fleck. Also der Absturz, die Uhr bleibt stehen. Die
Zeit auch.
Bis hierhin war der Film richtig gut, hat thematisch (die vielen Uhren,
Liebe zu Kelly) und dramaturgisch (sich andeutende Zahnschmerzen) alles
versammelt, was er im Verlauf aufbrauchen wird. Noch beim Absturz ist Hollywood
in seinem Element: Dramatisierung, Special Effects, niemand kann das besser.
Dann aber ist Chuck auf der Insel und der Film tut, als wäre nichts
gewesen. Schneller als man denkt erweist sich das Leben auf der Insel als
das im Vokabular, in der Grammatik und Rhetorik Hollywoods schlechthin nicht
Darstellbare. Die Zeit, die mit netten und nicht so netten Zwischenfällen,
der sich anbahnenden Freundschaft Chucks mit dem Volleyball, dem Feuermachen
etc. etc. vergeht, ist Hollywood-Zeit. Die stehengebliebene Uhr signalisiert
hilflos, dass das nicht sein dürfte. Alles schreit hier, auf der Insel,
nach einer anderen Zeit - die es aber nur um den Preis einer anderen
Ästhetik geben könnte. Einer Dramaturgie, die nicht alles dem
Erzählen einer Geschichte unterordnet, der Geschichte einer wunderbaren
Freundschaft, einer Geschichte, die einfach Robinson Crusoe noch einmal
reinszeniert. Man sehnt sich nach Echtzeit. Diese Sequenz sollte vier Jahre
lang sein, man möchte die Qual sehen, die Verlassenheit, die Zeit, die
nicht vergeht. Aber dazu müsste man auch als Zuschauer gequält
werden. Gelangweilt. Stattdessen ist es fast nett auf der Insel im Film.
So ein bisschen Warhol wenigstens, ein bisschen Rivette? Es bleibt
den Bildern undenkbar und daher ist es so einfach und so grundfalsch,
was hier passiert. Schnitt. Insert: vier Jahre später. Tom Hanks abgemagert.
Tom Hanks mit Bart.
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Die Insel bleibt Episode. Chuck baut ein Floß. Chuck
verliert Wilson. Chuck wird gefunden. Chuck kommt nach Hause. Man ist
zurück und war nie weg. Alles andere ist bloßes Postulat. Im
nachhinein erfahren wir von Chucks Selbstmordversuch auf der Insel. Der Film
war sogar zu feige, das zu zeigen. Nichts hat man sich getraut. Wäre
nicht ein bisschen Masturbation drin gewesen, so als Anfang? Stattdessen
pinkelt Chuck nur ins Meer und sogar das ist dramaturgisch wichtig. Es ginge
nur um eine Ahnung davon, dass es Erfahrungen gibt, die den Alltag der geregelten
Kreisläufe übersteigen. Um das bisschen Willen, das zeigen, ja
auch nur andeuten zu wollen. Oder zu können. Der Film will das nicht
und kann das nicht. Er weiß nicht einmal, dass es da was zu wollen
geben könnte. Cast Away ist ein Hollywood-Produkt, an dem der virtuose
Umgang mit den vertrauten Regeln des Filmemachens als Borniertheit, als
Abwesenheit eines ganzen ästhetischen (u-topischen und ana-chronischen)
Horizonts erkennbar wird. Das wenigstens ist interessant
daran.
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