Verrückt/Schön (R: John Stockwell)
Anscheinend stellen ungewöhnliche Frauen im Augenblick eine
derartige Bedrohung in den Köpfen so mancher Filmemacher Hollywoods
dar, dass sie am Ende ihre gerechte Strafe in den Armen eines
sympathisch-langweiligen Durchschnittsamerikaners mit hoher
Bürgerlichkeitsquote finden müssen. Wo Bridget Jones noch feststellen
durfte, dass brave Jungs wenigstens verrucht küssen können, muss
Nicole Oakley (gewohnt brilliant: Kirsten Dunst) sogar beim Sex die Fenster
verbarrikadieren, um auf ein sicheres Happy End zusteuern zu
dürfen.
Ansonsten ist die Story dieses äusserst durchschnittlichen
Twen-Dramas nur allzu vorhersehbar und frei von nennenswerten Höhepunkten:
Pilotenanwärter Carlos (Jay Hernandez) verliebt sich in die überdrehte
Nicole aus reichem Haus und wird ihren Bedürfnissen zunächst nicht
gerecht. Als er feststellen muss, dass der goldene Käfig, in dem sie
lebt, ihrer Psyche arge Schäden zugefügt hat, bricht er entgegen
aller gesellschaftlichen Normen gemeinsam mit ihr aus und versöhnt sie
schliesslich mit ihrem vermeintlich liebesunfähigen Vater (Bruce
Davison).
Was wie ein heimliches Remake von "Mad Love" mit Drew Barrymore und
Chris O´Donnell anmutet, kann letztlich zwar keinerlei Originalität
aufweisen, geht aber immerhin recht leicht von der Hand und entschädigt
merklich mithilfe seiner hervorragenden Hauptdarstellerin.(Thomas Lenz)
Head on (R: Anna Kokkinou)
Identitätsdrama aus dem australischen Exil. Ari ist nicht wie
die anderen. Seine griechischen Wurzeln sind ihm ebenso fremd wie die ihm
abverlangte heterosexuelle Orientierung. Ziellos widersetzt er sich den
Zwängen seines tyrannischen Vaters ebenso wie den Anforderungen, die
ein soziales Leben an ihn stellt, dem er sich nicht zugehörig fühlt.
Seine obsessive und hemmungslos ausgelebte Homosexualität treibt ihn
in einen gesellschaftlichen Abgrund, an dessen Ende (in Gestalt zweier
Polizisten) die erschreckende und unkontrollierte Demütigung durch die
exemplarische Repräsentanz gesellschaftlicher Ordnung steht. - Spannend,
aufwühlend und bis in die kleinste Nebenrolle hervorragend besetzt,
gehört dieser ungewöhnlich dichte Film von Anna Kokkinou ("Only
the brave") zu den interessantesten Beiträgen der diesjährigen
9. griechischen Kinotage, die aufgrund ihres Leitfadens (Griechische Filmemacher
in der Diaspora) mit einem allgemein etwas unglücklich zusammengestellten
Programm aufwarten. (Thomas Lenz)
The Gift
Sam Raimi, USA 2001
Die Südstaaten-Atmosphäre ist bleischwer statt brütend,
der Plot ist so, dass man ihm auch gleich anmerkt, dass die Autoren (Billy
Bob Thornton und Bill Epperson) daran nicht eigentlich ein Interesse hatten.
Im Zentrum steht eine von Cate Blanchett gespielte Kartenlegerin, um die
herum ein Kreis ausgesuchter Psychopathen versammelt wurde, deren heißes
Bemühen dahin geht, keinesfalls irgendein Klischee auszulassen. Das
alles hat Sam Raimi nun leider nicht als Trash verfilmt, sondern als gäbe
es diesen Charakteren mehr abzugewinnen als zunehmend nervtötende
Langeweile. Da hat er sich leider geirrt.
Tolle Lage
Sören Voigt, D 2001
Zehn Jahre nach dem Mauerfall hat der ehemalige Bundeswehroffizier
Ralf (Paul Faßnacht) mit seinem Campingplatz aus ehemaligem Staatsbesitz
kein Glück mehr. Die Einheimischen hassen ihn, und die
Gesundheitsbehörde will seinen Betrieb schliessen. Ein Verzweiflungsverkauf
in letzter Minute scheint die Rettung zu bringen, doch das Schicksal meint
es nicht gut mit dem enttäuschten Westgewinnler. Unsichere Mischung
aus Satire und Komödie im Dogma-Stil, die zu viele Fäden spinnt
und letztlich doch nur Banalitäten aneinanderreiht. Charme haben immerhin
zwei kleine Liebesgeschichten und die unbeschwerte Nostalgie von DDR-Schlagerstar
Michi Fanselow in einer Nebenrolle. (Thomas Lenz)
Monkeybone
Henry Selick, USA 2001
Comiczeichner Stu (Brendan Fraser) hadert mit seiner erfolgreichsten
Schöpfung, dem sprechenden Affen Monkeybone. Nicht nur der Marketing-Rummel
macht ihm zu schaffen, zu allem Überfluss verursacht eine Airbag-Version
des quirligen Fantasiegeschöpfes auch noch einen Autounfall und schickt
Stu in ein dreimonatiges Koma. In einer seltsamen Zwischenwelt, deren Kreaturen
sich an den Alpträumen der Menschen ergötzen, begegnet er prompt
auch seiner eigenen Schöpfung, die ihn auf gemeine Weise austrickst
und an seiner Stelle ins Leben zurückkehrt, um dort für gehörige
Verwirrung zu sorgen. Nette Beetlejuice"-Variante, die mit
erstaunlichen Spezialeffekten und einfallsreicher Optik aufwarten kann. Henry
Selick (Nightmare before Christmas") erzählt die clevere Geschichte
fantasievoll und kurzweilig, wenn auch stellenweise etwas hektisch und albern.
Roter Faden ist in Wirklichkeit allerdings gar nicht der (etwas zu
überdrehte) Affe, sondern sie Liebesgeschichte zwischen Stu und Julie
(Bridget Fonda), die dem Film (glücklicherweise) die notwendigen Emotionen
verleiht. Nebenbei lernen wir endlich, warum der Tod eine Frau ist, und wo
sich Stephen King seit Jahren tatsächlich aufhält.
Juni 2001
Be Angeled
Roman Kuhn, D 2001
Eine Mädchen rächt sich auf grausame Weise für eine
AIDS-Infizierung an ihrem Ex-Lover, ein Blinder lernt durch eine junge Asiatin
die Dunkelheit seines Blicks zu akzeptieren, eine schwangere Frau begegnet
der Liebe ihres Lebens in Gestalt eines Engels (wir befinden uns ja schliesslich
in Berlin). Eine Handvoll Schicksale wie diese (und einige
Belanglosigkeiten), vielfach ineinander verwoben und zentriert um die
Love-Parade, bestimmen die Dramaturgie dieses Kinodebüts des Werbefilmers
Roman Kuhn. Nicht wirklich überzeugend in der Charakterzeichnung und
von einigen Längen verwässert, bietet Kuhns polierte Ästhetik
doch genügend Potential, um solche und andere Schwächen zu
relativieren. (Thomas Lenz)
Crocodile Dundee in L.A.
Simon Wincer, USA 2001
Im Schlepptau von Freundin und Sohn verschlägt es Krokodiljäger
Mick Dundee erneut von Down Under auf das amerikanische Festland, wo er anhand
eines äusserst dünnen Handlungsfadens um ein bilderschmuggelndes
Filmteam einmal mehr beweist, dass die Fertigkeiten des Buschlebens in der
westlichen Kulturwelt durchaus ihren vorzeigbaren Nutzen haben. Hilfloser
Wiederbelebungsversuch des Erfolgsschemas zweier Vorgängerfilme. Hatte
dereinst die Konfrontation des naiven Australiers mit den zweifelhaften
Errungenschaften amerikanischer Kultur noch einen angenehmen Charme, so bietet
dieser lauwarme Aufguss altbekannter und vorhersehbarer Situationskomik nur
dramaturgisches Flickwerk und mässige Unterhaltung. (Thomas Lenz)
Ohne Worte (Say it isn't so)
J.B. Rogers, USA 2001
Liebespärchen darf nicht heiraten als die beiden erfahren, dass
sie Bruder und Schwester sind. Als die Braut 1 ½ Jahre später mit
einem Millionärssohn vor dem Traualtar steht, stellt sich die
Geschwisternschaft als fataler Irrtum heraus, und der vermeintliche Bruder
hat alle Hände voll zu tun, die etwas krude Geschichte entgegen dem
Willen der intrigierenden Schwiegermutter in spe (originell: Sally Field)
einem zufriedenstellenden Happy End zuzuführen.
Unausgegorene Mischung aus Invalidenhumor und Liebesgeschichte aus
dem Hause Farelli (Verrückt nach Mary"), die eher peinlich als
amüsant ausfällt, aber zumindest durch einige sympathische Charaktere
für kurzweilige Unterhaltung sorgt. (Thomas Lenz)
El Acordeon Del Diablo
Stefan Schwieter, Schweiz 2000
In einer längst vergangenen Sommernacht soll Francisco Rada sich
mit dem Teufel ein Duell auf dem Akkordeon geliefert und gewonnen haben
so jedenfalls will es die Legende. Anekdoten wie diese und Momentaufnahmen
aus dem Leben der kolumbianischen Musiker, deren Passion das aus Deutschland
stammende Instrument ist (das die karibische Küste einst als Strandgut
erobert hatte), formen diese collagenartige Dokumentation des Schweizers
Stefan Schwieters (A tickle in the heart"). Im Mittelpunkt steht der
heute 94-jährige Musiker Pacho" Rada, dessen Leben und Arbeit
Einfluss nahm auf eine ganze Tradition südamerikanischer Rhythmik und
als Vorbild diente für eine Figur aus Gabriel Garcia Márquez'
Roman Hundert Jahre Einsamkeit". Parenthetisch erzählt und
dramaturgisch etwas spannungsarm, aber für Liebhaber lateinamerikanischer
Musik durchaus sehenswert. (Thomas Lenz)
offizielle
Website
Die doppelte Nummer (Double Take)
George Gallo, USA 2001
Farbiger Wall-Street-Banker gerät als Hauptverdächtiger
in ein Mordkomplott und muss über die mexikanische Grenze fliehen. Um
das Land verlassen zu können, tauscht er seine Identität mit dem
chaotischen Tiffany (US-Comedian Eddie Griffin), der ihm von da an nicht
mehr von der Seite weicht und sich in der Folge als eigentlicher Dreh- und
Angelpunkt der Geschichte erweist. Midnight Run"-Autor George
Gallo versuchte ein Remake des britischen Thrillers Across the bridge",
das erstaunlicherweise besser ist als man vermuten mag. Sieht man von Griffins
gnadenlosem Overacting und der alles andere als nivellierenden deutschen
Synchronisation ab, so bleibt eine ganz kurzweilige, nicht unoriginelle
Krimikomödie, deren permanente Hakenschläge allerdings gegen Ende
in nervigen Manierismus umkippen. (Thomas Lenz) |
El Mar
Agusti Villaronga, Spanien 2000
Der Film hat eine klare Struktur und eine konsequent entwickelte,
wenngleich abstruse, Geschichte: zwei von ihrer einführend kurz
vorgestellten Vergangenheit verfolgte junge Männer und eine Frau treffen
sich in einem Lungensanatorium wieder; erstere als Patienten, letztere als
pflegende, von Ramallo, dem einen der beiden einst entjungferte und nach
wie vor begehrte Nonne. Ramallo schleppt eine mit sexuellen Diensten beglichene
finanzielle Abhängigkeit von einem älteren Mann mit auf den Zauberberg
(Caubet, nicht Davos), der andere seine übersteigerte Religiosität,
die wiederum seiner homosexuellen Neigung zu Ramallo in die Quere kommt.
Im Sanatorium geschieht das sanatoriumsübliche: man siecht dahin, der
eine und der andere stirbt. Zusätzlich leidet man am psychodynamischen
Treibhausklima und der Schwierigkeit sexueller Triebabfuhr. So spitzt sich
die Lage langsam (elend langsam) zu und mündet nach blutigen Anfängen
in ein überaus blutiges Finale. Blut, sturzbachartig mitunter, ist ohnehin
der rote Faden, der sich durch den Film zieht. Es erscheint auf weiße
Laken gehustet, tritt aus brutal zugefügten Wunden aus, es befleckt
weiße Nonnenkleidung: wie es überhaupt von der Idee der Befleckung
nicht zu trennen ist. Wie kaum anders zu erwarten, fließt es auch
Wundmalen, die Manuel sich im komplexen Versuch homosexuell und satanistisch
unterfütterter imitatio christi beibringt. Das Finale steigert sich
zur wüsten Vermischung von Tod & Sex & Religion. Die Grenzen
zum unfreiwillig Komischen werden spätestens hier
überschritten
Das eigentlich Schlimme an El Mar ist aber weniger das Themengebräu
(jedem die Obsessionen, die er mag) als das filmische Vokabular, das der
Regisseur zu seiner Umsetzung verwendet. Seine Bilder sind bestürzend
brav und bieder, das Tempo ist von enervierender oder auch (je nach Temperament)
einschläfernder Gleichmäßigkeit. Leidenschaftsloser kann
man nicht inszenieren. Halbwegs interessant wäre das als Kontrast von
Form und Inhalt, ist aber nur die Hilflosigkeit einer akademischen
Inszenierungsschule. Bilder, die nicht berührt sind von dem, was sie
zeigen, berühren auch den nicht, der sie sieht. Nur selbst auferlegte
Berichterstatterpflicht hält einen da im Kino.
(EK)
Prinzessin Mononoke
Hayao Miyazaki, Japan 1997
Das Märchen von einem, der auszog, sein Leben zu retten und zwischen
die gewaltigen Fronten eines Natureroberungsprojekts gerät. Ein Film,
dem es aufs angenehmste an plumpen Eindeutigkeiten fehlt, nicht aber an blutigem
Ernst, skurrilem Humor, faszinierend mythischen Figuren und epischer Wucht.
Ein Zeichentrickfilm wie kein anderer. Atemberaubende Tempowechsel, fantastischer
Erzählreichtum. Muss man gesehen haben. (EK)
Too Much Flesh
Jean-Marc Barr, Pascal Arnold F 2001
Nach 20 Jahren Enthaltsamkeit lernt der naive Farmer Lyle die Fülle
seiner verweigerten Sexualität kennen. Sein Verhältnis mit der
jungen Französin Juliette (Elodie Bouchez) wird zwar von seiner Ehefrau
Amy (Rosanna Arquette) gebilligt, stösst aber auf den Zorn seines bigotten
Umfeldes. Das vielschichtige Drama ist nach Lovers (Dogma 5)"
der zweite Beitrag der sogenannten Freetrilogie von Co-Regisseur und
Hauptdarsteller Jean-Marc Barr (Im Rausch der Tiefe"), und damit dem
Dogma-Film und seinen Regeln verpflichtet. Dabei kollidiert die bewusste
inszenatorische Zurückhaltung nicht selten mit der potentiellen Sprengkraft
der Geschichte. So bleibt Lyles befreiende Konfrontation mit der eigenen
Sinnlichkeit für den Zuschauer fast emotionsfrei, und die verleugnete
Homosexualität seines Freundes Vernon (Ian Vogt) gerät zum
schmückenden Beiwerk. Umso schockierender gelingt dann allerdings das
Finale, das die Geschichte rückwirkend in den Horizont griechischer
Tragödien hebt. Bemerkenswert ist vor allem die darstellerische Leistung
von Rosanna Arquette, deren Charakter als einziger eine sichtbare
Veränderung durchläuft. (Thomas Lenz)
You Can Count On Me (****1/2)
Kenneth Lonergan, USA 2000
Das amerikanische well made play, wenig geschätzt von
Anhängern avantgardistischerer Theatertexte, kann eine wunderbare Sache
sein - wenn es denn so well made ist wie dieses Regiedebüt des
Drehbuch- und Theaterautors Kenneth Lonergan. Ohne alle Mätzchen und
ohne auch nur einmal in die übersichtliche Pychoklischeekiste des
Hollywood-Autorenhandwerks zu greifen, konstelliert Lonergan Probleme der
eher nicht so sensationellen Art (Kleinstadtleben, Drogen,
Geschwisterbeziehungen) auf immer wieder umwerfende Weise. Kein falscher
Ton kommt der unsentimentalen, aber anrührenden Geschichte in die Quere,
geduldig, aber nie langatmig werden die Verhältnisse ausgelotet und,
ohne dass dadurch je die Ernsthaftigkeit verloren ginge, als durchaus auch
komische demonstriert. (EK) |